Illustration in bunten, gedeckten Farben: Schiff fährt auf Meer und ist von EU-Sternen auf Wasser umkreist, zieht sehr großes Fangnetz mit Fischen hinter sich her
Einige Supertrawler können an einem Tag mehrere hundert Tonnen Fisch fangen. Bildrechte: MDR/Sophie Mildner

Umweltschutz Fischerei-Konzern bringt neuen Supertrawler an den Start - Umweltschützer äußern Kritik

Gastbeitrag von Studierenden der Uni Leipzig

03. September 2023, 05:00 Uhr

Der niederländische Fischerei-Konzern Parlevliet & van der Plas (P&P) nimmt in diesem Jahr einen neuen Supertrawler in Deutschland in Betrieb. Umweltschützer kritisieren das angesichts schwindender Fischbestände.

Der neue Trawler "Jan Maria", der zur Tochtergesellschaft Nordbank Hochseefischerei des niederländischen Fischerei-Konzerns Parlevliet & van der Plas (P&P) gehören wird, ist ein riesiges Fangschiff. Es kann pro Tag bis zu 100 Tonnen Fisch fangen.

 Was ist ein (Super-)Trawler? Ein Trawler ist ein Schiff, das für den Fischfang auf hoher See mit einem Schleppnetz ausgestattet ist.
Supertrawler sind besonders große Schiffe dieser Art.

"Jan Maria" wird das alte Fangschiff "Gerda Maria" ersetzen und einer von insgesamt sieben deutschen Supertrawlern sein, von denen fünf zu P&P gehören. Technisch ist der neue Trawler besser ausgestattet. Integrierte Sortier-, Filetier- und Verarbeitungsanlagen sowie ein vollautomatisches Gefriersystem für Fischfilet und Garnelen sollen den Fischfang vereinfachen und längere Ausfahrten in den Nordatlantik ermöglichen. Dort wird die "Jan Maria" unter anderem Fang auf Garnelen und Kabeljau machen – eine der am stärksten überfischten und bedrohten Arten in Europa.  

P&P bezeichnet sich selbst als eines der größten fischverarbeitenden Unternehmen in Westeuropa und hat in den letzten Jahren große Teile des deutschen Marktes im Fischfang, der Verarbeitung und Vermarktung aufgekauft. Neben Fischereibetrieben in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich verfügt die Gruppe auch über Beteiligungen in Großbritannien, Spanien, Portugal und Polen. In Deutschland werden von der Tochtergesellschaft Deutsche See GmbH mehr als 35.000 Supermärkte, Restaurants und Kantinen beliefert. Darunter ist zum Beispiel die Mensa der Universität Leipzig.

Umweltschützer empört über neuen Supertrawler

Die Empörung von Umweltschützerinnen und Umweltschützern über den Bau des neuen Supertrawlers ist groß. Neben Kabeljau sind auch weitere Fischarten im Nordostatlantik durch die Fischerei bedroht. "Die Fischbestände in Europa schwinden stetig. So sind zum Beispiel Hering, Makrele und Blauer Wittling nach jahrzehntelangem Fischfang systematisch überfischt", erklärt Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.

Die Fischbestände in Europa schwinden stetig. So sind zum Beispiel Hering, Makrele und Blauer Wittling nach jahrzehntelangem Fischfang systematisch überfischt.

Ulrich Karlowski, Deutsche Stiftung Meeresschutz

Das widerrum möchte die EU mit ihrer "Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP)" in Zukunft eigentlich verhindern. "Ein neuer Supertrawler passt da nicht ins Bild", sagt Karlowski. Denn die großen Fangschiffe gelten als umweltschädlich und werden von Nichtregierungsorganisationen (sogenannten NGOs) für ihre Fangmethoden kritisiert.

Hohe Beifangrate bei "Fischereimonstern" 

Supertrawler fischen mit gigantischen Netzen, die bis zu 600 Meter breit und 200 Meter lang sind. Das entspricht etwa der Größe von 18 Fußballfeldern. In den Netzen verfangen sich neben den Zielfischarten – also den Arten, für die das Schiff seine Quote hat – auch Delphine, Kegelrobben und Seehunde. Von Nachhaltigkeit könne laut Karlowski dabei keine Rede sein. "Das ist die maximal rücksichtsloseste Ausbeutung, die man sich nach der Grundschleppnetzfischerei vorstellen kann", ergänzt er. Zudem würden die Trawler sich teilweise den Fischereikontrollen entziehen. Diese kontrollieren normalerweise den Beifang.

Was ist Beifang? Als Beifang wird alles bezeichnet, was außer den Zielfischarten noch mitgefangen wird und an Deck gelangt. 

Schärfere Kontrollen in der EU beschlossen

Schärfere Kontrollen innerhalb der Fischerei wurden in der Vergangenheit immer wieder kontrovers diskutiert. So sprach sich 2021 der FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker, der ebenfalls Präsident des Deutschen Fischereiverbandes ist, gegen stärkere Kontrollen und den Einsatz von Kameras auf Fischerbooten aus.

Auf EU-Ebene wurden intensivere Kontrollen inklusive Kameras für Schiffe mit einer Länge von 18 Metern 2021 dennoch beschlossen, um die Anlandepflicht von Beifang besser zu kontrollieren. Peter Breckling, Generalsekretär vom Deutschen Fischereiverband, sieht die Kontrollen kritisch: "Gegen den zusätzlichen Kontrollaufwand spricht das Verhältnis von Kosten beziehungsweise bürokratischem Aufwand und der erzielte Nutzen." Außerdem hätte sich die Situation für die meisten Fischbestände verbessert und die fischereiliche Sterblichkeit, sei in den letzten Jahren ebenfalls deutlich gesunken. Breckling sagt: "Es gibt also durchaus enorme Erfolge bei der Umsetzung der 'Gemeinsamen Fischereipolitik' der EU zu verzeichnen und das, ohne einen erhöhten Kontrollaufwand."

Was versteht man unter "fischereiliche Sterblichkeit"? Fischereiliche Sterblichkeit ist der Rückgang von Fischen in einem Fischbestand, der auf die Fischerei und nicht auf natürliche Einflüsse wie zum Beispiel Krankheit oder Verschmutzung zurückzuführen ist.

Die Meeresbiologin Katharina Brundiers vom Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) hält dem entgegen: "Es wundert mich nicht, dass aufgrund des Rückgangs der Bestandsgrößen auch die fischereiliche Sterblichkeit sinkt." So sei beispielsweise die Quote für die kommerzielle Fischerei von Hering und Dorsch in der Ostsee seit 2022 auf null gesetzt.

Dass der Einsatz von Kameras doch zumindest zur Aufklärung beitragen kann, zeigt ein Vorfall, der sich im Februar 2022 vor der französischen Küste ereignet hat. Über 100.000 tote Fische gingen von Bord des P&P-Supertrawlers "Margiris" und gelangten in den Atlantik. Die französische Meeresschutzorganisation Sea Shepherd France wirft P&P einen Verstoß gegen das Fischereigesetz der Europäischen Union vor. Bisher ist nicht geklärt, ob es sich um eine unrechtmäßige Entsorgung von Beifang handelte oder um einen Netzbruch, wie von P&P angegeben. 

"Es gibt Spielregeln, an die sich keiner hält" 

Die Verbesserung des Fischerei-Kontrollsystems ist eine langjährige Forderung von Umweltschützerinnen und Umweltschützern mit Blick auf die "Gemeinsame Fischereipolitik" der Europäischen Union. "Das Problem ist, dass jeder Mitgliedsstaat selbst für die Umsetzung der GFP verantwortlich ist", sagt Katharina Brundiers vom NABU. Denn der Kommission fehlt es an Sanktionsmöglichkeiten. Dies hat zur Folge, dass die Mitgliedsstaaten ihre kurzfristigen wirtschaftlichen Ziele zu Lasten einer nachhaltigen und ökologischen Fischereiwirtschaft in den Vordergrund stellen.

"Es gibt Spielregeln, an die sich keiner hält", erklärt Brundiers. Das zeigt sich auch bei der Vergabe der Fangquoten. Jährlich verhandeln die Mitgliedsstaaten im EU-Rat mit der Unterstützung von Wissenschaftlern darüber, wie viel Fisch gefangen werden darf, ohne dabei die Fischbestände zu gefährden. Doch in den letzten Jahren wurden die Fangquoten meist deutlich höher angesetzt als von den Wissenschaftlern des ICES empfohlen. Eine Mitschuld daran geben viele NGOs der Fischerei-Lobby.

Was ist der ICES? Die Abkürzung "ICES" steht für "International Council for the Exploration of the Sea" (deutsch: Internationaler Rat für Meeresforschung).

Laut der Webseite des ICES handelt es sich um "eine zwischenstaatliche Organisation für Meereswissenschaften, die dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach unparteiischen Erkenntnissen über den Zustand und die nachhaltige Nutzung unserer Meere und Ozeane gerecht wird"*.

*aus dem Englischen
Quelle: ices.dk

"Der Widerstand der Industrie gegen strengere Regeln ist groß, vor allem aus den Niederlanden und Spanien, aber auch aus Deutschland", erklärt Karlowski. Die Ressourcen seien begrenzt und das passe nicht mit der chronischen Überkapazität der europäischen Fangflotten zusammen. Sie können viel mehr Fisch fangen, als den Beständen in der Regel entnommen werden darf. Einschränkungen des Fischfangs bedeuten für die Supertrawler hohe Kosten. "Wenn ein Netz nur halb voll ist, fahren sie bereits im Defizit", sagt Karlowski. 

Indirekte Subventionen 

Die Hochseetrawler profitieren insbesondere durch indirekte EU-Subventionen – wie die Befreiung von der Dieselsteuer, die seit 2003 durch die Energiesteuerrichtlinie garantiert wird.

Im letzten Jahr legte die EU-Kommission im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie einen Vorschlag für einen Mindestverbrauchsteuersatz für Kraftstoffe vor, die für den Fischerei- und Frachtschiffverkehr innerhalb der EU verwendet werden. Dies wäre ein erster Schritt, den NGOs wie "Our Fish" schon längst fordern. Die EU-Steuerbefreiungen für Treibstoffe seien "schädliche Subventionen", welche die Kosten der Fischerei senken und zur Überfischung in der Europäischen Union beitragen würden (Bericht "Our Fish" 2021). Allerdings kam es noch zu keiner Einigung, da die Richtlinie noch immer durch die EU-Mitgliedstaaten im Rat erörtert wird. 

Till Seidensticker
"Ein Großteil der Fischerei ist ein Minusgeschäft, wenn nicht die staatlichen Subventionen dazukommen", erklärt Till Seidensticker von Greenpeace. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch im Emissionshandelssystem der EU (ETS) bleibt die Fischerei unberücksichtigt. Dabei gehen 7,3 Millionen Tonnen CO2, die die EU-Fischer jährlich durch den Einsatz von Schiffsdiesel erzeugen, auf die Kappe der Fischerei. Das ist mehr, als mit einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen eingespart werden könnte. Hinzu kommt die Zerstörung der Kohlendioxidspeicher am Meeresboden, welche zu einer vergleichbaren CO2-Freisetzung wie im weltweiten Luftfahrtsektor führen. Laut einer US-amerikanischen Studie, aus dem Fachmagazin “Nature” setzt das Aufwühlen des Meeresbodens etwa eine Gigatonne CO2 pro Jahr frei.

Der konservative Europaparlament-Abgeordnete Peter Liese (EVP) erklärte nach den Verhandlungen zur Überarbeitung des ETS im Dezember 2022 gegenüber dem Nachrichtenportal Euractiv, dass die Landwirtschaft und die Fischerei "sensible Punkte" seien, die vorerst nicht angetastet werden sollen. Auf Nachfrage erklärte er, dass es im Rahmen der Überarbeitung nicht zu Gesprächen über die Fischerei oder Landwirtschaft kam, da von Beginn an große Unstimmigkeit im Parlament über das Gesetz herrschte

"Fisch muss eine Delikatesse sein" 

Die stark strapazierten Bestände, die hohen Umweltkosten und die freigesetzten CO2-Emmissionen der Fischerei werfen Fragen an die Politik, Fischereiunternehmen, Verbraucherinnen und Verbraucher auf. Was den Verzehr von Fisch angeht, sind Till Seidensticker von Greenpeace und Katharina Brudiers vom NABU sich einig: Fisch kostet zu wenig. “Ganz wenige Fischarten kann man unbedenklich essen”, sagt Seidensticker. “Fisch muss wirklich eine Delikatesse sein, eine Ausnahme, weil es den meisten Beständen sehr schlecht geht”.

Ganz wenige Fischarten kann man unbedenklich essen.

Till Seidensticker, Greenpeace

Damit sich Bestände und Umwelt erholen können, müsse der Fischerei-Druck verringert werden. Der neue Hochseetrawler stehe dem entgegen. "Die schiere Größe dieser Schiffe hat mit nachhaltiger Fischerei einfach nichts zu tun. Wie viel Tonnen Fisch die an einem Tag aus Gebieten rausholen, ist einfach absurd und das ist eben unter der aktuellen europäischen Fischereipolitik erlaubt", so der Meeresexperte. Die EU-Kommission und P&P haben sich zu diesen Vorwürfen bislang nicht positioniert. Auch die Nordbank Hochseefischerei GmbH informierte den MDR darüber, dass bis zur Fertigstellung der "Jan Maria" keine weiteren Presseinformationen erfolgen.

Seidensticker gibt zum Abschluss zu bedenken, dass neben dem Fischfang auch der Klimawandel und Verschmutzungen Stressfaktoren für die Meere seien: "Es gibt schon Langzeitfolgen. Die Fische werden kleiner, die Schwärme werden kleiner. Wenn es so weitergeht, dann sieht es nicht gut aus in unseren Meeren." 

Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von "Crossborder Journalism Campus", einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Valentine Daléas, Camille Gaborieau, Suzanna de Vries & Amanda Xiang.

MDR (jvo)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Plusminus | 12. Juli 2023 | 21:45 Uhr

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