Faktencheck Falsche Narrative: Newskanal auf TikTok verzerrt Aussagen von Katrin Göring-Eckardt
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08. September 2024, 05:00 Uhr
Angeblich soll die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt zur "Denunziation" von rechten Verwandten aufgerufen haben. Das stimmt so allerdings nicht. Ein Video auf TikTok verzerrt die Aussagen der Politikerin bis ins Unkenntliche und erreicht damit hundertausende Menschen.
- "Apollo-News" behauptet: Grünen-Politikerin ruft dazu auf, rechte Verwandte zu denunzieren
- Aussagen von Katrin Göring-Eckardt wurden "bösartig zusammengefasst"
- Göring-Eckardt forderte Beratungsstellen für Betroffene
- "Denunziation" bedeutet etwas völlig anderes
- Medienberichte gelöscht, "Apollo-News"-Video bleibt online
"Es gehört schon sehr viel Mut dazu, in einer ehemaligen DDR-Stadt zur Denunziation der Familie auszurufen", echauffiert sich die Presenterin des TikTok-Kanals "Apollo-News" in einem Video mit dem Titel "Rechte Verwandte melden". Sie berichtet von einem Auftritt der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt auf einer Veranstaltung der Bildungsbewegung German Dream in Halle Ende August. Mit ernstem Blick schaut die Presenterin in die Kamera und fährt fort "Göring-Eckardt nennt unter anderem das Beispiel des Erbonkels, der mal wieder blöde Sprüche macht".
Es geht überhaupt nicht darum, jemanden zu melden. Es geht darum, Betroffene von rechten Parolen nicht allein zu lassen.
Göring-Eckardts Presseprecher: "Das ist bösartig zusammenfantasiert"
Das Büro von Katrin Göring-Eckardt zeigt sich bestürzt über das Video von "Apollo-News". Göring-Eckardts Pressesprecher schreibt auf Anfrage von MDR AKTUELL, "das ist bösartig zusammenfantasiert". Und weiter: "Es geht überhaupt nicht darum, jemanden zu melden. Es geht darum, Betroffene von rechten Parolen nicht allein zu lassen."
Bei der Veranstaltung von German Dream habe Göring-Eckardt deutlich gemacht, dass es schwierig sei, in der Familie oder Nachbarschaft mit rechtsextremen Parolen umzugehen. Sie halte es daher für notwendig, Menschen zu helfen, die sich unsicher oder gar bedrängt fühlen im Umgang mit rechtsextremen Parolen. Für die Grünen-Politikerin brauche es "überall leicht zugängliche Beratung, damit Menschen, egal wo sie wohnen, Unterstützung erhalten können, zum Beispiel mit Tipps zum Umgang mit rechtsextremen Parolen oder auch Beratung zu Sicherheit und Recht." Diese Forderung wird auch in einem Video-Ausschnitt deutlich, den die German Dream-Gründerin Düzen Tekkal auf der Plattform "X" geteilt hat.
Keine Pressevertreter auf der Veranstaltung
Auf Anfrage von MDR AKTUELL teilte German Dream mit, dass keine Pressevertreter für die Veranstaltung namens "German Dreamer braucht das Land - Für eine Gesellschaft der Vielfalt und Chanchen" angemeldet waren – somit also auch niemand aus der Redaktion von "Apollo-News". Während der Veranstaltung saß die Gründerin der Organisation, Düzen Tekkal, neben Katrin Göring-Eckardt. Sie teilt MDR AKTUELL mit: "Die Aussagen von Katrin Göring-Eckardt sind vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen."
Die Aussagen von Katrin Göring-Eckardt sind vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen.
Bei der Veranstaltung sei es darum gegangen, ehrenamtliches Engagement zu stärken – gerade an Orten, in denen rechtsextreme und neu-rechte Akteure dies immer wieder erschweren. Tekkal versichert: "Ich saß während des besagten Panels neben ihr und an keiner Stelle ging es da in ihren Aussagen um eine irgendwie geartete "Denunziation" von Menschen! Das wissen auch diejenigen, die jetzt versuchen, ihr eigenes Narrativ zu spinnen, um Stimmung gegen Menschen zu machen, die sich für unsere Demokratie und Rechtsextremismus einsetzen."
"Denunziation" - ein schwerer Vorwurf
Karin Göring-Eckardt hat also nie davon gesprochen, dass andere Menschen gemeldet werden sollen, sondern spricht sich für Stellen aus, bei denen man sich melden kann, wenn man nicht weiß, wie man mit rechten Parolen umgehen soll.
Das zeigt auch die Begriffsdefinition von der Historikerin und Autorin Dr. Anita Krätzner-Ebert auf Anfrage von MDR AKTUELL. Sie fasst die Bedeutung zusammen: "Als Denunziation bezeichnet man die Anzeige einer Privatperson über politische Delikte bei einer übergeordneten staatlichen Instanz, die dann Bestrafung ausüben soll." Diese Delikte sehe ein Großteil der Gesellschaft als nicht bestrafungswürdig an, eine strafrechtliche Verfolgung finde trotzdem statt. Als Beispiele nennt Krätzner-Ebert die zur DDR-Zeiten übliche Verfolgung von Menschen, die in den Westen fliehen wollten oder politische Flugblätter gedruckt haben.
Als Denunziation bezeichnet man die Anzeige einer Privatperson über politische Delikte bei einer übergeordneten staatlichen Instanz, die dann Bestrafung ausüben soll.
Berichte über die vermeintliche Aussage der Politikern gelöscht
Medienberichte zu dem Auftritt und der angeblichen Aussage von Katrin Göring-Eckardt gab es kaum. Lediglich auf einem rechtspopulistischen Blog und auf einer Seite für den An- und Verkauf von Edelmetallen fanden sich dazu Artikel. Beide Einträge wurden nach Anfragen von MDR AKTUELL von den Betreibern der Seiten gelöscht.
Zumindest von dem Blog kam noch der Hinweis per Mail, dass die Quelle für den Eintrag "Apollo-News" war. "Apollo-News" selbst hat bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht auf eine Anfrage zur Stellungnahme von MDR AKTUELL geantwortet.
Das Video von "Apollo-News" ist jedoch weiterhin bei TikTok online – und damit auch die Vorwürfe gegen Katrin Göring-Eckardt. Der TikTok-Kanal gehört zu einem gleichnamigen Magazin mit dem Slogan "Das Magazin für die Freiheit". Insgesamt zeigt sich auf dem TikTok-Kanal, wie auch im Magazin eine stark libertäre und teils rechtspopulistische Haltung der Autorinnen und Autoren.
Eine Mehrheit von ihnen ist nach 2000 geboren, einige schreiben Beiträge für den rechtspopulistischen Blog ACHGUT, sowie für das liberal-konservative Magazin Tichys Einblick. Das selbsterklärte Ziel von "Apollo-News" ist es, Journalismus zu betreiben, der stört. Das Magazin wird durch Spenden und Werbeeinnahmen finanziert. Beiträge gegen Grünen-Politiker und Grünen-Politikerinnen sind ein Dauerbrenner auf dem TikTok-Kanal von "Apollo-News".
Bis Freitagnachmittag (06.09.2024, 15:00 Uhr) hatte das Video zu Katrin Göring-Eckardt auf TikTok mehr als 219.400 Aufrufe und ist rund 3.300 mal geteilt worden. In den rund 2.000 Kommentaren liest man etwa Sätze wie: "Und wann müssen wir uns wieder mit 'Genosse' ansprechen?" oder "Das Politbüro hat ihren Staat auch immer als 'Demokratie' bezeichnet..."
Auffällig ist außerdem die Caption – also Beschreibung des Videos. Hier ist zu lesen: "Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt hat sich bei einer Diskussionsveranstaltung für Netzwerke ausgesprochen, bei denen sich Ostdeutsche melden können, die Probleme mit rechten Verwandten haben. Wollen die Grünen mit DDR-Methoden für die Demokratie kämpfen?" Der erste Satz gibt also wieder, was Göring-Eckardt fordert. Es wird aber scheinbar ein völlig falscher Schluss daraus gezogen.
Wessi vor 3 Wochen
Sie wollen Menschen den Mund verbieten @ Anni22?Aber immerhin sagen Sie "die Meisten".Einige allerdings nicht.Ansonsten wissen Sie wohl, was Whataboutism ist, was?
MDR-Team vor 3 Wochen
Hallo Wagner,
es handelt sich dabei um einen Vorschlag von Frau Göring-Eckardt, nicht um eine Gesetzesvorlage. Dementsprechend gibt es dafür keine konkreten Pläne.
Viele Grüße aus der MDR.de-Redaktion
Sharis vor 3 Wochen
Nun ja, Trump war sicher ein Beschleuniger dieser Entwicklungen, angefangen hat das hierzulande aber schon ein Stück früher, etwa mit "Pegida". Zwar hat "BILD" auch schon weit vorher ähnliche Methoden angewandt, diese hatten aber bis dahin niemals so große gesellschaftliche Resonanz entfaltet, weil jeder wusste, was von diesem Medium zu halten ist.