Tschechien Warum die Tschechen Karel Gott vergöttern

10. Oktober 2019, 05:00 Uhr

Die tschechische Öffentlichkeit kann sich am Freitag von Karel Gott im Prager Žofin-Palais verabschieden. Karel Gott gilt in seinem Heimatland Tschechien als "Jahrhundertkünstler" und ihm wird ein Begräbnis mit staatlichen Ehren zuteil - am Samstag im Veitsdom in Prag. Karel Gott war am 1. Oktober 2019 gestorben.

Die "Nad Bertramkou" in Prag-Smíchov ist eine kleine, unscheinbare Straße. Seit den 1980er-Jahren lebte in einer Villa in dieser Straße der tschechische Superstar Karel Gott. Der Platz vor seiner Villa ist jetzt zu einem Ort der Trauer geworden. Tausende Kerzen brennen, Menschen weinen, als wäre jemand aus ihrer eigenen Familie gestorben. So viele Kerzen wie vor Gotts Villa habe ich nur einmal gesehen - vor acht Jahren am Wenzelsplatz, als Präsident Václav Havel verstorben war. Auch das zeigt, welche Rolle Karel Gott in seiner Heimat gespielt hat. Er war "náš Kája", unser Karel. Seine Lieder begleiteten drei Generationen von Tschechen durchs Leben, durch gute, aber auch schlechte Zeiten.

Karel Gott war ein "unglaubliches Talent" 

Aber warum ist gerade Karel Gott so beliebt in Tschechien und gilt gar als "Jahrhundertkünstler"? Anfang der 1960er-Jahre, als er seine Karriere begonnen hatte, gab es in der Tschechoslowakei viele talentierte Künstler. Karel Gott aber war einzigartig: "Er war ein unglaubliches Talent. Dazu noch zielstrebig. Er wusste, was er wollte", erinnerte sich Jiří Suchý, der Karel Gott nach seinem Auftritt im "Café Vltava" in Prag endeckte und zum legendären "Semafor-Theater" holte. Gotts "goldene Stimme" und harte Arbeit waren die Voraussetzungen für den weltweiten Erfolg. Bei seinen Auftritten im Westen lernte Karel Gott überdies, wie man sich im Show-Geschäft verkauft.

Nahe bei seinen Fans

Alle, die den Sänger kennen, sind sich einig: Karel Gott liebte seine Fans und war sehr menschlich. Auf der Bühne hat er immer alles gegeben. Nach Konzerten in Tschechien blieb er noch stundenlang bei seinen Fans, gab Autogramme, ließ sich fotografieren und sprach höflich mit jeder "babička".

Und Karel Gott blieb den Tschechen treu. Trotz aller internationalen Erfolge und ausverkaufter Bühnen in aller Welt kehrte er immer wieder nach Hause, nach Prag-Smíchov, zurück. Sein Land zu verlassen, war ihm nie in den Sinn gekommen.

Liebling der Medien

Karel Gott hat nichts dem Zufall überlassen. Er kümmerte sich zum Beispiel sehr um sein mediales Bild und kooperierte stets mit Journalisten. Als ihm eine Journalistin der Boulevard-Zeitung "Blesk" vor Jahren einmal offenbarte, dass sie ein Buch über seine Liebhaberinnen schreiben wolle, hat er ihr nicht nur alle Kontakt-Daten gegeben, sondern auch allen seinen Ex-Freundinnen ausdrücklich gestattet, mit der Journalistin zu sprechen.

Karel Gott war kein Widerstandskämpfer

Der Liedtexter Michal Horáček schrieb dieser Tage im Nachrichtenportal "Seznam zprávy", dass Karel Gott eine Institution gewesen sei. Eine Institution der Sicherheit. Auch wenn alles im Land im steten Wandel begriffen war, Karel Gott sei stets ein Verkünder froher Botschaften gewesen.

Kritiker werfen Karel Gott indes vor, dass er in der Zeit des Kommunismus nicht mutiger gewesen sei. Ganz im Gegenteil: Karel Gott hat 1977 sogar die sogenannte "Anti-Charta" unterschrieben. Die "Anti-Charta" war die Gegenreaktion der Kommunistischen Partei auf die "Charta 77", dem Kommuniqué der Opposition in der ČSSR, das maßgeblich von Václav Havel verfasst worden war. Auch deswegen bezweifeln manche Tschechen, ob unter diesen Umständen ein Begräbnis mit staatlichen Ehren tatsächlich angemessen sei. Karel Gott freilich hat die Unterzeichnung der "Anti-Charta" oft bereut. Und es muss ihm auch angerechnet werden, dass er damals Dissidenten finanziell unterstützt und sich für verbotene Künstler bei den Genossen der Staatspartei eingesetzt hat.

Ein Phänomen

Karel Gott war ein Phänomen. Das müssen auch seine Kritiker zugeben. Zweiundvierzig Mal hat Karel Gott etwa den tschechischen Publikumspreis "Goldene Nachtigall" gewonnen. Seine Danksagung "Ich habe es wirklich nicht erwartet", die er Jahr für Jahr lächelnd wiederholte, ist in Tschechien längst Kult.

Oft kann man in diesen Tagen in Briefen, die seine trauernden Fans vor der Villa abgelegt haben, lesen: "Sie waren für uns ein Vorbild und eine Quelle der Inspiration." Und das war Karel Gott wohl tatsächlich. Ein Nachfolger jedenfalls, ein zweiter Karel Gott, ist weit und breit nicht in Sicht.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 11. Oktober 2019 | 17:45 Uhr

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