Grüne versus Umweltministerium Streit über erneute AKW-Schutt-Lieferungen nach Sachsen
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19. Mai 2018, 19:23 Uhr
Auf Sachsens Deponien lagert für unbedenklich erklärter Schutt alter Atomkraftwerke aus anderen Bundesländern. Nach öffentlichen Protesten sagten die Betreiber 2015 dem Umweltministerium zu, nur noch laufende Verträge zu erfüllen. Diese liefen 2017 aus. Jetzt wurde bekannt: Es gibt eine neue Liefervereinbarung. Sachsens Grüne sind empört, geben dem CDU-geführten Umweltministerium eine Mitschuld, sprechen von Täuschung. Das lässt Amtsinhaber Schmidt nicht auf sich sitzen und schießt zurück.
In Sachsen wird weiter Bauschutt aus alten Atomkraftwerken deponiert. Das geht aus der Antwort des Umweltministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion hervor, die in dieser Woche veröffentlicht wurde. Demnach hat sich die P-D Industriegesellschaft bereits im Juni 2017 bereit erklärt, bis 2022 jährlich 300 Tonnen Abrissreste aus dem früheren AKW Stade in Niedersachsen abzunehmen. Der Schutt wird auf der Deponie Wetro nördlich von Bautzen gelagert.
Gilt die Zusage nicht mehr?
Der Deponiebetreiber hält damit eine freiwillige Selbstverpflichtung von 2015 nicht ein. Damals hatten die Eigentümer der Halden in Cröbern (Landkreis Leipzig), Grumbach (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) und Wetro nach Angaben des sächsischen Umweltministeriums angekündigt, künftig keinen AKW-Schutt aus anderen Bundesländern mehr einzulagern. Lediglich damals bestehende Verträge sollten noch erfüllt werden. Diese liefen 2017 aus. Nun landen doch weitere 1.500 Tonnen Atomkraftwerksbeton in Sachsen.
Eine Vereinbarung, ein Konsens oder nur ein Appell?
Grünen-Fraktionschef Volkmar Zschocke reagierte mit harscher Kritik auf diese Entwicklung und gibt dem Umweltministerium eine Mitschuld. Der Grund für seine Verärgerung: 2014 hatte der damalige sächsische Umweltminister Frank Kupfer öffentlich einen Konsens mit seinen Amtskollegen aus den anderen Bundesländern verkündet, dass die Überreste abgerissener Atomkraftwerke künftig im jeweiligen Bundesland gelagert werden sollten. Zugleich erklärte der CDU-Politiker: "Ich hoffe, dass sich auch mein niedersächsischer Kollege Stefan Wenzel (Grüne - Anm. d. Red.) an die Vereinbarung der Umweltminister hält."
Kupfers Nachfolger und Parteikollege Thomas Schmidt erneuerte später diese Forderung, erklärte jetzt jedoch auf Nachfrage der sächsischen Grünen: "Eine derartige Vereinbarung ist nicht getroffen worden." In einer Reaktion auf Zschockes Kritik sprach Schmidt am Sonnabend von einem Appell, der keine Handhabe biete, Deponiebetreibern die Annahme des Schutts zu verbieten.
Ab wann Atommüll keiner mehr ist
Tatsächlich hat die Politik keine rechtliche Möglichkeit, Geschäfte mit AKW-Schutt über Bundesländergrenzen hinweg zu unterbinden. Voraussetzung: Das Abfallmaterial ist "freigemessen". Das heißt, es gibt pro Jahr weniger als 10 Mikrosievert Strahlung an die Umwelt ab. Dann wird es offiziell als normaler Bauschutt eingestuft und die Behörden müssen der Deponierung zustimmen.
Zum Vergleich: Die Strahlenbelastung durch natürliche Umwelteinflüsse liegt laut Bundesamt für Strahlenschutz in Deutschland zwischen einem und zehn Millisievert im Jahr, also um das 100- bis 1.000-fache über dem Grenzwert. Für Schmidt ein Beweis für die Ungefährlichkeit des Schutts. Er spielt den Schwarzen Peter zurück an die Grünen: Deren niedersächsischer Umweltminister hätte in seiner Amtszeit durch das Ausweisen von ausreichend Deponiefläche den "Export" verhindern können.
Wer kann was bewirken?
Die Anwohner im Umfeld von Deponien, die Grünen und selbst Mediziner halten die AKW-Überreste jedoch für alles andere als unbedenklich und protestieren gegen deren Lagerung in ihrer Nachbarschaft – nicht nur in Sachsen. Volkmar Zschocke stellte im Gespräch mit MDR SACHSEN die Frage: Wenn der Schutt so ungefährlich ist, warum will ihn dann keiner haben? Zumal Deponiebetreibern für seine Entsorgung mehr Geld angeboten wird als für anderen Abfall.
Auch der sächsische Grüne gibt zu: Auf rein juristischem Weg kann Minister Schmidt nichts tun. Dennoch fordert er den CDU-Politiker dazu auf zu handeln: Er soll die von seinem Vorgänger verkündete Vereinbarung gemeinsam mit seinen Amtskollegen tatsächlich treffen und auf die Deponiebetreiber entsprechenden Einfluss ausüben, zum Beispiel durch abfallwirtschaftliche Strategien oder den Abschluss freiwilliger Vereinbarungen - die natürlich eingehalten werden müssen.
Nachgiebigkeit und Standhaftigkeit
Warum der Deponiebetreiber in Wetro dies nicht getan hat, will Zschocke bei diesem erfahren. Und zugleich der Westsächsischen Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft (WEV) den Rücken stärken. Diese lehnt es seit 2013 ab, 5.000 Tonnen tritiumhaltige Betonblöcke aus dem ehemaligen Mehrzweckforschungsreaktor Karlsruhe auf ihrer Deponie in Cröbern zu lagern - obwohl die Baden-Württemberger einen Unbedenklichkeitsnachweis vorgelegt haben und dem sächsischen Unternehmen ein lukratives Angebot machten. Die WEV befürchtete jedoch, dass das tritiumhaltige Wasser in den Betonblöcken austreten und damit die Strahlenkonzentration im Sickerwasser der Deponie messbar erhöhen könnte. Bis heute ist das Geschäft nicht zustande gekommen und der Grünen-Politiker hofft, dass es so bleibt.
Willkommenes Streitthema
Dennoch sind bei den Anwohnern der sächsischen Deponien Skepsis, Argwohn und Unsicherheit tief verankert. Und den Politikern bietet der AKW-Schutt auf absehbare Zeit eine sichere Basis für einen überparteilichen Schlagabtausch. Zitate aus dem aktuellen Streitfall:
Kupfer und Schmidt haben die sächsische Öffentlichkeit hinters Licht geführt - mit einem behaupteten Konsens, den es offenbar nie gegeben hat.
Herr Zschocke hat keinen Grund, sich in dieser Art aufzuplustern. Nicht ich habe die Vereinbarung nicht eingehalten, sondern seine eigenen Parteifreunde, die Umweltminister in anderen Bundesländern waren oder sind.
Dieses Thema auch im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 19.05.2018 | ab 10:00 Uhr in den Nachrichten