Finger halten eine Fahrkarte Deutschlandticket
Ob als Chipkarte oder digital auf dem Handy - das Deutschlandticket erfreut sich großer Beliebtheit. Bildrechte: Norman Jung

Nachgefragt Deutschlandticket ist trotz Anlaufproblemen und volleren Zügen gefragt

06. August 2023, 10:28 Uhr

Der Verkehrsverbund Mittelthüringen hat bereits im Juni etwa 70.000 Deutschland-Tickets verbucht - darunter sind auch 10.000 Neukunden, die bisher entweder gar nicht oder nur mit Einzelfahrscheinen im Nahverkehr unterwegs waren. Zudem hat sich nach Auskunft mehrerer Verkehrsunternehmen die Auslastung verbessert. In ganz Thüringen dürfte die Zahl der Deutschland-Tickets längst im 6-stelligen Bereich liegen.

Zwischen Schleiz und Gera in Niederpöllnitz ist es am Bahnhof sehr idyllisch. Hier wächst sogar Gras auf den Bahnsteigen. Und Mara Daßler ist wirklich froh, dass hier einmal in der Stunde ein Zug fährt. Zwischen Neustadt und Leipzig fährt der Regionalexpress RE12 auch über Gera.

Mara Daßler fährt mit dem Deutschlandticket
In Niederpöllnitz nimmt Mara Daßler des Öfteren den Zug nach Gera. Durch das Deutschlandticket spart sie seither Geld. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Für die junge Frau eine gute Anbindung. "Jeden Tag fahre ich mit dem Zug nach Gera zur Arbeit." Das Deutschland-Ticket kommt ihr zugute. "Ein, zwei oder dreimal im Monat geht es nach Leipzig zur Familie." Da kamen vor dem neuen Angebot deutlich mehr zusammen als 49 Euro.

Tickets trotz privater Schulden

Also beantragte sie ein Ticket bei der Deutschen Bahn - Bonitätsprüfung inklusive. Doch die scheiterte, denn die junge Frau hat viele Schulden. Mit Hilfe der Verbraucherinsolvenzberatung in Zeulenroda-Triebes und Tipps von Arbeitskollegen klappte es dann mit etwas Verzögerung doch. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollten nur eine Einzugsermächtigung, seither geht das Ticket direkt auf das Smartphone von Mara Daßler - als QR-Code.

Die Insolvenzberatung des Diakonievereins Carolinenfeld in Zeulenroda weist darauf hin, dass es weitere Möglichkeiten in dieser Richtung gib. Der Omnibusbetrieb Herzum Tours aus Korbußen etwa komme auch ohne Bonitätsprüfung aus. Die meisten Anbieter verlangen die Prüfung trotzdem.

Wo gekauft wird, ist egal

Hier hilft den Kunden, dass das Ticket überall gültig ist und überall gekauft werden kann - egal, wo jemand wohnt. "Wir beobachten auch, dass Fahrgäste sich ganz bewusst für den einen oder anderen Anbieter entscheiden", sagt Olaf Behr, Landesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn in Thüringen.

Bei der Harzer Schmalspurbahn etwa bekämen Kunden zum 49-Euro-Ticket gleich noch einen Gutschein für eine Brocken-Fahrt mit dazu. "Im Zweifel kauft man es aber lieber beim lokalen Anbieter. Da hat man auch einen Ansprechpartner, wo man Probleme klären kann." Viele Unternehmen sind bis heute kulant, mitunter reicht bei der Kontrolle noch die Bestellbestätigung für das Ticket in gedruckter Form.

Denn Probleme gibt es weiterhin. Dem Fahrgastverband sind Fälle bekannt, in denen Buchungsvorgänge scheinbar unvollständig geblieben sind, die darum mehrfach durchgeführt wurden - und mit einer mehrfachen Buchung des Deutschland-Tickets endeten. "Wir bekommen häufiger von Fahrgästen berichtet, dass die Systeme stocken. Und dann ist es unheimlich schwer, über die Hotline jemanden zu erreichen oder E-Mail-Kontakt zu bekommen und das zu klären." Offensichtlich sei eine gewisse Überlastung da. Die aber will der Pro-Bahn-Landeschef nicht überbewerten. "Bei so einer Dimension, die wir hier haben, sind es zu erwartende Anlaufprobleme." Immerhin sei die Entscheidung für das Ticket erst im Frühjahr abschließend gefallen - und dann ging es im Mai schon los.

1.500 Abo-Kunden statt nur 41

Und die Dimension ist gewaltig. Nach letzten Zahlen vom Juli hatten in Deutschland bereits mehr als 11 Millionen Kunden ein Deutschland-Ticket gebucht. Das ist auch im Kleinen sichtbar, zum Beispiel in Ostthüringen bei der PRG Personen- und Reiseverkehrs GmbH Greiz. "Abseits des Schülerverkehrs hatten wir vor Einführung des Deutschland-Tickets 41 Abo-Kunden", sagt Geschäftsführer Stefan Meißner. "Derzeit liegen wir bei 1.500 Abo-Kunden. Es ist schon ein deutlicher Nachfrage-Zuwachs." Natürlich gebe es Kunden, die vorher mit Einzelfahrscheinen unterwegs gewesen seien und nun ausgerechnet hätten, dass sie auch ohne häufigere Nutzung mit dem neuen Ticket billiger fahren. "Aber trotzdem können wir einen Nachfragezuwachs feststellen."

Deutschlandticket als Online-Code
Das Deutschlandticket sieht je nach Verkaufsstelle anders aus. Als Kauf via App ist es oft nur ein QR-Code. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Bis zu 25 Prozent höhere Auslastung

Den vermerkt auch der Anbieter für Schienenpersonen-Nahverkehr DB Regio Südost. Das Unternehmen bedient unter anderem den Regionalexpress zwischen Neustadt und Leipzig und wichtige Linien wie den RE1 zwischen Göttingen und Glauchau, der quer durch Thüringen rollt. Um 20 bis 25 Prozent habe sich die Auslastung der Züge seit Einführung des Deutschland-Tickets gesteigert.

Der Mobilfunkanbieter O2 gibt an, auf Basis von Funkzellendaten festgestellt zu haben, dass es signifikant mehr längere Fahrten in Zügen gebe und weniger auf der Straße. Das käme dem Ziel entgegen, dass Autos öfter stehenbleiben und weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Andere Unternehmen wie der Jenaer Nahverkehr sind noch nicht sicher, ob nicht doch die meisten Kunden einfach aus anderen Tarifen gewechselt sind - und womöglich kommt noch ein Ferien-Effekt hinzu. Kunden könnten sich nur für die Sommerferien ein Ticket gekauft haben, um es dann gleich wieder zu kündigen. Es dürfte sich in den kommenden Monaten zeigen.

Ein Regoinalzug steht an einem Bahnsteig im Bahnhof Jena-Göschwitz.
In den Regionalzügen ist die Auslastung auf vielen Strecken seit dem Deutschlandticket spürbar gestiegen. Bildrechte: MDR/Florian Girwert

Potenzial noch bei Jobtickets

Und PRG-Chef Meißner verweist noch darauf, dass es mehr Potenzial gibt. "Viele Unternehmen werden jetzt auf Jobtickets aufmerksam." Er erwartet, dass in den kommenden Monaten noch zahlreiche Tickets über diese Möglichkeit gebucht werden, die erst nach und nach entdeckt werde. Doch er gibt zu bedenken, dass die Politik weiter gefragt ist. "Im Zweifelsfall nützt natürlich das günstigste Ticket nichts, wenn kein Bus fährt", sagt er. "Deswegen spüren wir die Nachfrage-Zuwächse vor allem auf den Linien, wo wir ein gutes Angebot haben, wo wir eine gute Verknüpfung auch zum Eisenbahnverkehr haben."

Nun müsse ein Budget dafür her, das Angebot immer weiter auszubauen. Die Busse und Züge dafür müssen aber wohl teilweise erst noch gebaut und die Fahrer ausgebildet werden. Die Finanzierung für das Deutschland-Ticket ist bisher erstmal nur bis Ende des Jahres 2023 wirklich gesichert - Bundesmittel als Ausgleich für Einnahme-Ausfälle der Verkehrsunternehmen darüber hinaus müssen erst noch beschlossen werden.

Deutschlandticket Zug am Bahnhof Niederpöllnitz
Ein Zug fährt am Bahnhof Niederpöllnitz ein. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Meißner geht aber davon aus, dass das Ticket weiter besteht. "Aufgrund des günstigen Tarifs und aufgrund der Einfachheit, wo mein Ticket gilt, ist die Hemmschwelle zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs auch im ländlichen Raum deutlich gesenkt worden." Olaf Behr fasst es kurz zusammen: "Ganz klar ein Erfolg."

Das sagen unsere User:

Das Ticket bewegt sie: Von "Für mich als Pendler ists ne prima Sache. Ich profitiere wirklich davon" (Christian Vaser-Schöler) und "einfach nur fantastisch! Bin neben meinen alltäglichen Strecken nun auch viel mehr für Tagesausflüge unterwegs" (MarvinS) bis "Was nützt dir das, wenn an deinem Dorf kein Zug hält und ein Bus nur 2 mal am Tag fährt" (Jan Panknin) reichten die Reaktionen.

Vor allem der Nutzen auf dem Land sorgte für lebhafte Diskussionen: "Schön für die Mara! Mara hat aber auch einen Zuganschluss, wo jede Stunde eine Bahn fährt! Auf dem Dorf fahren täglich zwei Busse!" schrieb Veronika Hanst, wozu Frank Schönau und Ronny Schröder ergänzten: "fragt mal die anderen 98%" und "Es sollte auch ein Bus nach 20 Uhr im ländlichen Raum noch fahren". Thomas Reimann und David Altheide gehörten dagegen zu den vermuteten zwei Prozent mit "wohne auf dem Land und nutze das Ticket regelmäßig. Und jetzt?" und "wohne am Land und hab es jeden Monat locker raus, bin kein Pendler. Und nun?" Kein Trost für Gabi Berka und viele andere bei ihrer Anbindung: "Wenn man in einer größeren Stadt wohnt, ist das sicher toll. Aber auf dem Land oder in kleinen Städten kann man den ÖPNV kaum nutzen."

User wie goffmann oder René Wu lobten die Vereinheitlichung für Menschen, die an Tarif- oder Bundesländergrenzen leben. Dagegen stehen Überfüllung auf gut genutzten Strecken oder als Fernzug-Alternative: "Als Pendler bin ich nur noch genervt! Viel zu volle Züge… die Strecke Erfurt-Leipzig , Jena-Leipzig…ist einfach nur noch ein Grauen." (Steve Hinderlich). Dem konnte Eckhard Monninger aber langfristig sogar noch etwas Positives abgewinnen: "Wenn die Nachfrage steigt macht es endlich auch Sinn in ländlichen Regionen den ÖPNV auszubauen." Thomas Poppitz und andere vermissten eine flexiblere Möglichkeit ohne Abo und dafür mit Kauf auch an Automaten.


Und die verschiedenen Altersgruppen? Frank Mannefeld: "Mein Sohn hat dieses Jahr für sein Schulticket ein Deutschlandticket. So kann er nun auch in die nächsten Großstädte fahren, oder seine Freunde in den Nachbarorten besuchen und wir müssen nicht mehr fahren. Auch ein Besuch der Großeltern ist nun möglich. Ich finde es super!" Dagegen kleinerfrontkaempfer: "Wann kommt das SENIORENticket so wie in einigen Bundesländern schon verfügbar!? Inflationsmäßig sind die Millionen Rentner weit, weit abgeschlagen und benachteiligt."
Noch nicht näher nachrecherchiert haben wir die Erfahrung von Jörg Zell: "Schon ein Erfolg…aber man lernt auch das Leben kennen ….nicht immer schöne Begegnungen."

Mehr zum Deutschlandticket

MDR (ask)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | THÜRINGEN JOURNAL | 06. August 2023 | 19:00 Uhr

33 Kommentare

Anita L. vor 40 Wochen

Wow, so günstig kommt selten jemand vom TÜV. Da darf dann am fünf Jahre alten Fahrzeug aber immer noch nichts bemängelt werden. Und immer kostenlos parken? Da wüsste ich schon gern, wo Sie wohnen.
Wenn Sie übrigens allein für Ihr Fahrzeug aufkommen, rechnen Sie bitte auch nur eine Deutschlandkarte gegen.
Ich habe kein Problem, wenn der Staat, in dem ich Steuern zahle, Pharmaunternehmen, Verteidigung oder Banken unterstützt. Immerhin subventioniert er ja auch den Rohstoff, mit dem Sie Ihr (und ich mein) Fahrzeug zum Laufen bringen, und den Straßenbau, auf denen Sie Ihr (und ich mein) Fahrzeug bewegen. Von "Abwrackprämien" in mauen Zeiten und Subventionen für die (Fahrzeug)Industrie noch nicht gesprochen.
Aber fahren Sie ruhig weiter (fast?) alles mit dem Auto. Manchmal ist der "gefühlte Vorteil" wichtiger als der tatsächliche. Und für mich ist das zum Beispiel auch das Wissen, jederzeit in den ÖPNV steigen zu können, ohne mir Gedanken über den Fahrschein machen zu müssen.

Anita L. vor 40 Wochen

"Stattdessen wird mit Unsummen das Nichtarbeiten gefördert."

Wir schreiben hier aber nicht übers Bürgergeld oder soziale Leistungen im weiteren Sinn, sondern über den öffentlichen Personennahverkehr. So viel zur Themenfremde.

Anita L. vor 40 Wochen

Rechnen Sie die 13 Milliarden nur mal auf die Dauer der Pandemie hoch, für die einmalig 53 Milliarden Nothilfe eingesetzt wurden, dann wird Ihnen vielleicht klar, warum eine einmalige Notfallhilfe möglich ist, eine dauerhafte Bezuschussung in dieser Höhe dagegen eher nicht. Schon die einmalig 53 Milliarden sind ja schon so einigen ein Dorn im Auge ihrer egozentrischen Vorstellung von Steuerverwendung.

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