Das Schild des Vereins an einer Fassade
Seit April diesen Jahres ermittelt die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen die Arbeitsloseninitiative Talisa. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Talisa Betrugsverdacht: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Arbeitsloseninitiative

11. Juni 2022, 05:00 Uhr

Gegen die Thüringer Arbeitsloseninitiative Talisa laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Erfurt. Der Verein steht im Verdacht, bei der Verwendung von Fördermitteln betrogen zu haben. Im Raum steht eine Fördersumme von rund einer Million Euro. Der Verein könnte aber weiter unter Druck geraten. Denn inzwischen schaut auch die Thüringer Wirtschaftsfördergesellschaft GFAW in die Bücher und prüft.

Vor rund 30 Jahren startete in Thüringen eine Initiative für arbeitslose und sozial schwache Menschen: die Ali. Hinter der Abkürzung verbarg sich der Verein Arbeitsloseninitiative Thüringen e.V. In vielen Regionen des Freistaates war die Ali aktiv. Sie gründete gemeinsam mit Gewerkschaften und unter Hilfe der Linken-Vorgängerpartei PDS das Thüringer Arbeitslosen Parlament.

Es waren harte Zeiten, damals Mitte der Neunzigerjahre. Hunderttausende Menschen in Thüringen waren nach dem wirtschaftlichen Umbruch der Wiedervereinigung arbeitslos geworden. Ali half, wurde immer größer und immer einflussreicher.

Arbeitslosenverein ging pleite

Das ging bis Mitte der 2000er-Jahre gut, dann aber bekam die caritative Fassade des Vereins Risse. Es gab interne Streitigkeiten und die Ali musste Insolvenz anmelden. Doch die Vereinsführung agierte weiter und während die Ali wirtschaftlich zu Grabe getragen wurde, entstand ein neuer Verein: die Thüringer Arbeitslosen Initiative Soziale Arbeit e.V., kurz Talisa.

Interne Vereinsdokumente zeigen: Es war der alte Wein in neuen Schläuchen. Denn bei Talisa war auch in weiten Teilen altes Ali-Personal wieder an Bord, das wohl auch mit für die Insolvenz verantwortlich war.

Talisa mit Vorwürfen konfrontiert

Doch seit April dieses Jahres hat nun Talisa Probleme und sieht sich dem Vorwurf des Fördermittelbetrugs ausgesetzt. Auslöser dafür waren Recherchen von MDR THÜRINGEN, die im November vergangenen Jahres begannen und Ende April dieses Jahres öffentlich wurden. Ehemalige Mitarbeiter berichteten von Ungereimtheiten bei einem Projekt zur Hilfe für Flüchtlinge in Sömmerda.

Die Nachfragen beim Landesverwaltungsamt, das für die Vergabe und Prüfung der Mittel verantwortlich ist, führten zu internen Prüfungen der Behörde - die wiederum nun in einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Erfurt mündeten.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte MDR THÜRINGEN, dass es ein Ermittlungsverfahren gegen den Verein Talisa wegen des Verdachts auf Subventionsbetruges gebe.

Weitere Details wollte sie aktuell nicht nennen. Doch offenbar stehen in der Anzeige eine ganze Reihe konkreter Hinweise auf einen möglichen Betrug, die das Landesverwaltungsamt gefunden haben will. Unter anderem soll es dabei um Abrechnungen beim Personal in den Projekten gegangen sein.

Die Behörde mit Sitz in Weimar will keine Einzelheiten nennen, bestätigt aber die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Erfurt. Die Prüfungen der Fördergelder liefen aber trotz der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen weiter, sagte ein Sprecher des Landesverwaltungsamtes. 

Eine Million Euro Fördermittel

Für den Verein könnte das schwer wiegen. Denn immerhin geht es um rund eine Million Euro an Fördergeldern, die in den vergangenen Jahren an den Verein aus dem Haushalt des Migrationsministeriums für die Flüchtlingsarbeit gegangen sind. Doch inzwischen werden auch weitere Landes-Millionen aus anderen Fördertöpfen geprüft, die an den Verein geflossen sind.

Dabei geht es um die Mittel aus dem Programm zur öffentlich geförderten Beschäftigung (ÖGB), die aus dem Haushalt des Sozialministeriums stammen. Verwaltet, vergeben und geprüft werden die von der Thüringer Gesellschaft für Arbeits- und Wirtschaftsförderung (GFAW).

Nach internen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, hat Talisa zwischen 2016 und 2021 rund 2,3 Millionen Euro aus den Mitteln der ÖGB erhalten. Das alles steht nun auch auf dem Prüfstand. Eine Sprecherin sagte, dass die GFAW dabei auch in einem Informationsaustausch mit dem Landesverwaltungsamt stehe.

GFAW schaltet sich ein

Es ist nicht das erste Mal, dass die GFAW ein Auge auf den Verein hat. Bereits 2010 schaltete sich die Wirtschaftsfördergesellschaft beim Führungspersonal von Talisa ein. Auf Drängen der GFAW musste der damalige Vereinsvorsitzende Hans-Herrmann Hoffmann seinen Hut nehmen. Aus einem internen Vereinsprotokoll, das MDR THÜRINGEN einsehen konnte, geht hervor, dass die GFAW Hoffmann als Vorsitzenden für untragbar hielt.

Begründung der GFAW damals: Hoffmann sei auch der Chef der bereits erwähnten und pleite gegangenen Talisa-Vorgängerinitiative Ali gewesen. Laut dem Protokoll vom 13. April 2010 drohte die GFAW Talisa mit einem Entzug aller Fördermittel, wenn Hoffmann nicht zurücktrete. Der Verein fügte sich und machte seine Stellvertreterin Ingrid Schindler zur neuen Vorsitzenden. Das ist sie bis heute und sieht sich nun mit den aktuellen Vorwürfen konfrontiert.    

Talisa: Keine Kenntnis von Ermittlungen

Auf eine MDR THÜRINGEN-Anfrage teilte Talisa mit, von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Kenntnis zu haben. Auch ein vom Verein angebotenes Gespräch mit dem Landesverwaltungsamt zur Klärung der Vorwürfe habe es bisher nicht gegeben. Der Verein werde sich aber bemühen, Informationen von Staatsanwaltschaft und Landesverwaltungsamt zu erhalten. Danach könne sich Talisa zu den Vorwürfen öffentlich äußern, heißt es.

Probleme bei der Bufdi-Betreuung

Doch Talisa hatte bereits schon im vergangenen Jahr Auseinandersetzungen mit einer Behörde - dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Es verwaltet und betreut die Stellen des Bundesfreiwilligendienstes in Deutschland. Von denen hatte Talisa seit 2011 eine ganze Menge. Knapp 880 Bufdis, wie sie kurz genannt werden, verrichteten bis zum Juli 2021 ihren Dienst in den Thüringer Einrichtungen bei Talisa.

Doch dann kam es zu einem Bruch. Das Bundesamt teilte MDR THÜRINGEN mit, dass es immer wieder zu massiven Problemen bei der Einhaltung der Regeln für den Bundesfreiwilligendienst im Verein gekommen sei. Bei einer entsprechenden Tiefenprüfung seien dann erhebliche Verstöße zu Tage getreten. Dabei ging es offenbar um Dienstzeiten, Kündigungen oder Taschengeldzahlungen an die Bufdis.

Trotz intensiver Gespräche sah das Bundesamt keine positive Prognose, dass sich die Lage bei Talisa ändern werde. Die Zusammenarbeit wurde im Juli 2021 gekündigt. Eine entsprechende Anfrage dazu ließ der Verein unbeantwortet.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 11. Juni 2022 | 07:00 Uhr

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