Momentaufnahme aus einer Klavierunterrichts-Stunde
Im Zuge des sogenannten Herrenberg-Urteils müssen Musikschulen ihre gesamten Honorarkräfte in eine Festanstellung überführen. Das stellt die Schulen vor große Probleme. (Symbolfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa | Thomas Frey

Nach Herrenberg-Urteil Wie ein Gerichtsurteil zur Zerreißprobe für Thüringer Musikschulen werden könnte

29. November 2024, 10:19 Uhr

Ein wegweisendes Gerichtsurteil stellt thüringenweit die Musikschulen auf den Kopf. Die Folgen sind Fluch und Segen zugleich.

Die gute Nachricht zuerst: Für viele Honorarkräfte soll zurzeit ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung gehen. Nach Jahren der befristeten Verträge und schlechter sozialer Absicherung müssen sie von den Musikschulen jetzt fest angestellt werden. Doch die neuesten Umbrüche in der Musikschullandschaft lösen vielerorts auch Verunsicherung und Existenzängste aus.

Auslöser war ein Urteil des Bundessozialgerichts. Im Juni 2022 stellte dieses fest, dass selbstständig eingestufte Honorarlehrer de facto abhängig beschäftigt sind. Das bedeutet: Eigentlich liegt eine sogenannte Scheinselbstständigkeit vor.

Freie Mitarbeiter müssen jetzt entsprechend als reguläre Arbeitnehmer eingestuft werden. Wird dies nicht umgesetzt, drohen den Musikschulen hohe Geldstrafen.

Umstellung bei Musikschulen im vollen Gange

In Thüringen haben inzwischen sechs kommunale Musikschulen den Wechsel vollständig umgesetzt. In Jena, Gera, im Eichsfeld, im Saale-Holzland-Kreis, im Kreis Greiz und im Wartburgkreis sind seit dem Sommer alle Lehrpersonen fest angestellt. "Alle anderen haben sich schon auf den Weg gemacht", berichtet Yvonne Krüger, Landesvorsitzende des Verbands deutscher Musikschulen (VdM).

Es war eine richtige Hauruck-Aktion, die kurzzeitig für viel Wirbel gesorgt hat.

Yvonne Krüger, Landesvorsitzende des Verbands deutscher Musikschulen

Krüger ist auch Leiterin der Musik- und Kunstschule in Jena. Im Sommer 2024 war sie eine der ersten, die im Zuge des Herrenberg-Urteils ihre gesamten Honorarkräfte in eine Festanstellung überführen ließ.

"Es war eine richtige Hauruck-Aktion, die kurzzeitig für viel Wirbel gesorgt hat", so Krüger. Mittlerweile sei aber Ruhe eingekehrt und alle hätten sich mit der neuen Situation angefreundet.

Die Musik- und Kunstschule Jena von außen.
Die Musik- und Kunstschule in Jena gehört zu sechs kommunalen Musikschulen in Thüringen, die den Wechsel vollständig umgesetzt haben. Bildrechte: MDR/Sophie Hartmann

Ausgaben für Musikschulen steigen sehr stark

"Die Lehrkräfte sind endlich in den Musikschulablauf eingegliedert. Das stärkt die Motivation und das Gemeinschaftsgefühl", berichtet Krüger. Früher habe es an der Musikschule eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gegeben.

Jetzt sei ein starkes Wir-Gefühl zu spüren. Als Leiterin der Musik- und Kunstschule Jena ist Yvonne Krüger sicher, den richtigen Weg gegangen zu sein. Als Landesvorsitzende des VdM sieht sie aber auch die Gefahren, die das Herrenberg-Urteil mit sich bringt.

Die Lehrkräfte sind endlich in den Musikschulablauf eingegliedert. Das stärkt die Motivation und das Gemeinschaftsgefühl.

Yvonne Krüger, Landesvorsitzende des Verbands deutscher Musikschulen

Festanstellungen sind aufgrund der Sozialabgaben sehr teuer. Nach Angaben der Landratsämter entstehen den Kommunen dadurch jährliche Mehrkosten zwischen 30.000 Euro und 500.000 Euro. Besonders Musikschulen im ländlichen Raum, wo eine Haushaltslücke die nächste jagt, stehen vor großen Problemen.

Yvonne Krüger, Leiterin der Musik- und Kunstschule Jena.
Yvonne Krüger, Leiterin der Musik- und Kunstschule Jena. Bildrechte: MDR/Sophie Hartmann

Höhere Gebühren oder weniger Angebote als einziger Ausweg für Musikschulen

Die Kostensteigerung könne schlussendlich nur durch höhere Unterrichtsgebühren oder ein ausgedünntes Angebot ausgeglichen werden, heißt es aus den Landkreisen. Im Eichsfeld ist dieser Fall bereits eingetreten. Nach Angaben des Landratsamtes mussten Jahreswochenstunden und Schülerzahlen in Folge des Herrenberg-Urteils reduziert werden.

Darunter leiden vor allem die weniger nachgefragten Exotenfächer, wie Oboe, Kontrabass oder Harfe. Ein Wegfallen dieser Instrumentengruppen würde nachhaltig an der fachlichen Qualität und Attraktivität der Musikschulen nagen, kritisieren die Kommunen. All das stelle ein enormes Problem dar.

Freude, aber auch Zukunftsängste bei Musikschul-Lehrern

Für die Beschäftigten mischt sich nun die Freude über die neugewonnene Sicherheit mit Zukunftsängsten. Was das Herrenberg-Urteil langfristig für Konsequenzen hat, kann keiner so richtig abschätzen. Und: Nicht alle Lehrer wollen fest angestellt sein. Für einige lässt sich das nicht mit dem Berufsmodell vereinbaren. Besonders, wer auch als Konzertmusiker tätig ist, will und muss weiter flexibel sein.

Ein unerwünschter Nebeneffekt ergibt sich auch für die Pädagogen, die an mehr als einer Musikschule beschäftigt sind. Sobald sie mindestens zwei Festanstellungen haben, rutschen sie automatisch in eine höhere Steuerklasse und zahlen drauf.

Vorteile überwiegen, doch große Herausforderung bleiben

Und trotzdem: Laut dem VdM bedeutet das Herrenberg-Urteil vor allem grundlegende Verbesserungen. "Musikschulen funktionieren mit festangestellten Lehrkräften einfach besser", ist sich Landesvorsitzende Yvonne Krüger sicher. Auch der Thüringer Landesmusikrat steht dem Herrenberg-Urteil positiv gegenüber.

"Ich selbst halte das für einen ganz wichtigen Schritt", bekräftigt Friedrun Vollmer, Präsidentin des Landesmusikrates. Es sei eine erkämpfte Errungenschaft und längst überfällig, dass die Pädagogen aus ihren prekären Arbeitsverhältnissen herauskommen.

Sowohl der VdM als auch der Landesmusikrat betonen aber, dass es Ausnahmeregelungen brauche, unter denen auch weiterhin Honorarverträge zwischen Lehrkraft und Musikschule geschlossen werden dürfen. Das betreffe beispielsweise die Lehraufträge für Studenten und Rentnern, aber auch projektbezogene Aufträge für Ferienkurse oder Probenphasen. Dringend notwendig seien solchen Sonderregelungen auch, um die weniger nachgefragten Instrumentalfächer zu retten.

Für viele Musikschulen stehen die großen Herausforderungen erst noch bevor. Sie hoffen auf ein finanzielles Entgegenkommen der Kommunen - vor allem aber auf ein Zugeständnis der neuen Landesregierung.

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MDR (soh/jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 29. November 2024 | 07:00 Uhr

18 Kommentare

martin vor 1 Wochen

@martin: Womit ich meine Brötchen verdiene, ist hier völlig unerheblich. Sie motzen im letzten Satz Ihres Beitrags gegen den Gesetzgeber - obwohl es im Beitrag um die Konsequenzen aus einer Entscheidung des Bundessozialgerichts geht.

Sofern Ihre Erzählung von Arbeitsgebern stimmt, die Honorarkräften Steuern und Sozialversicherungsabgaben abziehen, sollten sich die Arbeitnehmer eine halbwegs gescheiten Rechtsanwalt nehmen ...

Aber auch an solchem Fehlverhalten ist nicht der Gesetzgeber Schuld.

NochJemand vor 1 Wochen

Sie sind wohl selbst Lehrer? Aber vermutlich fest angestellt. - Klar ist das eine Entscheidung eines Gerichts. Aber ich wollte beleuchten, was die EInrichtungen daraus machen. Hoffe, Sie haben es jetzt verstanden.

martin vor 1 Wochen

Soweit ich das Gesetz richtig verstanden habe, kann eine Person mit Festanstellung natürlich für andere Arbeitgeber selbstständig auf Basis von Honorar- oder Werkverträgen arbeiten, da die Person dann ja nicht von einem Arbeitgeber abhängig ist.

Durch die Gründung unterschiedlicher Subunternehmen an einem Logistikstandort hatte ein großer Internethändler vor einiger Zeit (ich meine sogar / leider erfolgreich) versucht die selbstständigen Fahrer vor einer Scheinselbstständigkeit "zu schützen" ohne sie anstellen zu müssen.

Ich gehe davon aus, dass es weniger am Gesetz selbst liegt, sondern an der Sorge der Musikschulen vor Klagen sowie am fehlenden Interesse einiger Lehrkräfte an einer Festanstellung.

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