Pflegepersonal beim schieben von einem Pratient im Krankenbett ins Krankenzimmer.
Regel zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen teils verfassungswidrig Bildrechte: picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Urteil Bundesverfassungsgericht Zwangsbehandlung von Patienten muss nicht immer in Klinik stattfinden

26. November 2024, 12:28 Uhr

Rechtlich betreute Menschen müssen nicht in jedem Fall stationär ins Krankenhaus, wenn sie zwangsweise medizinisch behandelt werden sollen. Die entsprechende gesetzliche Regelung ist zum Teil mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag. Ausnahmen können demnach in bestimmten Fällen gemacht werden.

Das ausnahmslose Verbot von ärztlichen Zwangsmaßnahmen außerhalb von Krankenhäusern ist teils verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag entschieden. Die betroffene gesetzliche Regelung sei mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit teils unvereinbar, erklärte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. (Az. 1 BvL 1/24)

Was bedeutet Zwangsbehandlung? Rechtlich betreut werden Menschen, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht alles selbst entscheiden können. Wenn sie dringend medizinisch behandelt werden müssen, aber nicht einwilligen, können sie zwangsweise behandelt werden. Bislang war vorgeschrieben, dass eine solche Behandlung nur in einem Krankenhaus stattfinden darf.

Kein Krankenhausaufenthalt, wenn dadurch gesundheitliche Beeinträchtigung droht

Ärztliche Maßnahmen gegen den Willen von Patientinnen und Patienten sind nur als letztes Mittel und unter strengen Voraussetzungen erlaubt. Das Gesetz sieht bisher unter anderem vor, dass sie nur "im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist" durchgeführt werden dürfen.

Bundesverfassungsgericht definiert Voraussetzungen für Ausnahmen

Für eine ausnahmsweise Behandlung in der Wohneinrichtung müsse den Betroffenen in der Klinik eine größere Beeinträchtigung ihrer körperlichen Unversehrtheit drohen als in der Einrichtung. Als Beispiel führte das Gericht an, dass Demenzkranke durch einen Ortswechsel extrem verwirrt werden könnten. Im Krankenhaus drohe unter Umständen auch die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit. Müssten Betroffene mit körperlichem Zwang dorthin gebracht werden, könnten sie dabei außerdem verletzt werden.

Zweite Voraussetzung für eine mögliche Ausnahme ist, dass die Wohneinrichtung eine gute medizinische Versorgung bietet. Der Krankenhausstandard müsse nahezu erreicht werden, erklärte das Gericht.

Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener kritisiert das Urteil

Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener kritisierte das Urteil scharf. Damit sei auch außerhalb von Kliniken eine zwangsweise Verabreichung von Medikamenten oder eine Fixierung, zum Beispiel zu Hause, gestattet. "Die Schutzpflicht des Staats gegenüber den Bürgern wird mit diesem Urteil auf perfide Weise ins Gegenteil verkehrt", erklärte Vorstandsmitglied René Talbot.

Gesetzliche Neuregelung bis 2026

Der Betreuer einer Frau mit paranoider Schizophrenie war gegen das Verbot von ärztlichen Zwangsmaßnahmen außerhalb von Krankenhäusern vor den Bundesgerichtshof gezogen. Er wollte, dass ihr die Medikamente gegen die Psychosen, die sie nicht nehmen wollte, in ihrer Wohneinrichtung verabreicht werden dürfen. Die Frau würde in der Klinik retraumatisiert, hatte er angegeben. In der Vergangenheit habe sie teils fixiert werden müssen und einen Spuckschutz bekommen, um zur zwangsweisen Behandlung ins Krankenhaus gebracht zu werden.

Der Bundesgerichtshof legte die Frage dem Verfassungsgericht vor, weil er die geltende Rechtslage für unvereinbar mit der Schutzpflicht des Staates hielt. Der Erste Senat folgte nun dieser Einschätzung. Den Gesetzgeber verpflichteten die Richterinnen und Richter bis Ende 2026 zu einer Neuregelung. Bis dahin gilt das bisherige Recht fort.

AFP, dpa (smk)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. November 2024 | 12:00 Uhr

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