Flugzeug mit Kondensstreifen und Schriftzug CO2 am Himmel
Längst ist Nachhaltigkeit zu einer Marke geworden, mit der Firmen für ihre Zwecke werben. Konsumenten sollten jedoch stets skeptisch bleiben. Bildrechte: imago images/Christian Ohde

Angesprochen - Ausgesprochen Die Ware Nachhaltigkeit: Wo bleibt der gesunde Menschenverstand?

12. November 2022, 05:00 Uhr

Irina Lock ist Professorin für Strategische Kommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie untersucht unter anderem, wie Unternehmen kommunizieren. In unserem Interview spricht sie über die Versprechen von Firmen und Organisationen für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Und darüber, ob diese Strategien gesellschaftliche Verantwortung spiegeln oder ein Ablenkungsmanöver sind.

Das Thema Nachhaltigkeit bestimmt heute öffentliche Debatten. In Politik, beim Einkaufen, überhaupt in der Gesellschaft sind Angaben zur Nachhaltigkeit nicht zu übersehen. Damit zeigen Firmen oder Organisationen, wie sie sich definieren, auf welche Werte sie achten, welche gesellschaftliche Verantwortung sie angesichts des Klimawandels übernehmen. Doch sind all diese Angaben glaubwürdig und kommen sie bei Verbrauchern und Öffentlichkeit an?

Mit derartigen Fragen beschäftigt sich Irina Lock in Jena. "Ich würde nie dazu raten, sich nur auf Labels zu verlassen", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin und Professorin der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Selbst wenn Hersteller ihre Produkte noch so nachhaltig oder ökologisch auszeichnen, als Konsumenten sollten wir immer den gesunden Menschenverstand einbeziehen.

Nachhaltigkeit in Werbung fest verankert

Nachhaltigkeitsversprechen gehörten heute, so sagt Irina Lock, zur üblichen Unternehmenskommunikation und zur Strategie von öffentlichen Einrichtungen. Konsumenten oder Angestellte würden wissen wollen, ob sich eine Firma nur um ihre Profite kümmere oder auch um Probleme wie den Klimawandel, und damit gesellschaftliche Verantwortung wahrnehme. - Engagiere sich eine Einrichtung mehr, als die Gesetzgebung vorschreibe oder gehe ein Unternehmen über die Grenzen des eigentlichen Geschäftszweck hinaus?

Das Thema Nachhaltigkeit sei in der öffentlichen Kommunikation allgegenwärtig, sagt Lock. Der Klimagedanke stecke in Werbung von Banken, von Nahrungsmitteln oder Supermarktketten, aber auch in Behördenschreiben oder an der Universität. Dahinter stecke nicht unbedingt eine selbstlose Motivation, sondern er enthalte, was Kunden, Mitarbeiter oder Anteilseigner fordern. Und das offenbar quer durch alle Altersklassen.

Spenden fürs Klima

Das zeige, dass Nachhaltigkeit als Gesellschaftsthema in der Breite wirklich angekommen sei. Vor rund fünfzehn Jahren etwa sei das noch kaum denkbar gewesen, sagt die Kommunikationsforscherin. Sie denke, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit selbst nachhaltig bleiben werde, auch wenn er momentan stark im Marketing strapaziert werde.

Eine andere Frage sei allerdings, ob die allgegenwärtige Nachhaltigkeit die Menschen in diesem Sinn auch erziehe, so dass sie sich umweltbewusster verhielten, sagt Lock. Zur Veranschaulichung nennt sie die Luftfahrt. Wer sich heutzutage ein Flugticket kaufe, könne mit einem vergleichsweise kleinen Beitrag zusätzlich etwas für das Klima tun. Fluggesellschaften bäten beim Kauf des Tickets um eine kleine Spende – etwa für ökologische Projekte.

Zwar begünstigt Fliegen nachweislich den Klimawandel, doch mit der Spende, so wirke es, könne etwas für die Umwelt getan werden und damit der Schaden, der durch das Herumfliegen entsteht, kompensiert werden. Solche Aktionen, sagt Irina Lock, stünden in der Kritik. Menschen würden dazu neigen, ihr Gewissen zu beruhigen: Mit einer kleinen Spende balancierten sie sich moralisch aus, das "Nachhaltigkeitskonto im Kopf" werde ausgeglichen. Und das täusche über den Fakt hinweg, dass Fliegen zurzeit nicht nachhaltig sein könne.

Produktversprechen kritisch hinterfragen

Skepsis sei auch angesichts der verschiedenen Siegel und Versprechen an Produkten angebracht. In den letzten Jahren sei in Deutschland "ein riesengroßes Wirrwarr" entstanden. Auch sie selber blicke nicht durch, sagt die Forscherin. Bio-Schokokekse etwa seien nicht unbedingt gesund, nur weil "Bio" auf der Verpackung stehe. Etliche Süßigkeiten würden mit dem Slogan "Nur natürliche Zutaten" beworben. Dabei sei klar, dass "natürlicher" Zucker gesundheitsschädigend sein könne. Interessierten Konsumenten, die sich gern im Internet über Produkte belesen würden, rät die Forscherin zur Vorsicht. Viele Studien seien von der Industrie in Auftrag gegeben. Insofern sollten Produktversprechen durchaus hinterfragt werden.

Als Professorin erlebe sie bei ihren Studenten "eine sehr große Aufgeklärtheit" zum Thema Nachhaltigkeit – jedoch auch "einen ziemlich großen Zynismus". Die Studentinnen und Studenten fragten sich, was hinter all der Kommunikation und den Produktversprechen stecke - und: könne man dem wirklich vertrauen?

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Samstagmorgen | 12. November 2022 | 06:10 Uhr