Gesundheitsversorgung Schlaganfall in Mitteldeutschland: Wo es gute und schlechte Chancen auf Rettung gibt
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26. November 2024, 14:18 Uhr
Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten als Todesursache Nummer 1. Eine schnelle Rettung ist essenziell, besonders bei Schlaganfällen. In einer sogenannten Stroke Unit können Patienten besser versorgt werden. Aber in Mitteldeutschland gibt es Regionen, wo eine rechtzeitige Rettung durch lange Fahrtzeiten schwierig wird. Das geht aus einer Analyse des Science Media Center (SMC) hervor.
Plötzlich und ohne Vorankündigung, innerhalb von Minuten kann sich das Leben ändern oder auch mit Vollgas gen Ende rasen. Alles hängt an der Zeit. Vorab: Schlechte Chancen, schnell in einer auf Schlaganfälle spezialisierten Station, einer sogenannten Stroke Unit (SU), zu landen, hatten oder haben mitteldeutsche Schlaganfall-Patienten im Norden von Sachsen-Anhalt (hier wird aber zum Teil nachgebessert), südlich des Thüringer Schiefergebirges, in der Region um Zittau und in Nordsachsen. Hier dauert die Fahrt zur nächsten Stroke Unit oft mehr als 30 Minuten. Laut Notfallmedizin soll die Fahrt in eine Klinik für Menschen mit einem potenziellen Schlaganfall aber nicht länger als eine halbe Stunde dauern.
Wenn Hand und Bein zum Fremdkörper werden
"Mein linkes Bein fing sanft zu kribbeln an, auf dem Schienbein eine Ameisenstraße, dann stärker und verlor seine für mich eindeutige Position im Raum. Mit einer prickelnden Entladung wich schlagartig alle Kraft aus dem linken Arm. Obwohl ich versuchte, meine Handflächen weiter auf das Holz zu pressen, drehte sich die eine auf den Rücken. Ich betrachtete das mit Schrecken, weil es tatsächlich so aussah, als würde meine linke Hand nun sterben." So beschreibt der Schriftsteller Joachim Meyerhoff seinen Schlaganfall, dem er ein ganzes Buch gewidmet hat.
Schlaganfall Ein Schlaganfall ist der schlagartig auftretende Ausfall von Gehirnfunktionen durch einen Gefäßverschluss oder eine Hirnblutung. Quelle: Robert-Koch-Institut.
Besonders hohe Zahl an Schlaganfällen im Osten
Meyerhoff überlebt – auch weil seine Tochter darauf drängt, so schnell wie möglich in ein Krankenhaus mit Stroke Unit zu fahren. Insgesamt 145.000 Menschen erlitten in den vergangenen zehn Jahren allein in Mitteldeutschland einen Schlaganfall. In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, sowie im Saarland sind die relativen Fallzahlen deutschlandweit am höchsten. Bei einem Schlaganfall kommt es auf Minuten an. Nur wer schnell genug auf der Spezialstation ist, hat gute Chancen, die Durchblutung des Gehirns wieder herzustellen und ohne große Schäden davonzukommen.
Nicht jeder Betroffene wird in Stroke-Unit-Klinik gefahren
Allerdings wurde bislang nicht jeder potenziell Betroffene direkt in eine Stroke-Unit-Klinik gefahren. Laut Science Media Center (SMC) ergab eine Umfrage unter Rettungsdiensten im deutschsprachigen Raum im Jahr 2020, dass bis zu einem Drittel der Patientinnen und Patienten mit leichter Symptomatik und bis zu 20 Prozent der schwer Betroffenen in die nächstgelegene Klinik und nicht zwingend in eine zertifizierte Stroke Unit (SU) transportiert wurden. Berechnungen des Bundesgesundheitsministeriums von 2021 untermauern das: jeder vierte Schlaganfall-Patient sei damals nicht in einer SU-Klinik behandelt worden.
Und dafür gibt es zwei naheliegende Gründe. Einer sei die Fahrtzeit, heißt es im SMC-Report. Die Verteilung der Schlaganfallpatienten auf andere Kliniken könnte aber auch in "nicht ausreichenden Kapazitäten" in den Stroke Units begründet sein.
Die Analyse des SMC bezieht sich deshalb nicht nur auf die knapp 350 zertifizierten Schlaganfallstationen, sondern auch auf 127 weitere Klinikstandorte, die zum Beispiel nach eigenen Angaben über eine Stroke Unit verfügen (welche aber bislang nicht zertifiziert ist) und offiziell eine bestimmte Zahl entsprechender Schlaganfall-Diagnosen und Behandlungsprozeduren angegeben haben. Auf diese Weise berücksichtigt der Report insgesamt 476 Klinikstandorte deutschlandweit – davon 158 in Mitteldeutschland.
Stroke Unit Als Stroke Unit werden spezialisierte Akutstationen bezeichnet, die besonders ausgestattet sind und rund um die Uhr spezielle Behandlungsmöglichkeiten anbieten. Deswegen empfiehlt die aktuelle medizinische Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, dass alle Menschen mit Schlaganfall auf einer Stroke Unit behandelt werden sollen.
Konzentration auf Stroke Units: Fahrtzeit verlängert sich für die meisten kaum
Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat den Weg für die Klinikreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) frei gemacht. Die Reform sieht unter anderem eine stärkere Konzentration der Schlaganfallversorgung auf Stroke Units vor. Wenn das Krankenhaus über eine Stroke Unit verfügt, ist das Sterberisiko für Schlaganfallpatienten nachweislich geringer. Zudem steigt bei der Behandlung in einer Schlaganfallstation die Chance, große Schäden des Gehirns und damit verbundene Ausfallerscheinungen abzuweisen.
Laut der SMC-Analyse könnten tatsächlich viel mehr Menschen in Stroke Units behandelt werden, ohne dass sich die Fahrtzeit lebensbedrohlich verlängert. Würde die Versorgung von Schlaganfall-Patienten ausschließlich auf derzeit zertifizierte Stroke Units konzentrieren, blieben die Fahrzeiten für gut 94 Prozent der Bevölkerung immer noch im empfohlenen Rahmen von unter 30 Minuten, ergab die Analyse. Allerdings gäbe es dann auch (meist bevölkerungsarme) Landstriche, in denen die Fahrt zur Behandlung deutlich länger dauert als bisher und auch länger als 30 Minuten. In der folgenden Karte sind diese Gemeinden rot eingefärbt. Deutschlandweit beträfe das potenziell knapp fünf Millionen Menschen (sechs Prozent aller Einwohner).
Altmark: 43 Minuten mehr bis zur nächsten zertifizierten Stroke Unit
Als Beispiel nennt der Report Salzwedel in der Altmark im Norden Sachsen-Anhalts: Hier würde es für 23.000 Einwohnerinnen und Einwohner durchschnittlich etwa 43 Minuten länger dauern, um zur nächsten Stroke Unit zu fahren, als ins Krankenhaus Salzwedel, wo es keine spezielle Schlaganfallstation gibt. Insgesamt sähe es besonders schwierig in elf Städten und Gemeinden aus, wo die Fahrt zur nächsten Stroke Unit mehr als 50 Minuten dauern würde.
Allerdings ist der Norden Sachsen-Anhalts auch ein Beispiel dafür, dass sich gerade etwas tut. Im Krankenhaus Stendal wird gerade eine Stroke Unit etabliert, die aber so neu ist, dass sie in der Datenerhebung noch nicht erfasst wurde. Und auch in Gardelegen können Schlaganfallpatienten bereits fachgerecht behandelt werden, weil das dortige Krankenhaus mittels Telemedizin (Videogesprächen) eng mit der Berliner Charité zusammenarbeitet. Die starke Rotfärbung der Karte im Norden Sachsen-Anhalts ist also gewissermaßen eine zu pessimistische Momentaufnahme.
Sachsen: Zittauer Zipfel mit hohen Fahrtzeiten
In Sachsen liegen die Gebiete mit den längsten Fahrtzeiten ganz im Südosten, im sogenannten Zittauer Zipfel. Wer dort wohnt, muss auch Rettungsfahrten mit teilweise über 50 Minuten in Kauf nehmen, wenn eine zertifizierte Stroke Unit angesteuert werden soll. Ähnlich lange Fahrtzeiten gibt es auch im Nordosten Sachsens rund um Weißwasser und in Teilen des Erzgebirges.
Thüringen ist relativ gut aufgestellt
Thüringen ist im Vergleich mit den anderen beiden Ländern etwas besser aufgestellt. Hier gibt es keine tiefroten Gebiete mit mehr als 50 Minuten Fahrtzeit. Aber mehrere Gemeinden mit mehr als 40 Minuten sind auch hier vorhanden.
Luftrettung und Telemedizin für Gebiete mit über 30 Minuten Fahrtzeit
Das SMC schlägt vor: Für die sechs Prozent, bei denen sich die Fahrtzeit auf über 30 Minuten verlängern würde, müssten spezielle Versorgungskonzepte greifen, zum Beispiel die Luftrettung und telemedizinische Netzwerke. Innerhalb solcher Netzwerke beraten Ärztinnen und Ärzte aus Schlaganfallstationen über Videotelefonie ihre Kolleginnen und Kollegen in Krankenhäusern, die weniger spezialisiert sind – also genau so, wie es schon zwischen der Berliner Charité und dem Krankenhaus Gardelegen bereits seit längerer Zeit praktiziert wird.
Links/Studien
Die Analyse für ganz Deutschland im Original
(A. Lanzke, K. Tominski, R. Rönsch, T. Schildbach, D. Wünschel)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | Sachsenspiegel | 16. November 2024 | 19:00 Uhr
pepe79 vor 7 Tagen
"Wunderbar" eir schnell so wichtige Artikel ständig beim MDR ruck zuck nach unten Rutschen.....dafür wird über jeden AfD und BsW Pups dauerberichtet und die Kommentierbarkeit m nächsten Artikel dazu fortgesetzt.
pepe79 vor 7 Tagen
Da sind wir wieder bei den kleinen Kliniken mit fehlender Expertise! Wobei das beim Herz deutlich besser ist. Viele Patienten egal ob Mann oder Frau werden hier bei uns in Thüringen aufgenommen oder/aber im Abstand von 1-4 Stunden die Herzwerte und das EKG kontrolliert. Manchmal ist auch das unauffällig aber es besteht eine kardiale Erkrankung die dann erst einige Tage später in einem Herzinfarkt mündet. Dies ist leider oft Restrisiko, Gleichzeitig sind wir ein Land in dem es zu viele Herzkatheteruntersuchungen gibt die nicht immer nötig sind. Was wäre hier ein besserere Weg?
Ein Kardio CT darf erst seit kurzen auch ambulant durchgeführt werden, das ist schon ein Fortschritt. Ein weiterer wäre eine deutlich gesünderer Lebensführung, Körpergewicht runter (mehr als 50% in Thür. haben Übergewicht, nur ein Bruchteil kann wirklich nichts dafür). Gute Blutdruck einstellung, Nikotin stop, mehr Bewegung. Wenn das mehr beherzigen brauchen wir weniger über Infarkte in Hirn und Herz reden.
hirundo55 vor 7 Tagen
Danke für den Artikel.es ist wichtig häufig auf diese Krankheit hinzuweisen.eine häufige Problematik sind wohl die Tias, die "kleinen" Schlaganfälle,die "gerne" übersehen werden,bzw nicht bemerkt werden. Am wichtigsten finde ich,bei Verdacht auf schlaganfall lieber einmal mehr die 112 zu wählen,als zu wenig. Auch erste Hilfe allgemein müsste wieder mehr in den Fokus rücken