Verwaltungsgericht Gera
Neben Ronneburg klagen drei weitere Gemeinden gegen ihre Einstufung als Radon-Vorsorgegebiet vor dem Verwaltungsgericht in Gera. Bildrechte: MDR/Andreas Dreißel

Verwaltungsgericht Radon-Gebiete: Vier Gemeinden klagen gegen das Land Thüringen

24. Mai 2023, 07:08 Uhr

Wurden die Thüringer Radonvorsorgegebiete aufgrund alter Messdaten ermittelt? Mit dieser Frage musste sich am Dienstag das Verwaltungsgericht in Gera befassen. Die Stadt Ronneburg und die drei Gemeinden Kauern, Korbußen und Paitzdorf im Kreis Greiz klagen gemeinsam gegen die Radon-Vorsorgeverordnung des Landes. Sie fühlen sich zu Unrecht ausgewählt.

Im Ronneburger Gelände der früheren Bundesgartenschau erinnert noch vieles an die Vergangenheit als Bergbau-Standort. Zu DDR-Zeiten wurde hier jahrzehntelang Uran abgebaut. Noch immer liegen hier Uran-Vorräte unter der Erde, beim Zerfallsprozess des radioaktiven Materials entsteht auch Radon. An der frischen Luft ist es ungefährlich, in geschlossenen Innenräumen allerdings kann es beim Einatmen das Lungengewebe schädigen und zu Krebs führen.

Laut Bundesstrahlenschutz-Gesetz und -Verordnung mussten deshalb die Bundesländer bis Ende 2020 eigene Verordnungen zum Schutz vor Radon erlassen. Auch in Thüringen. In der aktuellen Fassung werden erstmals 19 sogenannte Radon-Vorsorgegebiete genannt. Dort müssen beim Neubau von Häusern Schutzmaßnahmen durchgeführt werden. Dazu zählen zum Beispiel dickere, wasserundurchlässige Bodenplatten oder Folien. Außerdem müssen Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen regelmäßig den Radon-Gehalt in der Luft messen.

Radon-Vorsorgegebiete in Thüringen


  • Elgersburg
  • Floh-Seligenthal
  • Goldisthal Gräfenthal
  • Großbreitenbach
  • Ilmenau
  • Katzhütte
  • Kauern
  • Korbußen
  • Luisenthal
  • Masserberg
  • Oberhof
  • Paitzdorf
  • Posterstein
  • Ronneburg
  • Ruhla
  • Schleusegrund
  • Schwarzatal
  • Tambach-Dietharz


Quelle: Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz

Vier der Gebiete liegen in der Region um Ronneburg. In Kauern, Korbußen, Paitzdorf und der Stadt Ronneburg stellte das Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz ein Radonpotential von über 44 fest. Laut einem für das Bundesamt für Strahlenschutz erstellten Gutachten ist ab diesem Wert davon auszugehen, dass der Referenzwert von 300 Bequerel pro Kubikmeter und Jahr für die Radonkonzentration überschritten wird.

Radonpotenzial Wie stark Radon aus dem Boden entweichen und potenziell in Innenräume von Häusern gelangen kann, wird als "Radon-Potenzial" bezeichnet. Seine Höhe hängt davon ab, wie viel Radon im Boden konzentriert ist und wie durchlässig der Boden ist.
Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz

Allerdings zweifeln die Gemeinden, dass sie rechtmäßig als Radon-Vorsorgegebiet eingestuft worden sind. Sie beklagen vor allem, dass sie im Verfahren nicht angehört wurden. Außerdem bemängeln sie, dass für drei der betroffenen Gemeinden keine Messwerte zur Radonkonzentration vorliegen.

Kritik an Messwerten

"Das Landesamt hat hier einfach Messwerte aus anderen Regionen herangezogen", sagt Heiko Örtel, der in der Stadtverwaltung Ronneburg die Klage gegen das Land Thüringen auf den Weg gebracht hat. "Und diese Messwerte stammen aus den Jahren 1995 bis 2003." Damals wurde die Radonkonzentration an einigen Orten in Thüringen im Rahmen eines Forschungsprojektes gemessen, um verschiedene Messverfahren miteinander zu vergleichen.

Zu wenige Messwerte bestätigt auch das Landesamt. Möglicherweise könnte Zeitdruck der Grund für die Arbeit mit zu wenigen und veralteten Daten sein. Denn nach MDR-Informationen schrieb das Landesamt für Umwelt erst im Dezember 2019 die Arbeiten für die Einstufung der Vorsorgegebiete aus, im April 2020 erfolgte die Vergabe der Leistungen. Flächendeckende Messungen mussten also aus Zeitgründen unterbleiben. Am 31.12.2020 trat die Thüringer Verordnung über die Radon-Vorsorgegebiete in Kraft. Andere Bundesländer wie zum Beispiel Hessen nutzten die Zeit bis zum Fristablauf besser und erneuerten ihre Datenbestände. Dabei stellten sie auch fest, dass nur bei Mehrfachmessungen aussagekräftige Werte erreicht werden können.

Schutz würde mehr Geld kosten

Die vier Ostthüringer Gemeinden befürchten jetzt Nachteile, höhere Kosten und einen Wertverlust bei Immobilien. Denn mit der Einstufung müssen Bauherren oder Eigentümer von öffentlichen Gebäuden Schutzmaßnahmen ergreifen. Da das Gas durch Risse im Fundament von Häusern oder schlecht isolierte Rohrschächte in die Gebäude gelangen kann, müssen zum Beispiel in Arbeitsräumen regelmäßig Messungen durchgeführt werden.

Bei Neubauten müssen die Bauherren dickere Bodenplatten aus wasserundurchlässigem Beton und Sperrfolien einbauen. In einem aktuellen Fall sorgte das laut Stadtverwaltung bei einem Bauherrn in Ronneburg für Mehrkosten in Höhe von 13.000 Euro. In Zukunft könnte das dazu führen, dass Investoren einen Bogen um Ronneburg machen. Aber auch Familien könnten sich in Zukunft überlegen, ob sie in der Region wohnen möchten.

Heiko Örtel von Stadt Ronneburg blättert an einem Schreibtisch in einem Aktenordner
Der Stadtverwaltungsmitarbeiter Heiko Örtel vertritt die Stadt Ronneburg vor dem Verwaltungsgericht in Gera. Bildrechte: MDR/Andreas Dreißel

"Die Ausweisung der Gebiete ist eigentlich eine gute Sache", sagt Heiko Örtel. "Allerdings muss der Freistaat wegen der möglichen Folgen bei der Auswahl sehr sorgfältig sein."

Deshalb haben die Ronneburger und ihre Mitklägerinnen auch kein Verständnis dafür, dass die alten Messdaten, von denen laut Stadtverwaltung weder Datum noch Wetterverhältnisse bekannt sind, überhaupt verwendet werden durften. Es habe sich um Einzelmessungen im Rahmen eines Forschungsprojektes gehandelt. Mehrfache Messungen bei unterschiedlichen Wetterverhältnissen habe es damals nicht gegeben. Wegen der alten Daten sehen die Klägerinnen auch die Gefahr, dass andere Gemeinden mit möglicherweise höherer Radonbelastung nun unbehelligt geblieben sind, mit allen Folgen für die Einwohner, die sich in falscher Sicherheit wiegen.

Wie belastbar sind die Daten?

In ihrer Klage verweist die Stadt Ronneburg darauf, dass sie laut geologischen Karten gar nicht auf uranhaltigem Boden steht. Damit seien Auswirkungen durch den früheren Bergbau der Wismut nicht gegeben. Zudem seien die alten Abbauflächen längst saniert. Das habe aber für das Landesamt keine Rolle gespielt.

Das Landesamt für Umwelt besteht darauf, dass die Prognosen für die Radonbelastung aufgrund der vorhandenen Daten möglich sind. Außerdem seien Gesundheits- und Arbeitsschutz höhere Güter. Die Vorsorgegebiete seien anhand der Auswertung der Geologie ermittelt worden. "Wir folgen mit unserer Methode den Empfehlungen des Bundesamtes für Strahlenschutz", sagt Nils Fröhlich vom Thüringer Landesamt für Umwelt. "Das Radonpotenzial ist eine Prognose, die in den nächsten Jahren durch Messungen genauer werden wird."

Weitere Messungen sollen folgen

Zwar gibt es in den Strahlenschutzrichtlinien des Bundes keine Forderungen, Vorsorgegebiete nur auf Basis von Messdaten auszuweisen. Allerdings muss die angewendete Methode wissenschaftlichen Anforderungen genügen. In den nächsten Jahren sollen laut Landesamt umfangreiche Radon-Messungen stattfinden, um den Datenbestand zu verbessern. Wie hoch die Radonbelastung in einem Gebiet ist, hängt dabei von mehreren Faktoren ab. Wichtig ist zum Beispiel die Durchlässigkeit des Gesteins, aber auch die Temperaturen und die Bodenfeuchte üben einen Einfluss auf die Messwerte aus.

Für Irritationen bei den klagenden Gemeinden sorgte im Herbst der Vorschlag des Landesamtes, das Verfahren ruhend zu stellen. Rund um Ronneburg hatte die Landesbehörde Radon-Messungen in Auftrag gegeben. Nicht nur Ronneburg lehnte allerdings das Ansinnen des Landesamtes ab. "Man kann doch jetzt nicht eine fehlerhafte Verordnung nachträglich legitimieren", sagt Heiko Oertel, der sich wundert, dass die Ergebnisse dieser Messungen bis heute nicht vorliegen.

Werden die Genzwerte sogar verschärft?

Das Landesamt für Umwelt geht davon aus, dass der Wert des Radonpotenzials in den nächsten Jahren sogar noch abgesenkt werden dürfte. Ohne belastbare Messdaten dürften sich dann noch mehr Gemeinden in Thüringen gegen ihre Einstufung als Vorsorgegebiet wehren.

Schautafeln auf dem ehemaligen Uranabbaugebiet um Ronneburg
Im früheren Uranabbaugebiet um Ronneburg erinnern heute Schautafeln an die Bergbaugeschichte der Region. Bildrechte: MDR/Andreas Dreißel

Im Gerichtssaal ging es am Dienstag um geologische Details und ob die vier Gemeinden zu Recht als Radon-Vorsorgegebiet eingestuft wurden. Die Kläger versuchten, das Gericht davon zu überzeugen, dass die wenigen Messdaten nicht aussagekräftig genug sind und das Landesamt Fehler gemacht habe. Die Richter betonten allerdings, dass die Radon-Vorsorgegebiete nur auf einer Prognose beruhten. "Ich habe kein gutes Gefühl", sagt Heiko Örtel am Nachmittag. "Ich befürchte, dass sich die Richter eher auf die Seite der Beklagten schlagen werden."

Das Urteil wollen die Richter am 1. Juni sprechen. Möglicherweise wird die Thüringer Allgemeinverfügung in der nächsten Instanz erneut verhandelt.

MDR (adr/leo)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN Journal | 23. Mai 2023 | 19:00 Uhr

Mehr aus Thüringen

Drei Menschen rollen in der Innenstadt von Suhl einen großen grünen Teppich aus 1 min
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk
1 min 26.04.2024 | 20:37 Uhr

In der Fußgängerzone in Suhl wurde dazu ein grüner Teppich ausgerollt. Das Stadtmarketing will damit Einwohner und Gäste auffordern, häufiger in die Innenstadt zu kommen.

Fr 26.04.2024 19:21Uhr 00:26 min

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/sued-thueringen/suhl/video-teppich-innenstadt-gruen-aktion-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video