Eine glückliche Familie an einem See
Die Idee vom guten Leben in der Gemeinschaft, darum geht es beim Thema Gemeinwohl. Was das konkret bedeutet, davon haben die meisten MDRfragt-Mitglieder für sich persönlich eine klare Vorstellung. Bildrechte: IMAGO/Westend61

MDRfragt MDRfragt-Mitglieder besorgt um das Gemeinwohl in ihrer Region

20. September 2023, 05:00 Uhr

Eine große Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmenden hat eine klare Vorstellung davon, was Gemeinwohl konkret für sie bedeutet. 72 Prozent haben aber auch den Eindruck, dass dem Gemeinwohl in ihrer Region nicht genug Beachtung geschenkt wird. Das zeigt eine nicht repräsentative, aber gewichtete Befragung von MDRfragt unter mehr als 20.000 Menschen in Mitteldeutschland.

Es wird zu wenig getan für das Gemeinwohl in der Region: Dieses Gefühl eint rund drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der aktuellen MDRfragt-Befragung.

Zu wenig Beachtung für Klimawandel in eigener Region
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Viele sehen Politik in der Pflicht

Woran sie ihr Empfinden festmachen, haben uns die Mitglieder ausführlich in ihren Kommentaren geschrieben. Und darin lässt sich vor allem ein großer Wunsch erkennen: Die Politik solle mehr für das Gemeinwohl tun – und dafür auch gezielt Gelder aufwenden. Höhere Sozialausgaben wünscht sich beispielsweise Frank (60) aus dem Ilm-Kreis: "Mehr Geld für das Bildungswesen und die Kommunen, für Kultur- und Sporteinrichtungen und andere Freizeiteinrichtungen, insbesondere für die Jugend." Andere Befragte fordern weniger Ausgaben für Projekte im Ausland – um dafür in ihren Augen sinnvollere, gemeinschaftsstiftende Projekte im Inland zu finanzieren.

Politik sollte auf die Bürger hören.

Günter (73) aus Chemnitz

Nicht nur die Verteilung von Geldern wird kritisiert, wenn es darum geht, eine Gemeinwohl-orientiertere Politik zu ermöglichen. Viele Befragte wünschen sich, die Bevölkerung stärker in Entscheidungen einzubinden. "Politik sollte auf die Bürger hören", sagt Günter (73) aus Chemnitz. Das könnte beispielsweise durch eine größeres Mitspracherecht erfolgen, findet Ullrich aus dem Erzgebirgskreis: "Bürgerentscheide bei wichtigen kommunalen Themen."

Sorge ums Gemeinwohl wächst mit dem Alter

Timo Meynhardt
Wirtschaftspsychologe Timo Meynhardt forscht zum Thema Gemeinwohl Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Ergebnisse von MDRfragt zeigen: Mit dem Alter der Befragten wächst die Sorge ums Gemeinwohl. "Die Gründe sind vielfältig", ordnet der Leipziger Wirtschaftspsychologe Prof. Timo Meynhardt ein. Er forscht zum Thema Gemeinwohl und ist einer der Gastgeber der Europäischen Public Value Konferenz. "Eine wichtige Rolle spielt ganz bestimmt das mit dem Lebensalter wachsende Bewusstsein eigener Endlichkeit und der damit verbundene Wunsch, etwas Bleibendes für andere zu leisten. Ein Punkt ist auch die wachsende Erkenntnis, wie bedeutsam ein gemeinwohlfreundliches Umfeld für das eigene Fortkommen ist", ordnet Meynhardt die Ergebnisse ein.

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Do 21.09.2023 14:05Uhr 11:36 min

https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/mdrfragt/video-756966.html

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Gemeinwohl: Verantwortung wird von Mehrheit bei sich selbst gesehen

Der deutlichen Mehrheit der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ist klar, dass nicht die Politik allein dafür sorgen kann, damit es klappt mit dem Gemeinwohl in der Gesellschaft. Rund drei Viertel haben das Gefühl, dass sie mit ihrem eigenen Verhalten selbst zum Gemeinwohl beitragen.

Gefühl, selbst zu Gemeinwohl beizutragen
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Viele verbinden damit zum Beispiel das Engagement im Ehrenamt und wünschen sich, dass dies auch in der Gesellschaft gewürdigt wird. "Menschen, sowie Betriebe und Organisationen, die sich ums Gemeinwohl kümmern, müssen auch Anerkennung und Wertschätzung erfahren", meint Sybille (70) aus Leipzig. Ähnlich sieht es Gabriele (76) aus dem Saale-Orla-Kreis: "Das Ehrenamt braucht mehr Würdigung, damit auch jüngere Menschen sich dafür entscheiden."

Arbeit in gemeinwohl-orientierter Firma vor allem bei Unter-30-Jährigen beliebt

Knapp die Hälfte der Befragten bevorzugen es, für eine Gemeinwohl-orientierte Firma zu arbeiten – selbst, wenn sie dadurch weniger verdienen würden. Diese Einstellung überwiegt bei den Befragten unter 30 Jahren und nimmt mit dem Alter der Befragten ab.

Bereitschaft, für weniger Geld zu arbeiten bei gemeinwohl-orientiertem Unternehmen
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Diese Unterschiede in den Altersgruppen könnten an veränderten Einstellungen zum materiellen Erfolg liegen, sagt Gemeinwohl-Forscher Meynhardt und ergänzt: "Auf den zweiten Blick ist es vielleicht auch ein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines gemeinwohlorientierten Umbaus der Wirtschaft."

Drei Viertel für stärkere Strafen bei Gemeinwohl-schädigendem Verhalten

Organisationen und Unternehmen, die dem Gemeinwohl schaden, sollten strenger bestraft werden. Das fordern drei Viertel der Befragten.

Strafe für Unternehmen, die Gemeinwohl schaden
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So fordert auch Jan (36) aus Halle bezüglich des Gemeinwohls: "Mehr Anreize dafür und stärkere Strafen dagegen setzen!"

Mehr Anreize dafür und stärkere Strafen dagegen setzen!

Jan (36) aus Halle

Ein Drittel findet, dem Klimawandel wird zu wenig Beachtung geschenkt

Der Klimawandel hat große Auswirkungen, auch auf das Gemeinwohl. Davon geht Public-Value-Experte Meynhardt aus: "In den letzten Jahren ist die Einsicht gewachsen, dass die Auswirkungen des Klimawandels uns alle und damit das Gemeinwohl betreffen. In den nächsten Jahren werden die Gemeinwohlkonflikte zunehmen, wenn sich der Klimawandel immer mehr im Alltag bemerkbar macht." Zum jetzigen Zeitpunkt hat gut ein Drittel der Befragten das Gefühl, dass dem Klimawandel in der Region zu wenig Beachtung geschenkt wird.

MDR fragt – Zu wenig Beachtung für Klimawandel
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Unterschiedliche Vorstellungen vom konkreten Begriff "Gemeinwohl"

Nicht für alle steht das Thema Klimawandel bereits im Fokus, wenn es um die Auffassung von "Gemeinwohl" geht. Das zeigt der Blick in die unterschiedlichen Definitionen, die uns die MDRfragt-Mitglieder in ihren Kommentaren geschrieben haben. Eine Auswahl davon haben wir hier zusammengefasst:

Die unterschiedlichen Definitonen der MDRfragt-Community

"Unter Gemeinwohl verstehe ich, dass jeder Bürger entsprechend seinem in die Gesellschaft eingebrachten Anteil sein Leben führen kann. Manche leben aber auch ohne erbrachten Anteil", meint Rolf (72) aus dem Erzgebirgskreis. Auch Ilka (72) aus Erfurt definiert Gemeinwohl mit: "Jedem das, was er selber einbringt."

Andreas (59), ebenfalls aus dem Erzgebirgskreis, definiert Gemeinwohl hingegen als: "Alles, was der Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu mehr Wohlstand verhilft." Ähnlich ist auch die Definition von Sabine (60) aus Hildburghausen: "Das Verhalten des Einzelnen muss der Gesellschaft dienen."

Sandy (38) aus dem Ilm-Kreis erklärt Gemeinwohl hingegen so: "Es geht allen gut". Ebenso definiert auch Heiko (54) aus der Börde den Begriff.

Einen selbstbezogenen Ansatz hat hingegen Mandy (56) aus Chemnitz: "Gemeinwohl bedeutet für mich, so zu leben und zu arbeiten, dass ich mich in die Gesellschaft einbringe. Zum Wohl der Gesellschaft. Durch Arbeit, Ehrenamt, Rücksicht, Achtsamkeit." Auch Berit (62) aus Erfurt sieht eine klare Verantwortung bei jedem Einzelnen: "Alle sollten sich nach ihren Möglichkeiten in die Gemeinschaft einbringen, zum Wohle aller."

Auch, wenn es in der MDRfragt-Gemeinschaft unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, was Gemeinwohl konkret bedeutet, haben dennoch die allermeisten für sich selbst eine Definition gefunden. 82 Prozent können mit dem Begriff etwas verbinden.

Klare Vorstellung "Gemeinwohl"
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Dass es Unterschiede in der Vorstellung von "Gemeinwohl" gibt, ist für Meynhardt nicht überraschend: "Natürlich urteilt jeder aus seiner konkreten Lebenssituation heraus. Der kleinste gemeinsame Nenner ist der Gedanke der Verbundenheit, der gegenseitigen Unterstützung über den persönlichen Vorteil hinaus."

Gemeinwohl gehört, wie "Liebe" oder "Freiheit" zu jenen großen Begriffen in unserem Leben, die bei aller Schnittmenge (zum Glück) offen für individuelle Meinungen sind.

Timo Meynhardt, Wirtschaftspsychologe und Public-Value-Forscher

Er selbst, der übrigens auch als wissenschaftlicher Beirat MDRfragt berät, definitiert den Begriff als "die Idee vom guten Leben in der Gemeinschaft". Und, so seine Einschätzung: Der Begriff soll im Idealfall auch Raum für Diskussionen lassen. "Innerhalb eines bestimmten Rahmens sollte das Gemeinwohl ausgehandelt werden."

MDRfragt ist das Meinungsbarometer des MDR, an dem sich alle Menschen in Mitteldeutschland beteiligen können, wenn sie wollen. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse nicht repräsentativ. Wir gewichten sie jedoch nach wissenschaftlichen Kriterien, um die Aussagekraft zu erhöhen. Da viele MDRfragt-Mitglieder ihre Position in Kommentaren begründen, kann MDRfragt auch die Argumente hinter den Stimmungsbildern aufzeigen.


Über diese Befragung Die Befragung fand vom 01.-05.09.2023 statt.

Insgesamt sind bei MDRfragt 65.587 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 05.09.2023, 18:00 Uhr).

22.365 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 173 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 2.876 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 9.485 Teilnehmende
65+: 9.831 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 11.311 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 5.442 (24 Prozent)
Thüringen: 5.612 (25 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 9.029 (40 Prozent)
Männlich: 13.271 (59 Prozent)
Divers: 65 (0,3 Prozent)

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 20. September 2023 | 21:45 Uhr