Interview AOK-Chef zu hohen Pflegekosten: "Hilfe vom Sozialamt ist gesetzlich verbrieft"

15. Dezember 2022, 12:49 Uhr

Seit September sind die Eigenanteile der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege deutlich gestiegen. Das zeigt eine erste Datenauswertung aus dem Pflegenavigator der AOK. Laut Krankenkasse müssen in Sachsen Rentner und Rentnerinnen im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich 37 Prozent mehr an Eigenanteil zahlen. Tendenz steigend. Der Vorstandvorsitzende der AOK-Plus, Rainer Striebel, erklärt im Interview die Hintergründe und Konsequenzen dieser Entwicklung.

Der Eigenanteil für die Heimpflege ist im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent gestiegen, in Sachsen sogar um 37 Prozent. Warum ist die Kostensteigerung in Sachsen besonders hoch?

Rainer Striebel: Bei Steigerungsraten muss man ja immer die Ausgangsbasis bedenken. 37 Prozent Steigerung sind erschreckend für den einzelnen Heimbewohner. Aber meist war dann der Eigenanteil vorher im sächsischen Pflegeheim niedriger als in anderen Bundesländern und gleicht sich durch die Preissteigerung nun allmählich an Preise in anderen Bundesländern an. Er ist in der Regel aber immer noch etwas günstiger.

Woraus setzen sich diese Mehrkosten zusammen?

Einerseits sind die Heime verpflichtet, seit September ihre angestellten Pflegekräfte nach Tarif zu bezahlen. Das ist den Beschäftigten sehr zu gönnen. Aber nach der Systematik der Preisbildung für die Eigenanteile zahlen die Heimbewohner diese Lohnsteigerung für die Pflegekräfte.

Außerdem haben aber die meisten Heime jetzt auch die Kosten für Unterbringung und Verpflegung erhöht. Die Preissteigerungen für Energie, Heizung, Lebensmittel und so weiter kommen also auch bei den pflegebedürftigen Heimbewohnern an.

37 Prozent mehr Pflegekosten sind eine Stange Geld. Woher nehmen das die alten Leute?

Manche werden das noch aus ihren Renteneinkünften und aus dem ersparten Vermögen bezahlen können. Andere haben Anspruch auf Hilfe zur Pflege vom Sozialamt.

Müssen alte Menschen Angst haben, vor die Tür gesetzt zu werden?

Der Anspruch auf Hilfe zur Pflege vom Sozialamt ist gesetzlich verbrieft. Also: Eigentlich muss niemand Angst haben, vor die Tür gesetzt zu werden. Dass gerade alte Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, sich schämen, Hilfe vom Sozialamt in Anspruch zu nehmen, weiß ich. Da brauchen sie dann Hilfe und Zuspruch von Angehörigen, Betreuern, von den Heimmitarbeiterinnen und -mitarbeitern.

Gerne unterstützen auch unsere 42 Pflegeberaterinnen und -berater in Sachsen und Thüringen die Pflegebedürftigen und deren Angehörige bei diesen wichtigen Themen.

Müssen Kinder oder Enkelkinder in so einem Fall in die Bresche springen und ein Teil der Pflegekosten übernehmen?

Kinder können dann zur Mitfinanzierung eines Pflegeheimplatzes herangezogen werden, wenn sie mehr als 100.000 Euro Jahreseinkommen haben.

Werden wir nicht umhinkommen, mehr in die Pflegeversicherung einzuzahlen?

Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung beträgt aktuell 3,05 Prozent vom Bruttolohn, bei Kinderlosen 3,4 Prozent. 2023 soll der Beitrag steigen. Die Politik hat dazu aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Über die zukünftige Ausfinanzierung und Ausgestaltung der Pflegeversicherung muss mit dem Blick aufs Ganze gesprochen und entschieden werden: in unserer Demokratie auf demokratischem Wege.

Wie haben Sie sich für die alten Tage abgesichert? Haben Sie vielleicht eine private Zusatzpflegeversicherung?

Ich habe keine private Zusatzpflegeversicherung. Aufgrund meines guten Einkommens konnten ich und meine Frau in den vergangenen Jahren gute Rücklagen für das Alter bilden. Außerdem war ich glücklicherweise in der Lage, zehn Jahre lang monatlich einen größeren Zuschuss zur Betreuung meiner Mutter im Pflegeheim zu zahlen.

MDR (ama)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 12. Dezember 2022 | 22:15 Uhr

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