Kondolenzbuch vor einem Foto Karel Gotts im Rathaus von Pilsen
Insgesamt 50.000 Menschen nahmen im Oktober im Prager Sophien-Palais Abschied vom Schlagersänger Karel Gott. Laut einer Umfrage gehört er zu den wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Landes. Bildrechte: imago images/CTK Photo

Mein Ostblogger-Jahr Tschechien: "Mama, hast du schon gehört? Gott ist tot!"

20. Dezember 2019, 05:00 Uhr

Am 1. Oktober starb der Schlagersänger Karel Gott. Der beliebte Künstler war in Tschechien ein Megastar. Der Abschied von ihm war deshalb für das Land das Ereignis des Jahres, erinnert sich unsere Ostbloggerin aus Prag.

Am Vormittag des 2. Oktober war ich gerade auf dem Weg zu einem Termin. Ich gehöre schon zu der Generation, die das Handy ständig in der Hand hat und auf Twitter ist, um zu erfahren, was es Neues gibt. Kurz nach 10 Uhr las ich dort zum ersten Mal, dass Karel Gott gestorben ist.

Schnell hat sich die Nachricht auch außerhalb von Twitter in ganz Tschechien verbreitet. In der Straßenbahn habe ich telefonierende Menschen gesehen, die ihren Gesprächspartner fragten: "Hast du es schon gehört?" Auch ich habe meine Mama angerufen und gefragt, ob sie die Neuigkeit schon gehört hat. "Jetzt gerade im Radio", antwortete sie mir.

Sondersendungen für den "göttlichen Karel" 

Alle Medien haben auf die Nachricht prompt mit Sondersendungen reagiert und fast deckungsgleich berichtet: Es gab Gespräche mit Kollegen und Freunden von Karel Gott, Musik-Experten im Studio und Live-Schalten vor seiner Villa, sowie Dokumentationen über seine Karriere in Tschechien und im Ausland. Alle anderen Themen waren in diesen Stunden, aber auch in den folgenden Tagen in Tschechien zweitrangig.

Ich selbst schaue solche Sondersendungen eigentlich nur dann, wenn etwas wirklich Wichtiges passiert - zum Beispiel, wenn eine Regierung zurücktritt. Trotzdem verstehe ich vollkommen die Aufmerksamkeit, die die Medien dem Sänger gewidmet haben. Karel Gott - oder wie wir Tschechen sagen "božský Kája" (göttlicher Karel) - war ein Teil unserer Wohnzimmer, indem er über das Fernsehen drei Generationen unterhalten hat.

Staatstrauer und weinende Menschen

Karel Gott war eine Institution, mit der sich auch alle tschechischen Regierungen und Regime gerne schmückten: von den Kommunisten vor 1989 bis zu den heute regierenden Populisten. So berief der Regierungschef Andrej Babiš sogar eine Sondersitzung zum Tod des Sängers ein und schlug ein Staatsbegräbnis vor. Dessen Familie hat sich dann "nur" für ein "Begräbnis mit staatlichen Ehren" entschieden.

Natürlich war mir immer klar, dass Karel Gott ein großer Künstler war. Aber wie wichtig er für so viele Menschen war, habe ich erst verstanden, als ich von seiner Villa berichtete. Dort sah ich aufrichtig weinende Menschen, die mit zitternden Händen Kerzen angezündet, Nachrichten hinterlassen und selbstgemalte Biene-Maja-Zeichnungen an die Außenmauern geklebt haben. Ein unendlich wirkender Teppich von brennenden Kerzen bedeckte den Weg zu der Villa. Ich wage zu sagen, dass der Ort zu dieser Zeit zu den meist besuchten Plätzen in Prag gehörte und locker mit der Prager Burg konkurrieren konnte. Wahnsinn! 

Kaiser, Präsidenten, Karel Gott

Am Freitag, dem 11. Oktober, konnte die Öffentlichkeit dann im Sophien-Palais in Prag Abschied von Karel Gott nehmen. Ich wohne dort in der Nähe und als ich am Abend davor nach Hause gegangen bin, habe ich schon die ersten wartenden Menschen vor dem Palais getroffen. Karol, ein in Prag lebender Slowake, wartete seit 15 Uhr auf das Begräbnis am nächsten Tag. "Ich habe drei Liter Wasser, um die Nacht gut zu überstehen, und für Karel Gott habe ich eine Blume", sagte Karol mir. Insgesamt 50.000 Menschen kamen am folgenden Tag an den Sarg des Sängers. Das eigentliche Begräbnis war dann nur der Familie vorbehalten. 

Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CVVM betrachten die Tschechen den Schlagersänger Karel Gott als eine der größten Persönlichkeiten der Geschichte ihres Landes. Den ersten Platz belegt König Karl IV., gefolgt von den ehemaligen Präsidenten Tomáš G. Masaryk und Václav Havel. Der vierte Platz gehört dann schon Karel Gott. Nur vier Prozentpunkte trennen ihn von Karl IV., der im 14. Jahrhundert König von Böhmen und Italien, sowie römisch-deutscher Kaiser war und zu den bedeutendsten Kaisern des Spätmittelalters gehört. Bei aller Anerkennung für das Lebenswerk von Karel Gott: Das finde ich persönlich dann doch ein bisschen übertrieben.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Kultur kompakt | 02. Oktober 2019 | 11:30 Uhr

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