Historisches Gemälde der Dresdener Kreuzkirche
Das Bild von der Kreuzkirche in Dresden stammt von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto. Er malte realistische Veduten von vielen italienischen Städten sowie von Dresden, Wien oder Warschau.  Bildrechte: IMAGO / Heritage Images

Lesezeit | 02.10. - 20.10. 2023 Hans Pleschinski: Der Flakon

29. September 2023, 04:00 Uhr

Ohne Vorwarnung überfällt Preußen 1756 Sachsen. Der Kurfürst Friedrich August II. und sein Premierminister, Reichsgraf Heinrich von Brühl, müssen fliehen. Die Reichsgräfin von Brühl aber bleibt im besetzten Dresden und entwickelt einen Plan. Es heißt, Friedrich der Große halte sich in Apels Haus in Leipzig auf und empfange dort die sächsischen Dichter und Gelehrten Johann Christoph Gottsched und Johann Fürchtegott Gellert. Prompt steigt die Gräfin mit ihrer Kammerfrau Luise von Barnhelm inkognito in die Postkutsche und fährt über Meißen und Oschatz nach Leipzig. Im Gepäck hat sie einen Flakon … Kann sie einen der friedliebenden Dichter zum Tyrannenmord überreden? Simone Kabst liest den spannenden und eleganten Roman "Der Flakon" von Hans Pleschinski: Ein Plädoyer gegen die Barbarei des Kriegs und für die Kunst.

Ein Bildnis von Maria Anna Franziska Gräfin von Brühl
Maria Anna Franziska Gräfin von Brühl, geborene Gräfin von Kolowrat-Krakowsky (1717-1762) heiratete Heinrich von Brühl am 29. April 1734, da war sie 17 Jahre alt und Heinrich 34. Bildrechte: Staatsbibliothek zu Berlin – PK/Abteilung Handschriften und Historische Drucke

Ganz entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten sitzt Maria Anna Franziska Gräfin von Brühl im Herbst 1756 im Negligé, unfrisiert und verquollen vor dem Spiegel. Sie ist verzweifelt. Dresden ist besetzt von den preußischen Truppen Friedrichs des Großen, ihr Mann, Reichsgraf und Premierminister Heinrich von Brühl und der Kurfürst Friedrich August II. sind nach Warschau geflohen. Die Gräfin aber bleibt in Dresden – doch sie ist ja nur eine Frau, was kann sie schon ausrichten?

Zunächst drückt sie ihren Protest intellektuell aus. Bekanntermaßen liest Friedrich II. nur französische Autoren. Die Gräfin hingegen schwärmt – nun erst recht – von deutschen Dichtern: Andreas Gryphius und Paul Gerhardt zum Beispiel, oder die Gottscheds, Christian Fürchtegott Gellert und dann gibt es diesen noch ganz jungen hoffnungsvollen Lessing. Doch bald wird die Gräfin noch ganz andere Dinge wagen als nur den literarischen Widerstand. Dichter werden dabei eine Rolle spielen und natürlich: ein Flakon.

Geschichte, die Parallelen zur Gegenwart zieht

Im August 1756 überfällt Preußenkönig Friedrich II. in einem Angriffskrieg ohne Kriegserklärung das Land Sachsen. Der Siebenjährige Krieg beginnt. Unter Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen, wie schon unter seinem Vater, August dem Starken, blühen zwar Kunst und Kultur, das Militär wurde jedoch kaputtgespart. Und der Premierminister und Reichsgraf von Brühl hat sich mit seinen politischen Bündnissen fälschlicherweise in Sicherheit gewiegt. Außerdem ist auch er für seinen ausschweifenden Lebenswandel berühmt. Allein der Erwerb des Gemäldes "Die Sixtinische Madonna" hat Unsummen verschlungen. So muss Sachsen, obgleich viel größer als Preußen, kapitulieren.

Zitat aus "Der Flakon" von Hans Pleschinski Sachsens Armee galt zwar als die einzige in Europa, die vollständig mit Perücken ausgestattet war, doch darüber hinaus war zugunsten anderer Prachtentfaltung und der Künste am Militär gespart worden. In der Dresdner Oper brillierten die höchstbezahlten Sänger als Feldherren in den Rollen von Alexander und Caesar in Seidenstrümpfen, aber was eine übliche Gefechtsbereitschaft anging, so stand es um die Kursachsen schlecht.

Zwinger, Grünes Gewölbe, Brühlsche Terrassen, Meißner Manufaktur, Schwanenporzellan – glanzvoll und prächtig geht es in Sachsen zu, während in Preußen ein Kommando-Ton herrscht. "Ich kann nicht ohne Orchester leben", jammert der Kurfürst auf der Festung Königstein, vom Kanonendonner umgeben. Und dann fragt er seinen Premierminister: "Sind die Frauen couragierter als du und ich?" und spielt damit auf die Reichsgräfin an, die in Dresden geblieben ist, trotz preußischer Besatzung. Mutige und gebildete Frauen spielen in dem Roman "Der Flakon" die Hauptrolle. Sie nehmen die Dinge beherzt in die Hand. Es herrscht Krieg und die Reichsgräfin von Brühl steigt inkognito in eine Postkutsche und spielt im Geist einen Tyrannenmord durch. Dafür braucht sie Verbündete.

Zitat aus "Der Flakon" von Hans Pleschinski Es muss sich vielmehr entscheiden, ob Gewalt oder Lebensart in Deutschland den Ton angeben werden. Was soll für alle Zeit zum Symbol unseres Landes werden? Der Dresdner Zwinger oder der preußische Exerzierplatz? Das Zarte und Liebenswürdige oder ein paar stramme Säulen an der Spree, womöglich noch mit einer Streitaxt obendrauf. Darum geht es. Die Bedeutung unserer Reise ist noch gar nicht abzuschätzen.

Ein kostbares Stück vom Brühlschen Schwanenservice
Ein kostbares Stück des Brühlschen Schwanenservice aus Meissner Porzellan Bildrechte: Porzellansammlung SKD

Per Postkutsche von Dresden nach Leipzig

Die Reise über Meißen und Oschatz nach Leipzig nimmt einen großen Teil im Roman ein. Zuvor haben die Gräfin und ihre Kammerzofe Luise von Barnhelm Bekanntschaft geschlossen mit Georg Wilhelm von der Marwitz. Er ist Adjutant des preußischen Königs, also eigentlich ein Todfeind. Doch die Damen haben den schönen, zartfühlenden Offizier, der seinen Zopf ganz unüblich extravagant lockig trägt, im Grünen Gewölbe erwischt, wo er die sächsischen Schätze bewundert. Ein Mann mit Kunstverstand also. Marwitz steckt in Schwierigkeiten, da er durch Techtelmechtel mit Friedrich II. und gleichzeitig mit dessen Bruder aufgerieben wird. Als er den Damen berichtet, dass Friedrich in Leipzig, im Apelschen Haus am Markt, weilt, wo er die sächsischen Dichter und Gelehrten Johann Christoph Gottsched und Johann Fürchtegott Gellert empfangen will, reift in der Gräfin ein raffinierter Plan. Marwitz schließt sich den Frauen an.

Zitat aus "Der Flakon" von Hans Pleschinski Sie könnte fliehen, wird man sagen. Zu ihrem Gemahl nach Warschau. Dort wäre sie in Sicherheit. Aber ich bleibe. Dem Kriegstreiber zum Trotz. Soll er sich doch seine Gedanken machen: Wie werde ich die Brühl los? Die sächsische Megäre. Sie wird Gott und die Welt gegen mich aufhetzen. Ihre bloße Anwesenheit ist Belästigung. Er wird mich nicht loswerden.

Und so erleben wir eine beschwerliche Fahrt mit der engen, ungefederten Postkutsche mitten im eiskalten Januar. (Kursachsens Transportwesen galt damals als eines der vorzüglichsten in Europa.) Die Gräfin reist mit falschem Pass und hat einen kostbaren, aber tödlichen Flakon im Gepäck. Endet das Ganze mit einem Giftanschlag auf den preußischen König? Wird sie einen der beiden Dichter dafür gewinnen? Die historischen Fakten erzählen etwas Anderes. Und doch nimmt dieser Roman wahre historische Details auf und verdichtet den Rest zu einer spannenden, lebendigen und eleganten Geschichte, die auch viel über das Heute erzählt. Ein Plädoyer gegen die Barbarei des Kriegs und für die Kunst.

Zitat aus "Der Flakon" von Hans Pleschinski Aus ihrem Pompadour zog sie den Flakon. Ein reizendes, geschliffenes Fläschchen von dickem Glas aus Murano. Bläulich schimmerte es im Dunkel.

Der Schriftsteller Hans Pleschinski

Geboren wurde Hans Pleschinski 1956 in Celle, aufgewachsen ist er in Wittingen, im deutsch-deutschen Grenzland. Er studierte Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, arbeitete von 1984 bis 2020 beim Bayerischen Rundfunk und lebt seitdem als freier Schriftsteller in München. Sein Interesse gilt der Geschichte und der französischen Kultur. So übersetzte er die Briefwechsel und Memoiren von Friedrich dem Großen, Voltaire, Madame de Pompadour und Else Sohn-Rethel. Außerdem ist er als Herausgeber französischsprachiger Quellen tätig. In seinen Romanen "Königsallee" (2013) und "Wiesenstein" (2018) geht es um Episoden aus dem Leben der beiden deutschen Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, zum Beispiel kommt es da zu einem Wiedersehen zwischen dem 79-jährigen Thomas Mann und dessen einstiger Liebe Klaus Heuser.

2004 war Pleschinski Stadtschreiber von Amman in Jordanien, 2008 Writer in Residence an der Miami University in Oxford (Ohio). Von 2015 bis 2018 war er Direktor der Abteilung Literatur der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Pleschinski erhielt zahlreiche Auszeichnungen für sein Werk, darunter den Hannelore-Greve-Literaturpreis, den Nicolas-Born-Preis, den Literaturpreis der Stadt München, den Niederrheinischen Literaturpreis sowie den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. 2012 wurde er zum Chevalier dans l’ordre des Arts et des Lettres der Republik Frankreich ernannt.

Hans Pleschinski, deutscher Schriftsteller 25 min
Bildrechte: picture alliance / Erwin Elsner | Erwin Elsner

Die Sprecherin Simone Kabst

Die Schauspielerin, Hörspiel- und Hörbuchsprecherin Simone Kabst wurde 1973 in Leipzig geboren. Sie studierte an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und spielte danach unter anderem an der Schaubühne und am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Als Film- und Fernsehschauspielerin übernahm sie zum Beispiel Gastrollen in Serien und Filmreihen wie "Stubbe – Von Fall zu Fall" und "Polizeiruf 110".

Als Sprecherin für das Hörbuch und den Rundfunk las Kabst z. B. Cecelia Aherns "Für immer vielleicht", viele Bestseller von Lucinda Riley, die Science-Fiction-Hörspielserie "KI-Mom" von SWR2 oder "Das mangelnde Licht" von Nino Haratischwili. Außerdem arbeitet sie als Gastdozentin an der Hamburger Media School/HMS für Schauspielführung (Regiejahrgang) und an der Designakademie Berlin für Schauspielführung.

Schauspielerin Simone Kabst
Die Schauspielerin, Hörspiel- und Hörbuchsprecherin Simone Kabst Bildrechte: picture alliance / Uwe Zucchi/dpa | Uwe Zucchi

Angaben zur Sendung

Cover - Hans Pleschinski: "Der Flakon"
Buchcover von "Der Flakon", der Roman von Hans Pleschinski erschien bei C.H. Beck. Bildrechte: Verlag C.H.Beck

MDR KULTUR Lesezeit
02.10. - 20.10.2023
Hans Pleschinski: Der Flakon (15 Folgen)
Produktion: MDR 2023

Es liest Simone Kabst.
Einrichtung der Lesefassung: Caren Pfeil
Regie: Judith Ruyters

Das Buch "Der Flakon" erschien 2023 im Verlag C.H. Beck.

Sendung im Radio: 02.10. - 20.09.2023 | Montag bis Freitag 9:05 Uhr
Wiederholung: 02.10. - 20.10.2023 | Montag bis Freitag 19:05 Uhr

Alle 15 Folgen dieser Lesung stehen hier bis zum 31. März 2024 zum Hören bereit.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Lesezeit | 02. Oktober 2023 | 09:05 Uhr