Schwarz-Weiß-Fotografie einer Partygesellschaft in einem Raum mit 80er-Jahre-Postern an den Wänden; im Vordergrund eine junge Frau mit Zigarette in der Hand, die einen jungen Mann anschaut
Christiane Eisler: "Geburtstagsparty bei Rudi" Bildrechte: Christiane Eisler

"Der große Schwof. Feste feiern im Osten" Neue Ausstellung beleuchtet Feiern in der DDR: fröhlich und enthemmt

30. Juni 2023, 04:00 Uhr

Die große Foto-Ausstellung in Jena zum Thema "Der große Schwof. Feste Feiern im Osten" zeigt, wie verzücktes Erinnern und kritisches Nachdenken um die DDR zusammengeht. Die rund 300 Fotografien offenbaren die ausgelassenen Partys als Ventil zur Systemkritik. Eine gute Gelegenheit, die eigenen Erinnerungen aufzufrischen – an die heiteren und die düsteren Seiten der DDR. Wer nicht dabei war, wird über die Zügellosigkeit des Ostens staunen.

Wer dabei war, erinnert sich: Gefeiert wurde viel und gerne in dem Land, das es seit 33 Jahren nicht mehr gibt. Jeder, der die DDR noch erlebt hat, kennt oder besitzt Bilder von solchen Feiern. Sie zeigen fröhliche Gesichter, Tendenz zu enthemmt. Oft entsprechen sie so gar nicht den offiziellen Bildern aus dem Arbeiter- und Bauernstaat.

Für die Kunstsammlung Jena haben die Fotografin Petra Göllnitz und der Direktor der Städtischen Museen, Erik Stephan, mehr als 500 Fotos von 31 der bekanntesten DDR-Fotografen zusammengetragen. Das ist, gelinde gesagt: ein Ereignis. Was die Bilder verbindet ist: "der große Schwof". "Schwofen", sagt Petra Göllnitz, "war der Begriff für Tanzen gehen, Rumhängen, Singen, Essen, Saufen, Sex haben. Für all das, was meistens am Wochenende stattfand: der große Schwof."

Petra Göllnitz, aus Chemnitz stammend, hat nach der Wiedervereinigung über 30 Jahre beim in Hamburg ansässigen Stern gearbeitet. "In dieser Zeit", sagt sie, "haben meine Kollegen vom Stern mir und den Lesern sehr, sehr oft und lange erklärt, wie wir im Osten gelebt haben. Das war möglicherweise ein Grund, einmal zurückzugehen und mit meinen eigenen Freunden und Kollegen und deren Bildern zu erzählen, wie wir gefeiert haben."

Feiern in der DDR: von Volksfest bis underground

Das thematische Spektrum der Fotos ist breit: vom Volksfest bis zum Republik-Geburtstag, von der Familienfeier bis zum Dorftanz, von "spießig" bis "underground". Irgendein Grund zum Feiern fand sich immer, und fast alle Bilder zeigen lebensfrohe Menschen in oft skurrilen Settings. Eine Hochzeitsgesellschaft vor einem verfallenen Haus, an dem ein Banner die Erfolge des Sozialismus preist.

Schwarz-Weiß-Fotografie einer Hochzeitsgesellschaft, die an einem heruntergekommen Haus mit einem DDR-Banner vorbeizieht
Gerhard Weber: "Hochzeit in Grossbothen" Bildrechte: Gerhard Weber

Mit Motiven wie diesem von Gerhard Weber ("Auf dem Weg zur Kirche – Hochzeit in Großbothen", 1987) ist im Grunde alles gesagt. Das Land verfiel. Was blieb, waren Feiern, die oft das Leben strukturierten: Jugendweihen, Hochzeiten und sogar die offiziellen Feiertage, an denen meistens ganz anders gefeiert wurde, als es sich die SED-Führung gewünscht hätte. Eine Hauptrolle spielte oft: Alkohol. Auch darin unterschieden sich die Feiern vom Alltag im Sozialismus: Wenn es ums Feiern ging, war sogar die Versorgung immer gesichert.

Fotos über "Sex und Saufen"

"Leipzig 1986", heißt ein Bild von Gerhard Gäbler, das zugleich erschrecken und schmunzeln lässt. Ein Kiosk voller Schnaps und Bier und mittendrin ein sichtlich stolzer Verkäufer.

Alkohol war ein Schmierstoff der Gesellschaft. Im Volksmund hieß es zum Thema Party gerne: Wer sich daran erinnern kann, ist nicht dabei gewesen. Zu sehen ist das beispielsweise in der Serie "Sex und Saufen" von Harald Hauswald, die er in den 80er-Jahren in Berliner Kneipen und auf Volksfesten fotografierte.

Schwarz-Weiß-Fotografie einer Feier; im Vordergrund ein schlafender Mann auf einem Stuhl, auf dessen Schoß eine Frau Platz genommen hat
Harald Hauswald: "Sex und Saufen" Bildrechte: Harald Hauswald

Hier wird, im Wortsinn, getrunken bis zur Bewusstlosigkeit. Was gar nicht so unpolitisch ist, wie man meinen könnte. "Je stärker der Druck vom Staat kam, der politische Druck", sagt Petra Göllnitz, "umso größer war das Bedürfnis nach Freiheit, nach Unbeschwertheit, nach Unabhängigkeit und nach einer eigenen Welt, in der man man selbst sein konnte. Und bei Feiern machten alle, was sie wollten, und ließen sich von keinem Staat und keiner Parteileitung und von keinen Armeeoffizieren und sonst wem in irgendeiner Form etwas sagen. Wenn gefeiert wurde, wurde gefeiert."

Feiern als Freiraum

So sagen diese Bilder auf den zweiten Blick dann doch enorm viel den "strengen Staat". Viele Verkleidungen und Rollenspiele auf Faschingsfeiern sind viel mehr als nur Fasching. Sie sind Flucht aus einer regulierten Wirklichkeit, Flucht in klassenlose und vor allem klassenkampflose Nischen.

Spätestens Mitte der 80er-Jahre richten sich immer mehr Menschen immer neue Freiräume ein und genießen darin ihr Leben. Ob in der Kleingartensparte oder in der Punk-Szene. Man feierte vorbei an den ideologischen Normen. Petra Göllnitz: "In dieser kurzen, relativ bleiernen Zeit, kurz vor Beginn der Wende, werden die Feste immer exzessiver, sie werden immer bunter, sie werden immer drastischer."

Bilder zur Ausstellung "Der große Schwof"

Schwarz-Weiß-Fotografie eines Paares zur Faschingszeit: beide mit Hörnern auf dem Kopf
Bernd Hiepe: Fasching. Erfurt-Anger, 1987 Bildrechte: Bernd Hiepe
Schwarz-Weiß-Fotografie eines Paares zur Faschingszeit: beide mit Hörnern auf dem Kopf
Bernd Hiepe: Fasching. Erfurt-Anger, 1987 Bildrechte: Bernd Hiepe
Schwarz-Weiß-Fotografie eine Faschingsgesellschaft, die in den 80er-Jahren durch eine Straße mit Geschäften und parkenden Autos zieht
Christian Borchert: Straßenszene mit Faschingsgesellschaft, Dresden 1981 Bildrechte: Christian Borchert
Schwarz-Weiß-Fotografie eines Paares zur Faschingszeit, das in Verkleidung und einen Handwagen hinter sich herziehend durch den Schnee rennt
Bernd Hiepe: Fasching, Erfurt 1987, IX/4 Bildrechte: Bernd Hiepe
Fotografie eines lachenden jungen Mannes, der in einem Hinterhof kopfüber in einem Nachtschrank steckt
Christiane Eisler: im Hinterhof im Leipziger Seeburgviertel, 1983 Bildrechte: Christiane Eisler
Schwarz-Weiß-Fotografie eines älteren Mannes in einem weißen Kittel, der in einem Raum voller alkoholischer Getränke steht
Gerald Gäbler: Leipzig 1986 Bildrechte: Gerald Gäbler
Schwarz-Weiß-Fotografie einer Gruppe Menschen, die zusammen feiert; im Zentrum des Bildes liegt eine lachende junge Frau nackt in einer Badewanne und hält ein Bier in der Hand
Barbara Metselaar Berthold: aus der Serie "Bittersüß im Wartesaal“, Berlin 1980-1984 Bildrechte: Barbara Metselaar Berthold
Schwarz-Weiß-Fotografie einer Feier; im Vordergrund ein schlafender Mann auf einem Stuhl, auf dessen Schoß eine Frau Platz genommen hat
Harald Hauswald: Sex und Saufen Bildrechte: Harald Hauswald
Schwarz-Weiß-Fotografie einer Hochzeitsgesellschaft, die an einem heruntergekommen Haus mit einem DDR-Banner vorbeizieht
Gerhard Weber: Hochzeit in Grossbothen Bildrechte: Gerhard Weber
Schwarz-Weiß-Fotografie einer Partygesellschaft in einem Raum mit 80er-Jahre-Postern an den Wänden; im Vordergrund eine junge Frau mit Zigarette in der Hand, die einen jungen Mann anschaut
Christiane Eisler: Geburtstagsparty bei Rudi 1983 Bildrechte: Christiane Eisler
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Bilder vom Ende der DDR

Da ist etwa Christiane Eislers Serie rund um die Punkband Wutanfall aus dem Jahr 1983. Sie zeigt, wie diese Gesellschaft diverser wird, wie sie sich an den Rändern aufzulösen beginnt. Nicht nur in Berlin, auch in der Provinz.

Museumsdirektor und Mit-Kurator Erik Stephan beschreibt es so: "Der Staat DDR befand sich in einem Zustand der Agonie, es gab auch immer mehr Ausreiseanträge, und einige der Fotos, die wir hier zeigen, zeigen Abschiedsfeste dieser Menschen. So freudvoll diese Bilder auch sein mögen, das waren Menschen, die das Land verlassen haben, die ihren Freundeskreis verlassen haben und eine Lücke hinterlassen haben. Und dieses enthemmte Miteinanderumgehen, das überdeckt auch manchmal die Traurigkeit darunter."

Wenn man will, kann man diese Traurigkeit sehen – etwa in Barbara Metselaar Bertholds Serie "Bittersüß im Wartesaal" aus dem Jahr 1984.

Schwarz-Weiß-Fotografie einer Gruppe Menschen, die zusammen feiert; im Zentrum des Bildes liegt eine lachende junge Frau nackt in einer Badewanne und hält ein Bier in der Hand
Barbara Metselaar Berthold: aus der Serie "Bittersüß im Wartesaal“, Berlin 1980-1984 Bildrechte: Barbara Metselaar Berthold

"Der große Schwof. Feste feiern im Osten" ist eine gute Gelegenheit, die eigenen Erinnerungen aufzufrischen, an die heiteren und die düsteren Seiten der DDR. An die Diktatur und die darin selbstverständlich möglichen persönlichen Freiheiten. Wer nicht dabei war, wird staunen: über die Unbefangenheit und die Zügellosigkeit des Ostens. Über die mitunter geradezu ekstatische Lust der Menschen, im Schwofen zu genießen. Und nicht zuletzt über die fotografische Qualität der zumeist im klassischen Schwarz/Weiß aufgenommenen Bilder.

In Jena wird auch eine Kunstform gefeiert; die Mehrzahl der Fotografen haben an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. Die HGB war in den 80er-Jahren für viele ein geschützter Raum, in dem sie sich frei entfalten konnten. Die Bilder dieser Ausstellung sind ihr spätes Dankeschön an diese Möglichkeit. Sie ist deutlich mehr als nur Ostalgie. Sie zeigt zugleich ein Land, in dem es oft guttat, seinen Verstand abzugeben und wild zu feiern. Manchmal war es sogar von Vorteil. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, so hieß das doch damals in der DDR.

Informationen zur Ausstellung

"Der große Schwof. Feste feiern im Osten"
1. Juli 2023 bis 15. Oktober 2023

Kunstsammlung Jena
Städtische Museen Jena
Markt 7
07743 Jena

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr
Montag geschlossen
Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Artour | 29. Juni 2023 | 22:10 Uhr