Lausitzer Braunkohlerevier Was bleibt, wenn die Kohle geht

01. Oktober 2021, 18:28 Uhr

Der Kohleausstieg im Jahr 2038 steht fest. Viele Menschen in der Lausitz haben sich damit abgefunden - aber fragen sich, wie es weitergehen soll. Der Kulturschaffende Sebastian Krüger und der ehemalige Kraftwerksmitarbeiter Steffen Sasse hoffen, dass die Lausitz lebenswert bleibt - vor allem für die jungen Menschen.

Hinter der Stadtgrenze von Hoyerswerda auf der B97 in Richtung Norden werden die Häuser langsam weniger, der Wald wird dichter. Auf der linken Seite der Fahrbahn blitzt das Blau des Spreetaler Sees durch die Bäume. Wenige Meter hinter der Landesgrenze zu Brandenburg wird dann der Blick auf die beiden Kühltürme frei. Ihre Dampfschwaden verschmelzen am Himmel mit den dichten, grauen Wolken. Auf der Zufahrtsstraße zum Kraftwerk Schwarze Pumpe ist an diesem Sonnabendmittag nicht viel los. Bis zum Schichtwechsel sind es noch zwei Stunden.

Steffen Sasse - Ein Leben für die Kohle

Steffen Sasse steigt aus seinem schwarzen Kombi und lässt den Blick über die Türme schweifen. Das Kraftwerk Schwarze Pumpe war acht Jahre lang sein Arbeitsplatz, dann wechselte er für 25 Jahre in die Gipsfabrik direkt daneben. Die Braunkohle ist für den 57-Jährigen aber viel mehr als sein ehemaliger Job.

Die Kohle bedeutet für mich alles. Ohne die Kohle könnte ich mir nicht das erlauben, was ich mir jetzt erlauben kann - meine Familie ernähren, meiner Tochter eine Ausbildung ermöglichen.

Steffen Sasse
Steffen Sasse steht vor dem Braunkohlekraftwerk "Schwarze Pumpe". Er trägt einen weißen Pullover und eine Brille. 1 min
Steffen Sasse hat selbst viele Jahre im Braunkohlekraftwerk "Schwarze Pumpe" gearbeitet. Bildrechte: MDR/Vivien Vieth
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Für Steffen Sasse hat das Braunkohlekraftwerk in Schwarze Pumpe einen Großteil des Arbeitslebens ausgemacht. Er hofft, dass die Politik den Strukturwandel mit Bedacht umsetzt - in der und für die Region.

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Das Braunkohlegebiet der Lausitz erstreckt sich über den Südosten Brandenburgs und den Nordosten Sachsens. Es umfasst vier Tagebaue und drei aktive Kraftwerke. Jährlich fördert die LEAG hier 60 Millionen Tonnen Braunkohle. Nach dem Hambacher Forst ist die Lausitz das zweitgrößte Braunkohlerevier in Deutschland. Etwa 8.600 Arbeitsplätze hängen in der Region unmittelbar an der Braunkohle - 1990, am Ende der DDR, waren es noch etwa 80.000.

Sasse ist in Spreetal aufgewachsen und lebt auch heute noch dort. Die kleine Gemeinde liegt direkt am Kraftwerk Schwarze Pumpe. Aus dem Wohnzimmerfenster kann Sasse auf die Türme schauen, zur Arbeit konnte er mit dem Fahrrad fahren. Der 57-Jährige hat Pädagogik studiert, wollte eigentlich Lehrer werden. Nach zwei Semestern brach er sein Studium dann aber ab und wurde stattdessen Maschinist im Kraftwerk. 

Als in den 90er Jahren der schrittweise Rückbau des Kraftwerks begann, wurden drei Kraftwerke geschlossen. Das neue Kraftwerk bot nicht genug Arbeit für alle Beschäftigten. Sasse hatte aber Glück und bekam einen neuen Job in der Gipskartonfabrik Knauf. Die Firma verwendet den bei der Rauchgasentschwefelung anfallenden Gips, um Gipskartonplatten herzustellen. Auch Steffen Sasses neuer Arbeitsplatz hing also von der Kohle ab. Bis vor zwei Jahren hat er noch bei Knauf gearbeitet, dann ist er aus gesundheitlichen Gründen in den Vorruhestand gegangen.

Kohlegelder in die Region stecken

Spätestens 2038 ist Schluss mit der Braunkohle. Der Kohleausstieg ist beschlossene Sache - ganz egal, welche Parteien die neue Bundesregierung bilden. Bis vor zehn Jahren war Steffen Sasse noch vehement gegen den Kohleausstieg. Die Kohle ist seine Lebensgrundlage. Auch Sasses Großeltern und seine Eltern haben für die Kohle gearbeitet. Seine Frau arbeitet noch heute im Tagebau.

Doch auch Steffen Sasse ist mittlerweile bewusst, dass es mit der Braunkohle nicht weitergehen kann, dass fossile Brennstoffe endlich sind. Und dass sie dem Klima schaden. Deshalb hält er den Kohleausstieg bis 2038 für vernünftig: "Die Leute können sich darauf einstellen und langfristig planen." Sasse hat aber auch noch viele Fragen: Fließen die beschlossenen Kohlegelder auch wirklich in die Regionen, die vom Kohleausstieg betroffen sind? Werden die erneuerbaren Energien ausreichen, um unser Stromnetz ausreichend zu versorgen? Und wie können ausreichend Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden? Die Antworten, die die Politikerinnen und Politiker auf diese Fragen liefern, wischen Sasses Skepsis noch nicht ganz weg.

Ich wünsche mir von der Politik, dass mit Bedacht an den ganzen Strukturwandel herangegangen wird, dass der Kohleausstieg bei 2038 bleibt und dass die Strukturgelder dahin fließen, wo sie hingehören, nämlich hierher.

Steffen Sasse

Steffen Sasse konnte sein Leben lang gut von der Kohle leben. Seine Altersvorsorge ist gesichert. Er macht sich trotzdem Sorgen, fragt sich, ob seine Heimat, die Lausitz, auch für die nachfolgende Generation ein lebenswerter Ort bleibt. Er könne nachvollziehen, wenn seine 18-jährige Tochter die Region verlassen will, wünscht sich aber auch, dass sie irgendwann in die Lausitz zurückkehrt und den Familienwohnsitz übernimmt.

Sebastian Krüger - Weißwasser kann mehr als nur Kohle

Die Lausitz als Ort, an dem man gerne lebt, arbeitet und sich eine Zukunft aufbaut - Sebastian Krüger aus Weißwasser hat genau diesen Bezug zu seiner Heimat. Aber er merkt, dass nicht alle jungen Menschen so über die Region denken. Der 41-Jährige ist in Weißwasser groß geworden, hat mitbekommen wie die Stadt in den 90er Jahren stark geschrumpft ist und hat dennoch nichts in seiner Jugend vermisst. Von Subkultur über Diskobesuch bis hin zu ausreichend Kulturangeboten hatte er alles vor der Haustür.

Nachdem er Anfang der 2000er Jahre seine Heimat verlassen hatte, kam er 2013 wieder nach Weißwasser zurück. Sein Plan: Jungen Menschen genau dieses Gefühl zu ihrer Heimat vermitteln und einen Ort schaffen, an dem sie Kultur erleben können. Vor vier Jahren hat er das Soziokulturelle Zentrum Telux mitgegründet. Es liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Glasproduktionsfirma in Weißwasser.

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Mit Kultur gegen die Abwanderung

Blick über ein altes Industriegelände
So sieht es aus, das Gelände des Soziokulturellen Zentrums Telux in Weißwasser. Bildrechte: MDR/Hanna Lohoff

Auf dem Gelände fühlt es sich beinahe so an, wie in einem Co-Working-Space in Berlin Kreuzberg: In den modern renovierten Industriehallen aus beigem Backstein befinden sich heute Galerien, Grafikwerkstätten und eine Holzschmiede. Die Gebäude sind durch kupferne Rohre verbunden, an denen bunte Lampen baumeln. Ganz am Ende des Geländes ist das Soziokulturelle Zentrum Telux zuhause. Vor dem Eingang stehen minimalistisch designte Hocker an Holztischen, dazwischen bilden große Pflanzen einen grünen Kontrast zum Industriecharme.

Sebastian Krüger sitzt an einem der Tische, zieht an seiner Zigarette und hat den Blick auf sein Smartphone gesenkt. Eine kurze Pause gönnt er sich, dann muss er weiterarbeiten. Auch dieser Sonnabend bedeutet für Sebastian Arbeit. In ein paar Stunden strömen die ersten Gäste in den Saal. Am Abend läuft hier ein Theaterstück über das Leben von Udo Jürgens - anschließend steigt eine Technoparty mit DJs aus der Region.

Vielfalt statt Eintönigkeit

Lesungen, Poetry Slams, Konzerte und Theater - das Angebot im Telux ist bunt. "Kultur ist ein Bindeglied in der Gesellschaft. Es bringt Leute zusammen und wirkt dann in die Gesellschaft und auch in die Region wieder hinein. Das ist es, was uns wichtig ist", sagt Krüger. Wie Steffen Sasse liegt auch ihm die Zukunft der Lausitz am Herzen.

Den ersten Strukturwandel hat Krüger miterlebt. Wenn die Wirtschaft in der Region ein zweites Mal umgekrempelt wird, wünscht er sich viel Unterstützung von der Politik. "Es hat uns natürlich seit frühester Kindheit geprägt, den Tagebau direkt vor der Tür zu haben. Und sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet, wenn ganze Landschaften und Dörfer verschwinden, Menschen ihre Heimatdörfer verloren haben, entweder umgesiedelt oder ganz aus der Region weggegangen sind."

Weißwasser ist einer der Orte, die nach der Wiedervereinigung am stärksten von Abwanderungen betroffen waren. Fast 40.000 Einwohnerinnen und Einwohner hatte die Stadt, jetzt sind es weniger als die 16.000. Krüger will nicht, dass Weißwasser nur mit dem Wegzug und mit verlassenen Orten in Zusammenhang gebracht wird.

Von der neuen Bundesregierung wünsche ich mir, dass sie es neben klassischen Infrastrukturmaßnahmen zur Vitalisierung des Raumes auch schafft, bereits wirkenden Menschen mit all ihren Ideen und Fähigkeiten so unter die Arme greifen zu können, dass wir das Ganze in die Zukunft tragen können.

Sebastian Krüger

Der Veranstaltungskalender ist für das restliche Jahr gut gefüllt. Auch Menschen aus den umliegenden Orten will Krüger mit seiner Arbeit für die Kulturszene in Weißwasser begeistern, um zu beweisen: Weißwasser kann mehr als nur Kohle.

Zu sehen ist das Logo der Aktion MDR Wünschekarte.
Was wünschen Sie sich von der kommenden Bundesregierung für Ihre Region? Ihre Antworten fassen wir in der MDR Wünschekarte zusammen. Bildrechte: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 26. September 2021 | 19:00 Uhr

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