Beschädigte Pkws und Haustrümmer in einem Hinterhof
Nach armenischen Angaben starben bis zum Dienstagabend mehr als 30 Menschen bei den Kämpfen um Bergkarabach. Bildrechte: picture alliance/dpa/TASS

Konflikt Aserbaidschan und Armenien Aserbaidschan erklärt Militäreinsatz in Bergkarabach für beendet

20. September 2023, 22:06 Uhr

Einen Tag nach Beginn des Militäreinsatzes gegen Bergkarabach hat Aserbaidschan erklärt, die Souveränität über das Gebiet sei wiederhergestellt. Nun will Baku die Region eingliedern. In Armenien regen sich Proteste gegen Regierungschef Nikol Paschinjan.

Einen Tag nach dem Beginn eines aserbaidschanischen Militäreinsatzes gegen die von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach hat der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev den Einsatz seiner Truppen für beendet erklärt. Aserbaidschan habe seine Souveränität über das Gebiet wiederhergestellt, sagte er am Mittwoch in einer Fernsehansprache in Baku. Von armenischer Seite gab es zunächst keine Stellungnahme.

Karte Bergkarabach
Landkarte: Die Unruheregion Bergkarabach liegt zwischen Armenien und Aserbaidschan – beide Länder sind miteinander verfeindet. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wenige Stunden zuvor hatten Baku und pro-armenische Kämpfer sich auf eine Waffenruhe geeinigt, woraufhin sich die Kämpfe nach armenischen Angaben abschwächten. Die De-facto-Behörden von Bergkarabach erklärten, Verhandlungen mit Baku über die Integration der Region in das Nachbarland Aserbaidschan akzeptiert zu haben.

Gespräche über Eingliederung Bergkarabachs ab Donnerstag

Aserbaidschan strebt nun nach eigenen Angaben eine "friedliche Wiedereingliederung" des Gebiets in sein Territorium an. Aliyev erklärte, die "illegalen armenischen Einheiten" hätten bereits mit dem "Rückzug von ihren Stellungen" begonnen. Die Gespräche über die Integration Bergkarabachs in den Rest Aserbaidschans sollen den beiden Parteien zufolge am Donnerstag in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach beginnen.

Protest in Armenien gegen Regierungschef Paschinjan

In Armenien regte sich unterdessen lautstarker Protest gegen den Umgang der Regierung mit der Krise. Vor dem Büro von Regierungschef Nikol Paschinjan in der Hauptstadt Eriwan versammelten sich nach Beobachtung eines Reporters der Nachrichtenagentur AFP Tausende Demonstranten, die auch die umliegenden Straßen blockierten. Sie warfen der Regierung vor, die Bevölkerung in Bergkarabach im Stich gelassen zu haben. Paschinjan hatte zuvor in einer Fernsehansprache erklärt, dass Eriwan "an der Ausarbeitung des Textes der Waffenstillstandserklärung in Bergkarabach" nicht beteiligt gewesen sei.

Bei den Protesten kam es teils zu Gewalt. Demonstranten bewarfen die Polizisten mit Steinen und Flaschen, berichtete ein AFP-Journalist. Die Sicherheitskräfte setzten Blendgranaten ein und nahmen mehrere Menschen fest. Gleichzeitig drohten sie mit "Sondermaßnahmen", sollten die Zusammenstöße andauern.

Beobachter befürchten indes, dass ein erheblicher Teil der 120.000 armenischen Bewohner das Gebiet nun verlassen könnten. Auf in lokalen Medien verbreiteten Bildern war eine Menschenmenge vor dem Flughafen der von pro-armenischen Kräften kontrollierten Hauptstadt Stepanakert zu sehen.

Aserbaidschans Militäreinsatz gegen Bergkarabach

Am Dienstag hatte Aserbaidschan nach Wochen eskalierender Spannungen einen groß angelegten Militäreinsatz in der Kaukasusregion gestartet. Stepanakert sowie weitere Städte standen nach Angaben der Behörden von Bergkarabach unter "intensivem Beschuss". Nach armenischen Angaben starben dabei mehr als 30 Menschen, 200 weitere wurden demnach verletzt. Ein Menschenrechtler aus dem Lager der Separatisten sprach von mindestens 200 Toten, die Angabe konnten unabhängig zunächst nicht bestätigt werden.

Die EU und die Bundesregierung forderten Aserbaidschan nach dem Ende der Kämpfe auf, die Sicherheit in Bergkarabach zu gewährleisten. Gerade Aserbaidschan und Russland müssten "dafür sorgen, dass Menschen in ihrem eigenen Zuhause sicher sind", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Rande einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York. EU-Ratspräsident Charles Michel pochte insbesondere auf eine "sichere und würdige Behandlung der Armenier in Karabach" durch Aserbaidschan.

Russland traditionell Schutzmacht in der Region

Die beiden früheren Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der UdSSR um Bergkarabach und lieferten sich bereits zwei Kriege um das Gebiet. Nach sechswöchigen Kämpfen im Jahr 2020 mit mehr als 6.500 Toten hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt. In den vergangenen Monaten hatte sich die Lage wieder zugespitzt.

Russland gilt traditionell als Schutzmacht Armeniens und hat in der Konfliktregion eigene Soldaten stationiert. Mittlerweile aber braucht Moskau seine Kämpfer in erster Linie für den eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Beobachter hatten deshalb bereits befürchtet, dass Aserbaidschan diese instabile Lage für ein militärisches Vorgehen nutzen könnte. Schon vor Beginn des jüngsten Beschusses war die humanitäre Lage in Bergkarabach katastrophal gewesen, weil Aserbaidschan den einzigen Zugang Armeniens in die Exklave – den sogenannten Latschin-Korridor – blockierte.

dpa, afp (mze)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 20. September 2023 | 20:00 Uhr

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