Fentanyl-Zitrat-Fläschchen
Fentanyl gehört zu den Opioiden. Sie können starke Verwirrtheit und Schwindel hervorrufen. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Medizin Experten warnen vor Opioiden als Allzweck-Schmerzmittel bei Älteren

25. Dezember 2023, 12:31 Uhr

Opioide wie etwa Fentanyl werden in der Schmerztherapie eingesetzt. Nach Operationen und bei Tumor-Erkrankungen leisten sie gute Dienste. Immer mehr werden Opioide jedoch auch Älteren gegen alle möglichen Schmerzen verschrieben. Experten sehen das kritisch, da die Mittel erhebliche Nebenwirkungen verursachen.

Opioide würden zum Alltag gehören, sagt Tania Zieschang, ohne sie würde sie gar nicht auskommen. Zieschang ist Direktorin der Universitätsklinik für Geriatrie in Oldenburg. Die Spezialistin für die Medizin des alten Menschen erklärt, dass der richtige Umgang mit den Medikamenten wichtig sei: "Man muss bei älteren Menschen bedenken, dass die Verstoffwechselung von Medikamenten – eben auch von Opioiden – erheblich verlangsamt sein kann. Das heißt, wir müssen mit deutlich geringeren Dosierungen arbeiten und sehr vorsichtig vorgehen."

Geriaterin warnt vor Nebenwirkung wie Verwirrtheit

Die Schmerztherapie müsse außerdem multimodal sein, ergänzt Zieschang. Auch die Psyche und Bewegung würden mit einbezogen. Opioide könnten insbesondere bei älteren Menschen Nebenwirkungen wie Schwindel und Verwirrtheit haben. Ohnehin hätten Opioide ein höheres Risiko für ein sogenanntes Delir, sagt die Geriaterin. Das sei eine akute Bewusstseins- und Wahrnehmungsstörung mit extremer Verwirrtheit: "Opioide sind Medikamente, die ein sehr, sehr hohes Delir-Risiko haben – insbesondere wenn sie zu hoch dosiert sind." Einfach ein Pflaster aufzukleben, sei deshalb keine gute Lösung. Man müsse "sich wirklich ganz vorsichtig an die richtige Dosierung herantasten".

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Eine junge Frau mit den Händne vorm Gesicht - dahinter Medikamente. Symbolbild Medikamentenabhängigkeit 27 min
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27 min

2,3 Millionen Deutsche sind medikamentenabhängig, vor allem von Benzodiazepinen und Opioiden. Spätestens seit der Corona-Pandemie nehmen immer mehr junge Leute Benzos – mit gravierenden Folgen.

MDR AKTUELL Fr 21.04.2023 09:47Uhr 27:02 min

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Die Pflaster, von denen Zieschang spricht, sind eine Darreichungsform von Opioiden. Sie werden aufgeklebt und das Fettgewebe unter der Haut nimmt den Wirkstoff auf. Das sei eher etwas für Menschen, die Probleme beim Schlucken hätten, Tabletten ließen sich viel besser dosieren.

Arzt: Deutschland ist Land der Fentanylpflaster

Doch die Pflaster seien in Deutschland äußerst beliebt, erklärt Winfried Meißner, Leiter der Sektion Schmerztherapie am Universitätsklinikum Jena: "Deutschland ist das Land der Fentanylpflaster." Patientinnen und Patienten würden diese aus eher irrationalen Gründen mögen, sagt Meißner: "Aber auch viele Verschreibende bevorzugen diese Therapie – und das ist schon etwas kritisch zu hinterfragen."

Pflaster mit dem Wirkstoff Fentanyl sind in einer Schublade zu sehen.
In Deutschland beliebt: Pflaster mit dem Wirkstoff Fentanyl Bildrechte: picture alliance/dpa | Carsten Rehder

Meißner erklärt, dass das Ziel in der Schmerztherapie eigentlich sei, alle Schmerzmittel zu reduzieren. Meist bekämen seine Patienten bereits Opioide, bevor sie zu ihm kämen, oft ließen sie sich auch wieder absetzen: "In jedem Fall sollte man alle anderen Möglichkeiten der Schmerztherapie vorher ausloten. Opioide sind fantastische Medikamente. Sie schädigen kein Organ direkt." Aber sie müssten sorgfältig eingesetzt werden, "so niedrig wie möglich, so kurz wie möglich". Opioide seien niemals Mittel der ersten Wahl.

Auswahl an Schmerzmitteln für Ältere nicht sehr groß

Doch bei vielen alten Patientinnen und Patienten gebe es ohnehin kaum mehr eine Wahl bei den Schmerzmitteln, erklärt der Saarbrücker Medizin-Professor Winfried Häuser. Die meisten sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika wie Diclofenac oder Ibuprofen seien ungeeignet, weil sie unter anderem die Nieren, den Magen oder das Herz schädigen können.

Häuser sagt: "Für ältere Patienten mit chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen, vielen anderen internistischen Erkrankungen wie Herzerkrankungen, Lebererkrankungen, Nierenerkrankungen kommt außer den Opioiden praktisch nur noch das Metamizol infrage. Mit anderen Worten: Es gibt da nicht so eine große Auswahl von Schmerzmitteln."

Der aktuelle Barmer Arzneimittelreport zeigt, dass Versicherten ohne Tumor-Erkrankung ab 80 Jahren im Jahr 2021 5,5-mal häufiger Opioide verordnet wurden als Versicherten bis zu 64 Jahren. Insgesamt haben etwas mehr als 18 Prozent aller über 80-Jährigen ein Opioid verordnet bekommen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 25. Dezember 2023 | 12:11 Uhr

4 Kommentare

kleinerfrontkaempfer vor 20 Wochen

Während meiner Berufszeit habe ich sehr, sehr oft Kollegen erlebt die Schmerzmittel (z.B. Ibuprofen) zu den Mahlzeiten oder auch so "zwischendurch" schluckten. Durch körperliche Arbeit, Schichten, Mehrarbeit hat sich bereits in jungen Jahren und dann verstärkt ab dem mittleren Alter der Verschleiß bemerkbar gemacht. Und bis zum Ruhestand ist es dann noch sehr weit.
Da muß man kein Experte sein um diesen Fortgang von Medikamentengebrauch bei älteren Menschen zu bemerken. Wer 40....45 Jahre voll im Beruf stand der kann sich glücklich schätzen wenn er weiter von Leiden und Krankheiten wie im Beitrag beschrieben verschont bleibt.

pepe79 vor 20 Wochen

Tja und Metamizol kommt in Verruf eine Agranulozytose auslösen zu können. Die Nutzen Risiko abwägung (keine NSAR wegen Herz und Niere, keine Opioide wegen Delirgefahr und verlangsamung des Stoffwechsel) akzeptieren die Behörden nicht wenn es um die Verschreibung von gut verträglichen Canabinoiden geht,dafür muss das immer erst alles in Kombination auf Anschlag sein!
Was soll man also tun?
Vlt. schafft die Canabislegalisierung da etwas abilfe.

HelmutLadwig vor 20 Wochen

Bei Kommentaren wie dem Ihren kein Wunder.

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