Ein Mann geht in der Justizvollzugsanstalt Hohenleuben hinter einer verschlossenen Gittertür einen Gang entlang.
In Sachsen-Anhalt werden wieder Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt. Volle Gefängnisse drohen im Land deshalb aber offenbar nicht. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert

Neustart nach Pandemie Keine überfüllten Gefängnisse trotz Ersatzfreiheitsstrafen

08. Juni 2022, 21:47 Uhr

Nach dem Pandemie-bedingen Aussetzen sogenannter Ersatzfreiheitsstrafen für Menschen, die ihre Geldbußen nicht zahlen wollen oder können, werden die offenen Verfahren nun sukzessive abgearbeitet. Das Justizministerium sieht aber keinen Grund zur Sorge: Überfüllte Haftanstalten drohen deshalb nicht.

Die Justizbehörden in Deutschland haben nach einer Corona-Pause wieder damit begonnen, nicht bezahlte Geldstrafen zu vollstrecken – auch in Sachsen-Anhalt. Das bedeutet: Die sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen werden wieder vollzogen.

Stichwort: Ersatzfreiheitsstrafe Ins Gefängnis muss, wer vom Gericht zu einer Geldstrafte verurteilt wurde, diese aber aus den verschiedensten Gründen nicht bezahlt hat. Geldstrafen werden beispielsweise für Diebstahl, Beleidigung, Körperverletzung oder Fahren ohne Fahrschein verhängt.

Das heißt aber nicht, dass man fürs Schwarzfahren gleich ins Gefängnis kommt. Gerade das Land Sachsen-Anhalt macht es den Delinquenten leicht, den Knast zu umgehen. Das gibt es kaum in einem anderen Bundesland, teilte das Justizministerium MDR SACHSEN-ANHALT mit. Um beim Beispiel des Fahrens ohne Fahrschein zu bleiben: Wer ein paar Mal Straßenbahn ohne Fahrschein fährt, immer wieder erwischt und letztendlich von einem Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt wird, kann seine Strafe zahlen. Dann ist alles erledigt.

Wer nicht zahlt, kann die Geldstrafe in Raten abstottern oder soziale Arbeit ableisten. Das bedeutet also: Schwitzen statt Gefängnis. Nur wer alle Bußbescheide und Angebote ignoriert, kommt hinter Gitter. Dafür muss der Bürger oder die Bürgerin schon rund sieben Schreiben der Behörden oder mehr ignorieren.

Manche gehen bewusst ins Gefängnis

Immer wieder geistert aber durch die Medien, dass vor allem arme Menschen wegen relativ geringer Strafen im Gefängnis landen. Das liegt an folgendem Problem: Verhängt ein Gericht eine Geldstrafe, dann passiert das nach Tagessätzen. Ein Tagessatz ist die Summe, die die betreffende Person aktuell netto pro Tag verdient.

Blick auf den Dienstsitz des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg
Das Justizministerium in Sachsen-Anhalt hat keine Befürchtungen, dass es eng wird in den Gefängnissen. (Archivfoto) Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Jens Wolf

Wer also beispielsweise ohne Vorstrafen wegen mehrfachen Schwarzfahrens verurteilt wird, muss mit einer Geldstrafe von rund 40 bis 50 Tagessätzen rechnen. Wer beispielsweise rund 1.200 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, kommt auf eine Strafe von 1.600 bis 2.000 Euro. Viel Geld, das aber auch abgearbeitet werden kann. Es gibt Menschen, so der Pressesprecher des Justizministeriums, Danilo Weiser, die auch ganz bewusst auf eine Ratenzahlung verzichten – und ins Gefängnis gehen, weil sie keine Schulden durch einen Minikredit haben wollen, nachdem sie beispielsweise einen Minikredit aufgenommen haben.

Sommer hinter "schwedischen Gardinen"?

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Gefängnisse in Sachsen-Anhalt in den kommenden Monaten an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Nach den Worten von Ministeriumssprecher Weiser wird der Vollstreckungsaufschub der Ersatzfreiheitsstrafen nach und nach abgearbeitet. Das hänge von der jeweils gesetzten Frist der Staatsanwaltschaft ab. Derzeit beträgt die Auslastung der Gefängnisse knapp 82 Prozent. Der Anteil der Menschen, die in Sachsen-Anhalt eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, liegt im Schnitt bei zehn Prozent.

Eine Überbelastung ist nicht zu befürchten.

Danilo Weiser Sprecher des Justizministeriums Sachsen-Anhalt

Ersatzfreiheitsstrafen bundesweit auf dem Prüfstand

Erst vergangene Woche hatten die Justizministerinnen und Justizminister der Länder darüber in Bayern diskutiert. Die Ressortchefs waren sich einig, dass die Zahl der Menschen, die in den Gefängnissen Ersatzfreiheitsstrafen absitzen, reduziert werden sollte. Die Justizministerkonferenz hat nun Bundesjustizminister Buschmann gebeten, zu prüfen, ob und in welcher Form hier Reformbedarf besteht.

In diesem Zusammenhang wird auch darüber diskutiert, ob das Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln weiterhin eine Straftat oder künftig zu einer Ordnungswidrigkeit – wie Falschparken – herabgestuft werden sollte. Bei diesem Thema herrscht aktuell große Uneinigkeit: Die Bundesregierung hatte bereits angekündigt, die Entkriminalisierung von Schwarzfahren zu prüfen. Falls das so kommt, würde auf Fahren ohne Fahrschein – weil es keine Straftat mehr ist – keine Gefängnisstrafe mehr drohen, nur noch eine Geldstrafe. Wer die nicht bezahlt, kann aber trotzdem im Gefängnis landen – wenn er eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen muss.

MDR (Anne Sailer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. Juni 2022 | 17:00 Uhr

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