Carsharing Parkplatz, Piktogramm mit vier Personen und einem Fahrzeug
Neue Verkehrskonzepte als Schlüssel zur Verkehrswende auf dem Land? Bildrechte: IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Verkehrswende Car-Sharing könnte Zweitwagen überflüssig machen

13. November 2023, 08:13 Uhr

Ohne Auto geht auf dem Land nichts. Mit intelligenten Sharing-Angeboten könnten aber auch hier viele Pkws überflüssig werden. Forscher erklären, wie die Verkehrswende auch in ländlichen Regionen gelingen kann – und was es dafür noch braucht.

Der letzte Supermarkt vor Ort geschlossen, Schule und ärztliche Praxen dutzende Kilometer entfernt und der Bus fährt nur vier Mal am Tag – in ländlichen Regionen geht ohne Auto oft nichts. Gerade hier wird die Verkehrswende zu einer besonderen Herausforderung. Nach Daten des Thinktanks Agora Verkehrswende haben sich allein von 2002 bis 2017 die durchschnittlichen Kilometer pro Weg im ländlichen Raum um 24 Prozent erhöht. Grund für die zunehmend längeren Wege seien insbesondere dünner werdende Angebote für die Grundbedürfnisse.

Großer Handlungsbedarf im Bereich Verkehr

Um die Verkehrswende zu schaffen, braucht es daher nach Ansicht von Fachleuten verschiedene Instrumente, die über rein verkehrspolitische Maßnahmen hinausgehen. Am Handlungsbedarf gibt es keine Zweifel: Der Verkehrssektor reißt seit Jahren seine Klimaziele. Nach Modellierungen des Umweltbundesamtes stößt der Bereich auch in Zukunft deutlich mehr Treibhausgase aus als im Klimaschutzgesetz vorgesehen: Bis zum Jahr 2030 könnte die zugelassene Höchstmenge um 210 Millionen Tonnen Treibhausgas überschritten werden.

Zugleich steigt die Zahl privater Pkws kontinuierlich an, vor allem in ländlichen Regionen. In Thüringen hat das Eichsfeld mit 646 Autos pro 1.000 Personen die höchste Pkw-Dichte. Vor zehn Jahren waren es noch 560. Rufbusse ergänzen hier in Randzeiten das Angebot der Linienbusse. Michael Raabe, Geschäftsführer der Eichsfeldwerke, ist aber skeptisch, dass das bestehende Rufbus-System Menschen dazu bewegen kann, ihren privaten Pkw stehen zu lassen.

Dennoch sieht er die Rufbusse als Erfolg: Ohne diesen "hätten wir die Linie von A bis Z durchfahren müssen und hätten natürlich wesentlich mehr Kraftstoff verbraucht", sagt Raabe. Je nach Bedarf der Fahrgäste fahren die Rufbusse etwa verkürzte Routen – im Schnitt 22 Prozent der Leistung. Laut Raabe können so im Vergleich zu festen Linienbussen pro Jahr 278 Tonnen CO2 eingespart werden.

Forscher: Alltags-Mobilität unabhängig vom eigenen Auto ermöglichen

Andreas Knie
Mobilitätsforscher Andreas Knie Bildrechte: dpa | Uwe Anspach

Deutlich optimistischer schätzt Verkehrsforscher Andreas Knie die Möglichkeiten von sogenannten On-Demand-Angeboten ein. Der Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ist sicher: Moderne und flexible Angebote im öffentlichen Nahverkehr könnten mindestens die Hälfte aller Pkws im ländlichen Raum ersetzen. Das entspreche etwa der Zahl an Fahrzeugen, die derzeit als Zweitwagen mehr eine Reserve-Funktion erfüllten.

Auch Verkehrsökologe Jens Borken-Kleefeld von der TU Dresden betont das Ziel, im ländlichen Raum "Alltags-Mobilität ohne zwingende Nutzung eines eigenen Pkw zu ermöglichen" – also den täglichen Weg zur Arbeit sowie Wege für Alltagserledigungen. Um Zweitwagen zu ersetzen, braucht es nach seiner Einschätzung zwei Voraussetzungen: Flexible und kostengünstige Car-Sharing-Modelle sowie Einkaufs- und Versorgungsmöglichkeiten, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Etwa 10.000 Kilometer pro Jahr ließen sich dadurch für eine Familie einsparen – Wege, die bisher mit einem Zweitwagen zurückgelegt würden.

Etwa 15.000 Kilometer pro Jahr mit dem Erst-Pkw blieben nach seinen Berechnungen bestehen. Mit insgesamt 40 Prozent ließe sich aber ein erheblicher Teil der Pkw-Kilometer einsparen oder verlagern – im besten Fall auf Fahrzeuge, die mit regenerativem Strom betrieben werden. "Mit einer solchen Anpassung im Verhalten und Lebensstil wären also sehr große CO2-Einsparungen möglich", sagt Borken-Kleefeld. Zudem ist der Wissenschaftler sicher, dass eine größere Unabhängigkeit vom Auto die Lebensqualität steigere.

Schlüsselrolle in der Verkehrswende

Langfristig lassen sich nach Einschätzung von Knie sogar mehr Autos als die Zweit-Pkws ersetzen. Mit teilautonomen oder ganz autonomen Shuttles ließe sich der Bestand privater Pkws im ländlichen Raum auf ein Fünftel der aktuellen Fahrzeuge reduzieren, ist der Verkehrsforscher überzeugt. "Diese On-Demand-Verkehre spielen eine regelrechte Schlüsselrolle in der Verkehrswende", sagt Knie.

In Städten wie Leipzig, Dresden oder Halle sei die Verkehrswende schon in Gang gesetzt. Tägliche Wege würden häufiger zu Fuß, mit dem Fahrrad, ÖPNV oder mit Sharing-Diensten zurückgelegt. Am Stadtrand und im ländlichen Raum dagegen sei das private Auto noch mit Abstand Verkehrsmittel Nummer eins.

Mehr Flexibilität und dauerhafte Finanzierung nötig

Um diese auch tatsächlich mit On-Demand-Angeboten zu ersetzen, gilt es in der praktischen Umsetzung laut Knie einiges zu beachten. Schließlich wolle man nicht in erster Linie diejenigen erreichen, die ohnehin schon mit Bus und Bahn unterwegs sind. Vielmehr müsse man diejenigen zurückgewinnen, die jetzt ein Auto haben. "Und die müssen einen Dienst haben, der besser ist als das eigene Auto", sagt Knie.

2021 hat eine Novelle des Personenbeförderungsrechts den Verkehrsunternehmen bereits mehr Möglichkeiten gegeben, um Linienbedarfsverkehre auszubauen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen spricht von einem guten Schritt. Die Zahl der On-Demand-Projekte sei seitdem sprunghaft gestiegen.

Davon sei aber vieles noch stark in der Tradition des öffentlichen Nahverkehrs gedacht, wendet Knie ein. Dabei müsse man wegkommen von festen Routen und Fahrtzeiten. In ersten Modellprojekten können Fahrgäste bereits individuelle Routen nach ihren jeweiligen Bedürfnissen berechnen lassen. So fallen etwa umständliche Umstiege und lange Wartezeiten weg. Ein solches Pilotprojekt wird seit Juni 2022 auch im Norden von Dresden mit dem Mobi-Shuttle getestet.

Die meisten größeren Projekte gebe es aber bisher in Westdeutschland, sagt Knie. Aus seiner Sicht braucht es aktuell vor allem zwei Dinge, um den On-Demand-Verkehr im ländlichen Raum im großen Stil auszurollen: Die Fahrzeuge müssten in einer weiteren Anpassung des Personenbeförderungsgesetzes ohne jegliche Zwänge betrieben werden können. Zudem brauche es statt einzelner Projekte eine dauerhafte Finanzierung. "Der Wille, das machen zu wollen, ist gut", meint Knie. Noch fehle es aber an der Bundesfinanzierung.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 13. November 2023 | 21:45 Uhr

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