Kaum Sponsoren, Nachteile durch Schwangerschaft Wie frauenfeindlich ist der Leistungssport?

23. April 2023, 09:43 Uhr

In vielen Sportarten werden Frauen noch immer benachteiligt. Sponsoren fehlen. Eine Schwangerschaft ist für viele gleichbedeutend mit dem Karriere-Ende. Über Tabu-Themen wie den Einfluss der Periode auf die Leistungsfähigkeit wird kaum gesprochen. Drei Leistungssportlerinnen erzählen MDR SACHSEN-ANHALT von ihren Erfahrungen.

MDR San Mitarbeiter Daniel George
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Wer das Büro von Anna Wierig betritt, fühlt sich wie zu Hause. "Das ist auch das Ziel", sagt die 29-Jährige und lächelt. Eine Couch, eine Küche, warme Farben und grüne Pflanzen, eine Spielecke für Kinder. "Die Leute sollen sich wohlfühlen. Nur in entspannter Atmosphäre können sie sich öffnen."

Und das ist wichtig für ihren Job. Seit Anfang des Jahres arbeitet Anna Wierig als selbstständige Familienberaterin in Magdeburg. Es ist der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt nach der Elternzeit. Und es ist ein Neuanfang. Ohne den Profisport.

Denn eigentlich war Anna Wierig ihr Berufsleben lang Leichtathletin, eine der besten Kugelstoßerinnen und Diskuswerferinnen Deutschlands. Doch nach der Geburt ihres Sohnes Anton entschied sie sich für das Karriere-Ende.

"Der Leistungssport erfordert so viel Zeit, es gibt so viel Druck, dass es eine unfassbare Herausforderung ist, das als Frau mit Kind zu bewältigen", sagt Anna Wierig. "Wer das schafft, davor ziehe ich meinen Hut. Das ist nicht hoch genug zu bewerten." Aber: "Ich habe für mich entschieden, dass die Familie für mich über allem steht." Und dass ihr neues Leben als Mutter mit dem Leistungssport nicht mehr vereinbar ist.

Am besten du kriegst dein Kind und bist danach sofort wieder am Start. Das ist die Erwartung. Aber das geht nicht.

Anna Wierig, ehemalige Diskuswerferin und Kugelstoßerin

Gleichberechtigung? Noch ein weiter Weg

Also: Wie frauenfeindlich ist der Leistungssport? Zugegeben eine provokante, aber doch berechtigte Frage. Denn auch, wenn Gleichberechtigung allmählich auch im Sport ein größeres Thema wird: In vielen Sportarten werden Sportlerinnen noch immer zurückgestellt.

Und zwar nicht nur, was den Umgang mit ihrer Familienplanung betrifft. Sponsoren zahlen kaum für Frauensport. Leistungen werden weniger anerkannt, Unterschiede zu Männern kaum beachtet. Drei Frauen aus dem Leistungssport schildern MDR SACHSEN-ANHALT ihre Erfahrungen.

"Frauen gehören nicht auf die Rennstrecke"

Wer sie so über die Rennstrecke heizen sieht, erkennt auf den ersten Blick keinen Unterschied. Unter dem Helm und dem Rennanzug könnte sich auch ein Mann verstecken. Doch es ist Maria Knobloch aus Kemberg, 24 Jahre alt und fast ihr ganzes Leben als Motocross-Fahrerin unterwegs.

"Ich habe mit dreieinhalb Jahren im Garten meiner Oma auf der Wiese angefangen", erzählt sie. "Bei uns in der Familie liegt das im Blut. Mein Papa fährt, mein Onkel fährt, dessen Söhne fahren. Ich konnte also gar nicht anders – auch, wenn ich das einzige Mädchen bin."

Manche Männer sind noch in diesen alten Denkweisen gefangen.

Maria Knobloch, Motocross-Fahrerin

Doch gerade Motorsport gilt oft noch als Männerdomäne. Das bekommt auch die Motocross-Fahrerin manchmal zu spüren. "Du hast manche Männer, die vollkommen dahinter stehen und das auch unterstützen, dass sich noch mehr Mädels trauen, bei den Wettkämpfen mitzufahren", sagt sie. "Aber dann hast du auch die Art von Männern, die meinen, dass Frauen im Motocross nichts zu suchen haben – und die dir das dann auch deutlich zeigen."

Sie selbst habe solche Erfahrungen noch nicht gemacht, aber einige Kolleginnen, erzählt Knobloch: "Denen wurde teilweise von Männern mutwillig in das Motorrad reingefahren. Sie wurden beleidigt und ihnen wurde gesagt, dass sie nicht auf die Rennstrecke gehören. Das geht natürlich gar nicht. Aber manche Männer sind noch in diesen alten Denkweisen gefangen."

Leistungssport und Vollzeit-Job

Dabei gibt sich Maria Knobloch genau so sehr wie ihre männlichen Kollegen ihrem Sport hin: Jeden Tag trainiert die 24-Jährige ihre Fitness. Einmal pro Woche steht das Motocross-Training auf der Strecke an, am Wochenende dann entweder ein Wettkampf oder noch einmal Training. So war sie in der Vergangenheit bereits bei Landesmeisterschaften und deutschlandweiten Rennserien erfolgreich.

Ihren Lebensunterhalt kann sie dennoch nicht mit dem Motocross verdienen. "Wir sind eine Randsportart", sagt Maria Knobloch. Und: "Für Männer ist es immer auch noch etwas leichter, an Sponsoren zu kommen als für Frauen. Da fragt man sich schon, warum das so ist. Es gibt mittlerweile schließlich viele Frauen, die sehr schnell sind – teilweise sogar schneller als die Männer."

Weil die großen Sponsoren fehlen, arbeitet Maria Knobloch in einem Autohaus. Vollzeit. Aber: "Mein Chef ist selber Motor-Sport begeistert und steht immer hinter mir", sagt sie. "Da habe ich wirklich Glück."

93 Prozent für Männer, nur sieben für Frauen

Um künftig mehr Sponsoren zu finden, ist Maria Knobloch nun Mitglied der Plattform "equalchamps". Das Ziel des Netzwerks: Sportlerinnen und Sponsoren zusammenbringen. "Der Unterschied zwischen Männern und Frauen im Leistungssport ist extrem groß", sagt Lina Soffner, eine der Gründerinnen. "Es gibt eine Zahl, die das verdeutlicht: 93 Prozent des weltweiten Sponsorings fließen in den Männersport und nur sieben Prozent in den Frauensport."

Eine unwirkliche Dimension. Und deshalb "wollen wir daran etwas ändern", sagt Soffner. "Wir wollen die Sichtbarkeit der Sportlerinnen erhöhen, sie unterstützen und so auch zu mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit in der Gesellschaft beitragen."

Die Hoffnung: "Wir wünschen uns, dass die Leistung, die die Frauen erbringen, genau so wertgeschätzt und anerkannt wird, wie die von Männern."

Oft gibt es Klauseln in den Sponsoringverträgen, die regeln, dass das Sponsoring für die Zeit der Schwangerschaft ausgesetzt wird.

Lina Soffner, Gründerin von "equalchamps"

Periode als Tabu-Thema

Ein Wunsch, den auch Lea Riecke teilt. Doch die Weitspringerin aus Magdeburg sagt: "Männerleistungen werden mehr wertgeschätzt als die der Frauen. Dabei kann man das gar nicht vergleichen."

Allein die körperlichen Voraussetzungen würden diesen Vergleich verhindern, sagt die 23-Jährige. "Männer können kontinuierlicher trainieren als Frauen. Wir sind einfach einmal im Monat eingeschränkt, was die Leistungsfähigkeit angeht. Mir ging es zuletzt so bei den Deutschen Meisterschaften in der Halle. Ich hatte meine Periode. Mir ging es nicht gut. Ich war nicht in der Lage, meine Leistung abzurufen. Männer haben dieses Problem nicht."

Und in der Öffentlichkeit sei der weibliche Zyklus und dessen Auswirkungen auf Training und Wettkampf bei Leistungssportlerinnen noch immer ein Tabu-Thema, sagt Riecke. "Das Thema ist noch überhaupt nicht angekommen", sagt sie. "Viele Sportlerinnen verschweigen es. Man versucht auch, dass man es einem nicht ansieht. Dabei wäre es besser, wenn man es offen anspricht, damit die Leute mehr Rücksicht nehmen."

"Viele Frauen haben daran zu knabbern"

Mehr Verständnis, das wünscht sich Lea Riecke. Denn: "Die Gesellschaft vergleicht uns mit den Männern und erwartet, dass wir genau die gleichen Leistungen bringen und zu den Höhepunkten im Wettkampfkalender voll da sind. Was wir auch versuchen, aber was nicht immer funktioniert", sagt die 23-Jährige. "Weil es eben Einflussfaktoren wie die Periode gibt." Sie glaubt: "Viele Frauen haben daran zu knabbern."

Und das wiederum sorgt für psychischen Druck, im schlimmsten Fall für mentale Probleme. "Ich hatte selber zwei Jahre lang zu kämpfen, was das Mentale angeht", sagt Lea Riecke. 2018 wurde sie U-20-Weltmeisterin. Der Erfolg zog namhafte Sponsoren an. Doch auch der Druck wuchs. Dann kam auch noch die Corona-Pandemie hinzu.

"2021 war mental wirklich ein schlimmes Jahr für mich. Ich musste eine Pause vom Leistungssport einlegen", sagt sie. "Ich bin immer offen damit umgegangen und habe gesagt, dass ich zum Psychologen gehe, mental am Boden bin. Viele haben das aber nicht verstanden. Mir ging es schlecht, die Erfolge waren nicht mehr da, und auf einmal waren auch fast alle Sponsorings weg."

Mittlerweile hat sie sich zurückgekämpft – und zwar mir ehrgeizigen Zielen: "Ich will in die internationale Spitze kommen und bin davon überzeugt, dass ich das Zeug dazu habe", sagt Lea Riecke. "Aber ich mache mir selber nicht mehr diesen Druck. Ich will jetzt einfach nur noch springen und schauen, was am Ende dabei herauskommt."

Mir ging es schlecht, die Erfolge waren nicht mehr da, und auf einmal waren auch fast alle Sponsorings weg.

Lea Riecke, Weitspringerin

Warum es Väter einfacher haben

Solche Gedanken macht sich Anna Wierig nicht mehr. Für sie geht es nicht mehr um Weiten oder Medaillen, sondern um ihren neuen Job und ihre Familie. "Ich bin froh, dass ich mir meine Selbstständigkeit so ermöglichen konnte, auch wegen des Leistungssport", sagt die 29-Jährige. Denn: "Das Geld, das ich dort verdienen durfte, habe ich von der einen in meine andere Leidenschaft gesteckt."

Ein Leben als Leistungssportlerin war für sie nach der Geburt ihres inzwischen zweijährigen Sohnes Anton nicht mehr vorstellbar. "Es war für mich an der Zeit, zu gehen, weil ich gerade in den ersten Jahren für meinen Sohn da sein will", sagt sie. "Das wäre mit den ganzen Wettkämpfen und Trainingslagern für mich nicht vereinbar gewesen."

Ob es Väter da einfacher haben? "Definitiv", sagt Anna Wierig, die mit Diskuswerfer Martin Wierig verheiratet ist. Und warum? "Grundsätzlich haben wir Frauen allein durch die Schwangerschaft schon mal den Nachteil, dass wir nicht einfach so weitermachen können mit unserem Sport. Dann muss das erste Lebensjahr des Kindes abgedeckt werden. Die wenigsten Eltern wollen ihr Kind schon so früh in die Kinderbetreuung geben. Und in aller Regel liegt diese Erziehungsrolle bei den Frauen. Die wenigsten Männer sagen, dass sie ein Jahr zu Hause bleiben. Wenn sie selber Leistungssportler sind, fahren sie höchstens ihr Trainingspensum ein bisschen zurück."

Schwanger? Kein Sponsoring mehr

Dabei hat eine Schwangerschaft für Leistungssportlerinnen meist auch direkte finanzielle Auswirkungen: "Oft gibt es Klauseln in den Sponsoringverträgen, die regeln, dass das Sponsoring für die Zeit der Schwangerschaft ausgesetzt wird", erzählt Lina Soffner von "equalchamps". Doch: "Wir setzen uns dafür ein, dass es solche Klauseln nicht mehr gibt. Damit auch Unternehmen positive Zeichen setzen, dass Frauen auch nach der Schwangerschaft in den Leistungssport zurückkehren können."

Nur wann das wieder möglich sein wird, ist vor der Geburt so unklar wie individuell. "Es weiß ja keiner, wie die Schwangerschaft verläuft, wie die Frau die Geburt verkraftet oder wie viel Nähe das Kind braucht", sagt Anna Wierig. Ihr Vorschlag: "Man könnte zum Beispiel sagen: Wenn eine Frau erklärt, dass sie schwanger ist, muss sie nicht sofort entscheiden, ob sie danach weitermacht oder nicht, sondern bekommt anderthalb Jahre die nötige Zeit und das Vertrauen, um den für sich richtigen Weg zu finden."

Das sei aktuell aber ganz anders, sagt die ehemalige Leistungssportlerin: "Am besten du kriegst dein Kind und bist danach sofort wieder am Start. Das ist die Erwartung. Aber das geht nicht. Es müssen einfach Lösungen her, die es der Frau ermöglichen, ganz in Ruhe ihr Baby auszutragen und sich zu einem gegebenem Zeitpunkt wieder um ihren Sport zu kümmern – oder eben zu entscheiden, dass dieser Weg für sie endet." So, wie es bei ihr war.

Gute Vorbereitung auf das Muttersein

Anna Wierig wirft noch einmal einen Blick durch ihr Büro. Hier spielt ihr neues Leben. Doch bei allen Hindernissen und fehlender Gleichberechtigung: Sie ist ihrem Sport sehr dankbar. Denn auch auf ihre Rolle als Mutter hat sie der Leistungssport vorbereitet, sagt sie: "Normen und Werte haben immer eine große Rolle gespielt. Rücksichtnahme war wichtig, sich in andere hineinzuversetzen, außerdem Struktur und Disziplin."

Das hilft ihr auch heute, erzählt Anna Wierig. "Als Leistungssportlerin hast du auch ganz andere Möglichkeiten, ganz andere Erfahrungen und Werkzeuge, um mit Stress umzugehen", sagt sie und lacht, denn: "Ja, auch der Job als Mutter kann ganz schön stressig sein."

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. April 2023 | 20:00 Uhr

19 Kommentare

dieja am 24.04.2023

Warum gibt es Sponsoring? Weil Firmen auf sich aufmerksam machen wollen, um ihren Gewinn zu steigern. Daraus folgt, dass Sponsoring stark von öffentlichen Interesse an der Sportart abhängt. Und dabei geht es nur um Hlchstleistungen.
Nehmen wir die Paralympics. Hier werden von Behinderten Menschen Leistungen vollbracht, die vergleichbar sind mit den Höchstleistungen von Spitzensportlern.
In der Öffentlichkeit ist die Aufmerksamkeit geringer, daraus folgt , es fließt viel weniger Geld. Im Leistungssport gibt es immer Benachteiligungen. Wer aufgrund seiner Gene z.B. unter 1,70 m ist, wird nie ein Spitzenhochspringer, Volleyballer u.a. Werden können. Um Gericht zu sein müsste man hier wie bei den Kampfsportarten Grössenklassen einführen. Wie soll eine Olympiade oder Weltmeisterschaft aussehen, wenn auf den Zyklus aller Sportlerinnen Rücksicht genommen wird. Es wird hier nie einen Tag geben, bei dem alle die gleichen Voraussetzungen haben .

Anita L. am 24.04.2023

Hier zeigen einige wieder ein Meinungsbild hinsichtlich Gleichberechtigung, dafür ist "antiquiert" auch nur noch ein Euphemismus höchster Ausprägung... Ich möchte ihnen nicht im realen Leben begegnen.

Anita L. am 24.04.2023

Was soll der Whataboutismus? Die Situation der Frauen in Ländern wie Iran und Afghanistan als Anlass, um die Diskussion über nachweisliche Schieflage in der eigenen Gesellschaft abzuwürgen? Wie viel Angst vor Frauen muss in solch einem Verhalten stecken? Und die "Erfolge" asiatischer Frauen? Na, da können wir uns die Aufarbeitung aller Missbräuche im Leistungssport auch sparen und fröhlich weitermachen mit dem Leistungswahn.

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