Weibliche Gefangene im Strafvollzug Hoheneck arbeiten in einer Näherei
Im Gefängnis Hoheneck mussten viele Frauen in der Näherei arbeiten. Bildrechte: Archiv Stiftung Sächsiche Gedenkstätten

Studie DDR-Zwangsarbeit: Viele Firmen im Westen haben profitiert

25. April 2024, 15:17 Uhr

Von der Zwangsarbeit in Gefängnissen der DDR sollen zahlreiche Unternehmen in Westdeutschland profitiert haben. Abnehmer sollen etwa Aldi, Otto oder Quelle gewesen sein, wie aus einer nun vorgestellten Studie hervorgeht. Demnach werden viele der physischen und psychischen Folgeschäden bis heute nicht von den Behörden anerkannt.

Von der oft unmenschlichen Arbeit in DDR-Gefängnissen haben zahlreiche westdeutsche Unternehmen profitiert. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Forschenden der Humboldt-Universität, die am Montagabend in Berlin vorgestellt wurde. Politische Häftlinge wurden demnach etwa in der Herstellung von Damenstrumpfhosen eingesetzt, die später bei Aldi verkauft wurden.

Die Studie weist in vier Beispielen die Lieferketten von ostdeutschen Strafanstalten bis in deutsche Geschäfte, Werkhallen und Versandkataloge nach. Demnach wurden in mehreren DDR-Gefängnissen Elektromotoren für die westdeutsche Firma Josef Scheppach Maschinenfabrik hergestellt. Praktica-Kameras aus einer Cottbusser Strafvollzugsanstalt sollen von Versandhäusern wie Quelle und Otto vertrieben worden sein sowie Audio-Kassetten für die Firma Magna von Sträflingen in Dessau produziert.

Dabei soll es laut den Recherchen viele Arbeitsunfälle gegeben haben. Die Arbeitsschutzvorgaben seien nicht eingehalten worden. Viele der eingesetzten Häftlinge hätten bleibende körperliche und psychische Gesundheitsschäden davongetragen, die bis heute von den Behörden nicht anerkannt würden.

Otto weist Vorwürfe zurück

Auf Anfrage hat Otto dem MDR zu den Vorwürfen schriftlich mitgeteilt, dass die in der Vorstudie "herangezogenen Unterlagen [...] als Beleg nicht ausreichen" würden. Zwar seien im Cottbuser Gefängnis für den VEB Pentacon Gehäuse von Fotoapparaten gestanzt und entgratet worden. "Offen bleibt jedoch, in welchem Zeitraum und in welchem Umfang die Zulieferung erfolgte." Zudem sei parallel auch im Hauptwerk gestanzt und entgratet worden.

"Bei den vom damaligen Otto-Versand vertriebenen Praktica-Modellen besteht daher eine hinreichend große Wahrscheinlichkeit, dass diese gar keine Teile aus Häftlingsarbeit enthielten." Deshalb sehe Otto "bei allem Verständnis für die ehemaligen DDR-Zwangsarbeiter – weder eine rechtliche noch eine 'ethische' Verantwortung".

Aldi bedauert Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen

Der Discounter Aldi-Nord hat sich ebenfalls zu den Ergebnissen der neuen Studie geäußert: "Wir bedauern und verurteilen die in der ehemaligen DDR offenbar übliche Praxis, politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang für die Produktion von Gütern einzusetzen", erklärte ein Unternehmenssprecher am Donnerstag. Laut den Recherchen sollen Häftlinge in der DDR Feinstrumpfhosen produziert haben, die in Westdeutschland in Aldi-Supermärkten verkauft wurden.

Es sei richtig, dass es in der Vergangenheit über DDR-Außenhandelsbetriebe Geschäftsbeziehungen zum VEB Strumpfkombinat Esda Thalheim gab, sagte der Unternehmenssprecher. Dass einzelne Produktionsschritte an das DDR-Frauengefängnis Hoheneck vergeben wurden, sei Aldi Nord aber erst 2013 bekannt geworden. Aufgrund des großen zeitlichen Abstands zu den Vorkommnissen könnten die Details jedoch nicht mehr in dem Umfang aufbereitet werden, der für eine abschließende Bewertung einer Entschädigungslösung nötig wäre.

Bis zu 30.000 Häftlinge pro Jahr zur Arbeit gezwungen

Die Studie "Zwangsarbeit politischer Häftlinge in Strafvollzugseinrichtungen der DDR" ist durch die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) beauftragt worden. Dafür haben zwei Wissenschaftler um den Historiker Jörg Baberowski vom Lehrstuhl für Osteuropawissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität unter anderem Protokolle, Korrespondenzen und Lieferaufträge ausgewertet. Zudem haben sie Zeitzeugen befragt. Die beiden Historiker betonten bei der Vorstellung ihrer Recherchen, dass die 120 Seiten umfassende Studie nur die Vorarbeit für eine notwendige Hauptstudie gewesen sei.

In der DDR sind ab den Fünfzigerjahren bis 1989 jedes Jahr 15.000 bis 30.000 Häftlinge zur Arbeit gezwungen worden, so Studienautor Markus Mirschel. Diese seien vor allem in solchen Bereichen eingesetzt worden, in denen zivile Arbeitskräfte wegen der schlechten Arbeitsbedingungen nicht arbeiten wollten, etwa in der Chlorproduktion im Chemiekombinat Bitterfeld.

epd/dpa (mpö)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL TV | 23. April 2024 | 19:30 Uhr

19 Kommentare

THOMAS H vor 1 Wochen

"Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz - StVollzG)
§ 41 Arbeitspflicht"

Soviel, @Untertan, zu "Meines Wissens gilt es heute in den Haftanstalten als Privileg, arbeiten zu dürfen."

W.Merseburger vor 1 Wochen

Dieser Artikel provoziert praktisch mehr Fragen als Antworten. Die Lesart in der damaligen DDR war, dass die zu Gefängnis verurteilten Bürger durch Arbeit ihren Lebensunterhalt selbt verdienen mussten . Leider weiss ich nicht, wie in den gegenwärtigen JVA dies gehandhabt wird. Es wäre doch ein Hohn, wenn die zahlreich Einsitzenden zahlungsunfähigen Kleinkriminellen im Vollzug vom Steuerzahler (Arbeitsamt) ernährt würden.

THOMAS H vor 1 Wochen

"... und sich damit mitschuldig gemacht haben."

Mit welchem Satz, wertes MDR-Team, wird diese Behauptung in dem Artikel deutlich?

Die Kernaussage ist einzig und allein, daß die westdeutschen Unternehmen" Von der oft unmenschlichen Arbeit in DDR-Gefängnissen ..." profitiert haben.

Eine Mitschuld ist für mich daraus nicht zu erkennen.

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