SAB Sachsen Vorstandsvorsitzende Dr. Katrin Leonhardt
Dr. Katrin Leonhardt (Jahrgang 1966) hat in Leipzig und Großbritannien studiert und in Sachsen und Westdeutschland Karriere gemacht. Sie teilt die These nicht, wonach Westdeutsche nur aus ihren Netzwerken für die Chefsessel rekrutieren würden. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Interview SAB-Chefin Leonhardt über Ostdeutsche an der Spitze: "Es liegt auch an jedem selbst"

20. Juni 2023, 05:00 Uhr

Nicht nur in Bundesbehörden gibt es zu wenig ostdeutsche Führungskräfte – auch in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sind leitende Positionen in Ministerien, Landesämtern und der Justiz mit weniger Ostdeutschen besetzt als ihrem Anteil in der Bevölkerung entspricht. Woran liegt das? Darauf hat die Vorstandsvorsitzende der Sächsischen Aufbaubank (SAB) und ehemalige Direktorin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt/Main, Dr. Katrin Leonhardt, eine sehr persönliche Antwort.

Frage: Seit Wochen wird über ostdeutsche Herkunft von Führungskräften diskutiert. Wieder einmal. Wie nehmen Sie das wahr als Vorstandsvorsitzende der SAB, geboren im Spreewald, studiert in Leipzig, erfolgreich in Ost und West?

Dr. Katrin Leonhardt: Ich nehme das differenziert wahr. Anhand der Zahlen und Statistiken ist abzuleiten, dass der Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gering und ausbaufähig ist. Es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze dafür. Ich persönlich mag diese Spaltung nicht, dieses Trennen in Ost- und Westdeutschland. Ich finde, dass wir stärker das Miteinander verbinden und Ost wie West aufeinander zugehen sollten. Jeder hat seine Herkunft, unterschiedliche Erfahrungen auf seinem persönlichen und Bildungsweg und seine Sicht und Perspektiven. Aus meiner Sicht ist eine wichtige Frage: Wie können wir miteinander gemeinsam Perspektiven für die Zukunft entwickeln und mit- und voneinander lernen?

Wenn Sie Personal einstellen, worauf achten Sie besonders?

Ich achte darauf, welche Persönlichkeit, Qualifikation und Erfahrungen die Bewerber haben und welchen Gestaltungswillen sie mitbringen. Wo hat er oder sie sich umgesehen? Hat er oder sie Auslandserfahrung, auch zum Beispiel in Osteuropa? Hat er oder sie während seiner Ausbildung und in der beruflichen Entwicklung über den Tellerrand geschaut, auch in anderen Unternehmen oder Institutionen? Erfahrungen und Vielfalt spielen für mich eine wichtige Rolle. Meine Herkunft aus Ostdeutschland war während meiner Tätigkeit bei der KfW Bankengruppe in Frankfurt, Berlin und Bonn kein Thema. Das spielt hier in Sachsen wieder mehr eine Rolle.

Katrin Leonhardt, Vorstandsvorsitzende Sächsische Aufbaubank, steht mit Hartmut Vorjohann (CDU), Finanzminister von Sachsen, auf einem Balkon der SAB in Leipzig.
Die Vorstandsvorsitzende der Sächsischen Aufbaubank, Dr. Katrin Leonhardt (re.), steht mit Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) auf einem Balkon des neuen SAB-Gebäudes in Leipzig. Dort und in Dresden arbeiten rund 1.200 Mitarbeiter im Förderinstitut des Freistaates. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Ich bin beides gern und stolz darauf, Ostdeutsche und erfolgreich in Ost und West zu sein. Daraus kann ich Kraft und Stärke ziehen, weil ich vielfältige Erfahrungen gemacht habe und mich besser in die Perspektive des anderen hineinversetzen kann. Ich empfinde die Perspektiven aus beiden Welten als sehr bereichernd. Im Übrigen auch bei Westdeutschen im Osten.

Ostdeutsche Führungskräfte in Sachsen: Konkrete Zahlen in der Verwaltung

  • Insgesamt sind 52,1 Prozent aller Führungskräfte in den Ministerien und nachgeordneten Behörden Sachsens in Ostdeutschland geboren. In Thüringen sind es 49,1 Prozent, in Sachsen-Anhalt 47,5 Prozent.
  • Am besten schneidet für Sachsen das Ministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft ab: 63,3 Prozent des Führungspersonals hat ostdeutsche Wurzeln.
  • Im Ministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt sind es 62 Prozent.
  • Im Ministerium für Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung sind es 61,9 Prozent.
  • In der Sächsischen Staatskanzlei arbeiten 54,3 Prozent Ostdeutsche als Führungspersonal mit.
  • Am schlechtesten schneidet das Arbeits- und Wirtschaftsministerium ab, wo der Anteil ostdeutscher Führungskräfte nur 43,8 Prozent beträgt.
  • Auch im Kultusministerium liegt der Anteil nur bei 45,1 Prozent.
  • Auffällig auch: In sechs von insgesamt zehn Ministerien und nachgeordneter Behörden ist keine Führungskraft ausländischer Herkunft.


Quelle: Abfrage von MDR.data zum Stichtag 1.5.2023

Woran liegt es, dass in Verwaltungen und Ministerien in Mitteldeutschland weniger Ostdeutsche auf Führungsebene arbeiten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht?

Eine meiner Thesen ist: Es liegt auch an jedem selbst. Wenn man wie ich mit 28 Jahren als ostdeutsche Frau in den '90er-Jahren die jüngste Referatsleiterin in einer Staatsregierung war und die anderen überwiegend aus Westdeutschland kamen, darf ich mir erlauben zu sagen: Es fängt bei einem selber an. Indem man sich fragt: Möchte ich meinen Hut in den Ring werfen? Möchte ich den beruflichen Aufstieg wagen und bin ich bereit, mich darauf vorzubereiten und mich zu engagieren, auch mal die extra Meile zu gehen? Will ich mehr Verantwortung übernehmen?

Vielleicht braucht es auch mal einen Anstupser, damit sich jemand bewirbt, der es sich nicht gleich zutraut. Männer sind nach meiner Erfahrung oft leichter bereit, ihren Hut in den Ring zu werfen. Frauen brauchen manchmal den Stupser. Das ist Aufgabe von guter Führung. Personal zu führen und zu entwickeln, heißt auch, deren Potenzial zu erkennen und sie zu motivieren, sich darauf zu bewerben.

Es macht einen Unterschied, ob ich bereit bin, mich zu trauen und auch ins Risiko zu gehen. Das heißt, etwas zu tun, wobei ich auch noch lernen und mich entwickeln muss und kann.

Dr. Katrin Leonhardt Ökonomin und promovierte Politologin, Chefin der Sächsischen Aufbaubank

Dabei spielt aus meiner Sicht Ost oder West weniger eine Rolle. Im Auswahlverfahren von potenziellen Führungskräften spielt neben der Persönlichkeit und Ausbildung eine Rolle, was man außerhalb gesehen hat und ob man bereit ist, sich auch selbst weiter zu entwickeln. Grundsätzlich hat jeder eine Chance. Es kommt zuerst immer auf mich an, ob und wie ich die Dinge gestalten will und was ich dafür bereit bin zu geben. Es macht einen Unterschied, ob ich bereit bin, mich zu trauen und auch ins Risiko zu gehen. Das heißt, etwas zu tun, wobei ich auch noch lernen und mich entwickeln muss und kann.

Und was ist mit dem Glasdeckel, gegen den Ostdeutsche angeblich immerzu stoßen, weil West-Eliten alles besetzt halten?

Ich teile die These nicht, dass Westdeutsche nur aus ihren Netzwerken rekrutieren und damit alle Stellen besetzen. Mein Potenzial haben in Ost und West immer Westdeutsche erkannt und gefördert. Doch ich sehe auch, dass der Aspekt der Diversität noch viel zu wenig eine Rolle spielt. Ost, West, Männer, Frauen, Menschen aus anderen Regionen und Ländern sind wichtig für gute Teams. Vorgesetzte schauen sich auch latent nach denen um, die das verkörpern, was sie selbst ausmacht. Das ist vollkommen normal, es liegt in der Natur von uns Menschen. Dennoch sind Führungskräfte gut beraten, auf Vielfalt in ihren Teams zu achten. Verwaltungen speziell können Vorbild sein und zeigen: Wir sind leistungsfähig, zukunftsorientiert und bei uns hat der oder die eine Chance, der Potenzial hat und mitgestalten will, egal, ob aus Ost oder West.

Warum gibt es trotzdem immerzu Ost-West-Debatten und Streit?

Ich denke, es geht um Wertschätzung füreinander. Speziell beim Thema Ost und West sind beidseitige Akzeptanz und Wertschätzung wichtig. Dass wir die vielfältigen Erfahrungen und das Miteinander eher als Bereicherung verstehen, als dass wir die unterschiedliche Herkunft betonen. 33 Jahre nach der Wiedervereinigung sollten die Regionen in unserem Land mehr im Vordergrund stehen als die Trennung zwischen Ost und West.

Die Vermischung von Ost und West zieht sich durch mein Privatleben, Freundeskreis, Familie. Glauben Sie mir, das war auch nicht immer einfach. Und ich bin manchmal überrascht, dass es immer noch nach mehr als drei Jahrzehnten so einen Unterschied macht. Das hat mit subjektiver und objektiver Wertschätzung zu tun. Vielleicht auch mit Interesse an der Andersartigkeit. Wenn man beide Seiten kennt, ist das auch eine Chance, Brücken zu bauen. Man kann aus Erfahrungen und Beobachtung besser erklären, vermitteln und für ein besseres Verständnis füreinander werben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 20. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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