Eine Frau steht einem Mann mit einem Messer gegenüber.
Bei allgemeinen Tötungsdelikten sind sind der Kriminalstatistik zufolge Frauen stark unterrepräsentiert. Trotzdem gibt es viele Gründe, warum sie töten. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Lehtikuva

Gewaltdelikte Warum Frauen töten: Eine Psychologin erklärt mögliche Gründe

21. Januar 2023, 13:16 Uhr

Rebecca Bondü, Professorin für Entwicklungspsychologie, Pädagogische Psychologie und Familienpsychologie an der Psychologischen Hochschule Berlin, forscht zum Umfeld schwerer Straftaten. Gegenwärtig beschäftigt sie sich in einem Forschungsprojekt mit "Leaking". Dabei geht es darum, wie Tötungsabsichten in Partnerschaften vorab angekündigt werden, welche frühen Warnsignale es möglicherweise gibt und wie das soziale Umfeld reagiert. Im MDR THÜRINGEN-Interview gibt Rebecca Bondü Auskunft.

MDR THÜRINGEN: In Thüringen wurde vor wenigen Tagen in Kölleda im Landkreis Sömmerda ein Mann zu Hause getötet. Als Tatverdächtige wurde eine 33-jährige Frau festgenommen. Nach kurzer Zeit wurde sie entlassen. Die Staatsanwaltschaft begründete: Die Frau habe offenbar aus Notwehr den Mann getötet. Frau Bondü, wir kennen zu diesem Fall die genauen Umstände nicht. Vielleicht sprechen wir allgemein zu derartigen Tötungen zu Hause. Allgemein, wenn eine Frau einen Mann tötet - in der Statistik sind ja Frauen bei schweren Gewaltdelikten kaum vertreten. Gibt es dafür eigentlich Gründe?

Rebecca Bondü: Allgemein neigen Frauen nicht so stark zu aggressivem Verhalten. Und tatsächlich ist es in der Kriminalstatistik ganz regelmäßig so, dass Frauen zum Beispiel bei allgemeinen Tötungsdelikten ganz stark unterrepräsentiert sind. Allerdings: Wenn es um Tötungen in Partnerschaften geht, dann finden wir immerhin einen Prozentsatz von 25 Prozent Täterinnen. Das heißt, hier in diesem spezifischen Bereich haben wir tatsächlich das Phänomen, dass eben der prozentuale Anteil weiblicher Täter viel, viel höher ist als in anderen Deliktbereichen.

Trotzdem heißt das natürlich, dass Männer deutlich als Täter überwiegen. Beim Stichwort "häusliche Gewalt" haben wir alle - vielleicht geprägt durch Medienberichte - Bilder vor Augen, denken an ungelöste Konflikte im Alltag oder in der Familie. Warum überwiegen hier Männer, warum sind sie aggressiver und Frauen meist die Opfer?

Klar, in den Medien hören wir mehr von Männern, weil immer noch drei Viertel der Männer letztendlich die Täter sind. Man muss sagen, dass wirklich nicht allen Tötungsdelikten an Partnerinnen letztendlich häusliche Gewalt vorausgeht. Tatsächlich haben wir eine Recherche gemacht, die gezeigt hat, dass es vielfältige Motivlagen gibt. Männer bringen zum Beispiel ihre Partnerinnen um, wenn sie Angst haben, dass sie verlassen werden könnten oder wenn es zu sonstigen Problemen in der Partnerschaft kommt.

Wenn ich zu den Frauen switche, dann ist ja ganz häufig die Annahme, dass die Taten der Frauen vor allen Dingen deswegen passieren, weil die vorher im Kontext der Beziehungen schon häusliche Gewalt erlebt haben. Und das ist natürlich auch ein bisschen der Hintergedanke, den man in diesem konkreten Fall hat. Aber da fehlen letztendlich im Moment wirklich zuverlässige Forschungsergebnisse, die uns sagen würden, wie hoch eigentlich der Anteil der Täterinnen ist, die vorher überhaupt häusliche Gewalt erfahren haben.

Auch hier findet man auch andere Motivlagen. Es ist zum Beispiel auch so, dass Frauen ihre Partner umbringen, also jetzt mal platt formuliert, um sie loszuwerden oder auch zum Beispiel, um finanzielle Vorteile zu erhalten. Also zum Beispiel, wenn der Ehepartner umgebracht wird, dass man dann Rentenansprüche zum Beispiel erbt und dann zum Beispiel auch frei ist, mit einem neuen Partner zusammenzuleben usw. Es ist vielleicht dann doch ein weniger homogenes Feld, als man sich eigentlich vorstellt.

Es gibt ja diesen Spruch: Frauen morden, um loszuwerden, und Männer morden, um zu behalten. Das klingt so ein bisschen, als würden Männer sehr häufig im Affekt handeln und einfach mit einer familiären Lage nicht umgehen können, während Frauen dann in vielen Beispielen doch gezielter vorgehen. Oder ist das aus Ihrer Sicht eine völlig abseitige Spekulation?

Ja, also ich habe auch auf jeden Fall schon gehört, dass unsere Partner von der Polizei dies so geäußert haben. Und das wird sicherlich auch noch mal Teil unseres Forschungsprojektes sein, genauer hinzugucken und genauer aufzudröseln, welche Motivlagen können wir da womöglich finden in den einzelnen Bereichen?

Wie auch in anderen Deliktbereichen, über die ich früher schon gearbeitet habe, also so etwa Amokläufe oder terroristische Taten, ist es auch bei diesen häuslichen Gewaltdelikten im Sinne von Partnertötungen so, dass dem häufig eher ein längerfristiger Entwicklungsprozess vorausgeht, was wir uns eben dann auch zunutze machen wollen, um dann womöglich auch frühzeitig Warnsignale im Verhalten der späteren Täter oder Täterinnen dann identifizieren zu können.

Ich komme noch einmal auf das psychische Befinden zurück: Trotzdem gibt es doch unterschiedliche Verarbeitungsmuster oder sind das eher Rollenklischees: Frauen richten Aggressionen eher gegen sich selbst, während Männer doch sehr aggressiv nach außen sein können, wenn sie Probleme haben, mit Konflikten nicht umgehen können?

Genau das ist letztendlich ja der grundlegende Erklärungsansatz ein Stück weit für die erste Frage, die sie mir gestellt hatten. Also warum ist eigentlich der Anteil der Frauen unter den Gewalttätern so viel geringer als der der Männer? Und dann würde man genau das anführen, dass man generell davon ausgeht, dass Männer Probleme, wir sagen dann eher externalisieren, also nach außen richten.

Und dann ist es eben häufig aggressives Verhalten, während die Frauen das eher häufiger nach innen richten und dann internalisierende Probleme zeigen, also Ängste, Depressionen, somatische Beschwerden usw.

Wenn wir allgemein über häusliche Gewalt vor allem von Männern sprechen – ergibt sich die Frage nach einer Grauzone. Haben Sie dazu Erkenntnisse? Dass vielleicht manche Männer, die Gewalt erleben, aus Scham dies nicht anzeigen?

Es gibt viele Studien, die zeigen, dass, wenn es um rein häusliche Gewalt geht, sich der Anteil der männlichen und der weiblichen Täter gar nicht so weit unterscheidet. Also wir wissen, dass auch Männer Viktimisierungsraten haben, sagen wir mal um die 25 Prozent.

Und oft ist es aber so, dass die physischen Verletzungen, die Männer davontragen, eben nicht so stark sind. Einerseits, weil die Frauen nicht so stark sind und womöglich auch nicht so gewaltsam agieren, wie manche Männer es dann tun. Aber auch, weil Männer einfach auch eine bessere Konstitution haben und - sagen wir mal - womöglich jetzt ein Knochen auch nicht so schnell bricht, wie das bei Frauen der Fall wäre. Also das bezieht sich jetzt auf allgemeine häusliche Gewalt.

Konkret bezogen auf Partnerschaftstötungen ist es natürlich insofern eine schwierige Frage. Denn, wenn es unentdeckt bleibt, wissen wir es natürlich auch nicht und wir sehen es nicht in den polizeilichen Kriminalitätsstatistiken, weil die dann Tatverdächtigen womöglich gar nicht auftauchen.

Und wahrscheinlich zielt ja die Frage so ein bisschen auch auf dieses Phänomen, sagen wir mal der Giftmorde ab, sodass dann der Tod des in dem Fall männlichen Partners gar nicht so sehr durch hohe körperliche Gewalt herbeigeführt wird, sondern durch "sanftere" Mittel, die dann vielleicht gar nicht so häufig entdeckt werden, weil man zum Beispiel denken könnte, die Person habe einen Herzinfarkt bekommen.

Ich halte das für eine Möglichkeit, dass es mehr Morde durch Frauen gibt, als wir sehen. Aber ich kann es nicht jetzt belegen.

Ein Messer steckt in einem Holzfußboden.
Mögliche Warnsignale für schwere Gewalttaten sind bislang kaum erforscht. Bildrechte: IMAGO/Lutz Wallroth

Behauptet wird immer wieder, dass bei Kindstötungen in der Familie, Frauen häufiger Täter sind als Männer. Stimmt das?

Da sagt die Forschung tatsächlich: Wenn Kinder involviert sind, sind Männer häufiger die Täter, zwar wieder mit einem höheren Prozentsatz sogar von ungefähr 90 Prozent laut einer Studie.

Nun kommen wir auf den aktuellen Fall zurück, bei der eine junge Frau den Mann in Thüringen offenbar aus Notwehr getötet haben soll. Notwehr ist ja nicht vorsätzlich. Was wissen wir allgemein über Situationen, in denen es zu Gewalt in Notwehr kommt, wie kommt es dazu?

Wenn man sich auf die Ebene der Vermutungen begibt, dann ist natürlich der naheliegendste Gedanke, dass es entweder langfristig oder in der spezifischen Situation zu eben schwerer Gewalt des Mannes oder ernst zu nehmenden Todesdrohungen des Mannes gegenüber der Frau gekommen ist und die sich dann vielleicht nicht anders zu helfen wusste, als womöglich irgendeine verfügbare Waffe oder so, die gerade zur Hand war - also das ist jetzt wirklich Spekulation - dann genommen hat, um sich zu wehren. Das ist die naheliegendste Vermutung, würde ich sagen.

Insbesondere unter den weiblichen Opfern, also der späteren Täterin, taucht das auf. Aber wie gesagt, es gibt eben, auch wenn es sich um Täterinnen handelt, auch andere Motive. Das ist nicht das einzige Motiv, eben für die Frauen zu handeln.

Wenn solche Dinge eine Vorgeschichte haben, und Notwehr lässt uns an eine Vorgeschichte denken - was denken Sie, wie viel Mitschuld trägt die Umgebung, Freunde, Bekannte. Haben Sie Erkenntnisse, wie oft derartige Konflikte im Geheimen ablaufen oder dass die Umgebung wegschaut?

Ich würde vielleicht gar nicht so sehr von der Mitschuld sprechen, aber ich würde aus unserer Perspektive sagen, dass wir denken, dass es Anhaltspunkte gibt oder geben sollte, also im Vorfeld dieser Taten, auf die auch Dritte aufmerksam werden könnten und bei denen wir eben hoffen, dass wir dort ansetzen können mit der Prävention.

Unser Forschungsprojekt fängt gerade an mit den Analysen. Aber wir haben so was gemacht wie eine systematische Literaturanalyse zu Risikofaktoren. Manche dieser Risikofaktoren würden wir unter unseren Begriff des sogenannten Leakings fassen, also dieser Tatankündigung. Dazu zählt zum Beispiel so was wie Drohungen auch gegenüber Dritten zum Beispiel schon mal geäußert zu haben, dass dem Opfer ja zum Beispiel was passieren könnte oder dass man Waffen hat, oder dass man tatsächlich die Person umbringen möchte, ganz konkret.

Dann kommt so was dazu wie Tatvorbereitungen treffen, also dass man sich zum Beispiel Waffen beschafft oder dass man überlegt, wie man sich ein Alibi zurechtlegen könnte und das so vorbereitet, dass auch andere das zum Beispiel sehen können. Und dann gibt es außerdem noch alles, was mit Suizidgedanken und Vorstellungen zu tun hat, weil wir wissen, dass es relativ hoch korreliert ist. Also Leute, die Partner töten, töten sich relativ häufig dann auch im Anschluss selber.

Es gibt noch einen weiteren Bereich, den, der bislang wirklich kaum betrachtet worden ist. Und das ist so was, wie interessieren sich dann die späteren Täter oder Täterinnen auch für frühere Täter und Täterinnen oder für frühere Taten? Oder ist es so, dass die auf einmal ganz häufig darüber sprechen? Oder ist es so, dass sie dann auch solche Taten früheren Taten anfangen zu rechtfertigen und so etwas sagen wie ,Ach ja, das kann ich aber auch gut verstehen'.

Wir wollen jetzt in diesem Projekt genauer hingucken, ob, wie häufig und in welchen Formen solche Warnsignale auftreten und ob es bestimmte Merkmale in diesen Aussagen und Verhaltensweisen gibt, die wirklich dafür sprechen, dass diese Ankündigungen ernst gemeint sind. Das heißt, dass sie dann wirklich später in die Tat umgesetzt werden.

Und das wollen wir machen, indem wir dann die Gruppe der späteren Täterinnen vergleichen mit Personen, die zum Beispiel auch gedroht haben, aber am Ende keine Tat umgesetzt haben.

Und das Prinzip, was ich jetzt beschrieben habe, ist eigentlich das Gleiche, was wir in einem Vorläuferprojekt schon angewendet haben, da haben wir Risikofaktoren für terroristische Taten in Deutschland erforscht und da ist es uns tatsächlich gelungen, bestimmte Kriterien zu identifizieren, die dann erlaubt haben, zwischen späteren terroristischen Täterinnen und Leuten, die so eine Tat angekündigt haben, aber nicht ausgeführt haben, zu identifizieren.

Also diese Konzept des Leakings, wie Sie sagen, bei dem auf Warnsignale aufmerksam gemacht werden soll?

Es ist einfach so, dass dieses Konzept noch nicht besonders bekannt ist und bislang eben auch nur wirklich systematisch erforscht worden ist - also diese Warnsignale für schwere Gewalttaten.

Damit Leute überhaupt wissen, worauf sie gucken sollen und dass es eben nicht nur darum geht, zieht jetzt jemand irgendwie die Knarre schon aus der Hose oder so, sondern auch darum, was passiert eigentlich alles schon im Vorfeld? Was wird gesagt, welche Interessen entwickeln die Personen? Gibt es auffällige Veränderungen im Verhalten usw. und so fort?

Und das ist natürlich einerseits schwierig, das zu vermitteln, weil natürlich sich auch nicht alle wechselseitig immer überwachen sollen und eine Angst herrschen soll, dass jeder dauernd womöglich eine schwere Gewalttat begehen sollte.

Und trotzdem. Man muss es sehen und dann muss man auch darauf reagieren und muss es auch womöglich bekannt machen, zum Beispiel bei der Polizei, auch als eben nicht späteres Opfer, sondern als möglicher Zeuge. Denn die Polizei hat dann viel mehr die Möglichkeit, womöglich noch mal solchen Hinweisen nachzugehen.

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MDR (co)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 16. Januar 2023 | 15:30 Uhr

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