Peter Magyar, früherer Ehemann von Orbans ehemaliger Justizministerin Varga, hält eine Rede am Kossut-Lajos-Platz. 5 min
Péter Magyar macht sowohl der ungarischen Regierung als auch der Opposition Konkurrenz Bildrechte: picture alliance/dpa/AP | Denes Erdos

Opposition Ungarn: Muss Ministerpräsident Orbán um seine Macht fürchten?

16. Mai 2024, 17:52 Uhr

Péter Magyar hat in kürzester Zeit den politischen Status Quo in Ungarn auf den Kopf gestellt. Anfang April versammelten sich auf einer seiner Kundgebungen in Budapest etwa 100.000 Menschen. Dabei stammt Péter Magyar eigentlich aus dem Umfeld von Viktor Orbáns regierender Fidesz-Partei. Sein erklärtes Ziel: Orbán und die Fidesz-Partei entmachten.

Porträt Kornelia Kiss
Bildrechte: Kornelia Kiss/MDR

In Ungarn finden große politische Kundgebungen eigentlich meist in der Hauptstadt Budapest statt. Wenn aber Péter Magyar auf Wahltournee unterwegs ist, versammeln sich auch in Städten wie Debrecen, Miskolc oder Pécs Tausende von Menschen. Oft kann sich Magyar kaum den Weg durch die Menschenmenge bahnen, weil so viele im Publikum Selfies mit dem politischen Newcomer machen wollen. Sowohl die, die ihm zujubeln, als auch der politische Neuling selbst wirken enthusiastisch.

In nur wenigen Monaten hat sich der 43-jährige Anwalt Péter Magyar zu einer markanten Figur im öffentlichen Leben Ungarns entwickelt. Meist spricht er von der Ladefläche eines Lastwagens zu seinen Zuhörern. Einmal bemalte er eine Seite des LKW sogar eigenhändig mit den ungarischen Nationalfarben. Solche lockeren Gesten sind zu seinem Markenzeichen geworden. Ebenso sein Outfit: Meist trägt er ein weißes Hemd, Jeans und Sonnenbrille. Als er von den regierungsnahen Medien verspottet wurde, er würde eine Frauensonnenbrille tragen, machte er sofort eine Spendenaktion daraus. Er versteigerte die Sonnenbrille und nahm damit in kurzer Zeit drei Millionen Forint, etwa 7.700 Euro, ein, die an arme Familien gegangen sind.

Oppositionspolitik nicht nur für Budapest

Schon im April kündigte Péter Magyar an, dass er durch das ganze Land reisen würde. Seitdem meldet er sich per Social Media täglich aus mehreren Städten und demonstriert damit, dass er auch Politik für die Städte und Regionen abseits der Hauptstadt machen will. Péter Magyar spricht vor allem darüber, dass Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei sich nicht gut um die Entwicklung Ungarns gekümmert hätten, etwa das Bildungs- und Gesundheitswesen vernachlässigt hätten.

Die seit vier Wahlperioden mit einer Zweidrittelmehrheit regierende Fidesz-Partei konzentriere sich auf die Bereicherung ihrer eigenen Kreise und nutze die EU-Gelder nicht effektiv genug: Ungarn sei derzeit "das zweitärmste und korrupteste Land in der Europäischen Union", wiederholt Magyar derzeit bei fast jeder Kundgebung und Demonstration. Er verweist auf die EU-Statistiken zum Pro-Kopf-Konsum. Die besagen, dass EU-weit nur Privathaushalte in Bulgarien noch weniger Kaufkraft haben als in Ungarn. Zugleich hat der Korruptionswahrnehmungsindex der Organisation Transparency International Ungarn schon das zweite Mal hintereinander als das korrupteste Land in der EU eingestuft.

Magyar nutzt Schwäche der traditionellen Opposition

Die ungarischen Oppositionsparteien bringen seit Jahren ähnliche Argumente gegen die Regierung vor, doch bisher mit wenig Erfolg. Péter Magyar dagegen kritisiert nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition. Insbesondere wirft er der größten linken Oppositionspartei, der Demokratischen Koalition, vor, Teil des Problems zu sein und den bisherigen politischen Status quo mit aufrechtzuerhalten. Ihr Vorsitzender, der ehemalige Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, habe an Glaubwürdigkeit verloren. Seine Präsenz sei deswegen ein Hindernis für die Demontage des Systems Orbán.

Die meisten politischen Analysten sind sich einig, dass die bisherigen Oppositionsparteien nicht in der Lage waren, den Wählern eine attraktive Alternative zu bieten. Und das, obwohl die aktuelle Wirtschaftskrise und der sogenannte Begnadigungsskandal Anfang des Jahres die regierende Fidesz in eine schwierige Lage gebracht haben. Im Februar 2024 protestierten zwar mehr als 100.000 Menschen auf dem Budapester Heldenplatz, organisiert von zivilgesellschaftlichen Akteuren, doch das hat die Regierung Orbán bisher nicht ernsthaft ins Wanken gebracht.

Woher kommt der Polit-Newcomer Péter Magyar?

In dieser angespannten Atmosphäre tauchte Péter Magyar auf – und war sofort erfolgreich, obwohl auch er selbst viele Jahre lang Teil des von Viktor Orbán dominierten Systems war. Magyar ist der Ex-Ehemann der ehemaligen Fidesz-Justizministerin Judit Varga, hat als Manager und Aufsichtsratsmitglied bei mehreren staatlichen Unternehmen gearbeitet und war zuvor als Diplomat in Brüssel tätig.

Nach dem Skandal Anfang 2024, für den seine Ex-Frau mit ihrer Karriere bezahlen musste, kündigte Magyar an, dass er von seinen Positionen in den staatlichen Unternehmen zurücktreten werde. Er gab dem Online-Medium Partizán ein Interview, in dem er scharfe Kritik am System des Ministerpräsident Viktor Orbán übte.

Insbesondere warf er regierungsnahen Geschäftsleuten vor, sich auf Kosten der Bürger zu bereichern. Es sei nicht normal, dass "die Hälfte des Landes im Besitz von wenigen Familien ist", sagte er damals. Er habe seine Kritik schon oft intern geäußert, so Magyar, sei aber in den von der Regierungspartei Fidesz dominierten Kreisen nicht gehört worden. Das Interview wurde online mehr als 2,5 Millionen Mal geklickt und vor einigen Wochen kündigte Péter Magyar bereits vor Zehntausenden Menschen in Budapest an, dass er eine Partei gründen und für das Europäische Parlament kandidieren werde.

Chance auf Einzug ins EU-Parlament

Die Partei, mit der Magyar für die Wahl zum EU-Parlament ins Rennen geht, heißt Respekt und Freiheit (Tisztelet és Szabadság, kurz: Tisza). Zwar ist Magyar Spitzenkandidat seiner Partei, aber er hat bereits angedeutet, dass er beim Einzug seiner Partei ins EU-Parlament auf das Mandat verzichten und weiterhin in Ungarn Politik machen würde. Die weiteren Kandidaten für das EU-Parlament wurden durch einen offenen Aufruf gewonnen, erst dann wurde parteiintern über die Liste abgestimmt. Diese ungewöhnliche politische Geste führte zu einer Liste, die mit Experten aus Wirtschaft, europäischen Institutionen und sogar dem Gesundheitswesen besetzt ist.

Anti EU-Propaganda Plakat
Zu "Brüssels untertänigen Dienern" zählt auch Péter Magyar (re.). Zumindest in der anonymen Propaganda in Budapest vor den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni, die Beobachter der Fidesz-Regierung zuschreiben. Bildrechte: IMAGO / EST&OST

Laut der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Medián würden immerhin 25 Prozent der Befragten bei der EU-Wahl für Péter Magyars Partei stimmen, der Einzug ins EU-Parlament wäre damit gesichert. Dennoch – eine Mehrheit von 45 Prozent würde für die Regierungspartei Fidesz stimmen. 

Péter Magyars Partei als Gefahr für Regierung und Opposition

Daher glauben viele in Ungarn, dass Péter Magyars Partei im Moment vor allem eine Herausforderung für die Oppositionsparteien darstellt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sie auch Wähler gewinnen könnte, die bisher der Regierungspartei Fidesz die Treue halten, da sich Magyar von Anfang an als rechtskonservativ bezeichnet hat. Allerdings suggeriert er mittlerweile, er stünde außerhalb des etablierten Parteienspektrums, distanziert sich von den etablierten Eliten: "Es gibt kein rechts, kein links, nur ungarisch" lautet einer seiner Slogans. So betont der Polit-Aufsteiger immer wieder, dass der politische Konflikt zwischen Ungarn und anderen Ungarn von der Fidesz-Regierung künstlich angeheizt würde.

Politiker Peter Magyar bei einer Kundgebung
Die ungarischen Nationalfarben spielten schon auf einer der ersten Kundgebungen Péter Magyars im März eine große Rolle. Bildrechte: IMAGO / EST&OST

Konkretestes Wahlversprechen: Kampf gegen Korruption

Wie das Programm der Tisza-Partei für die Europawahl genau aussieht, ist bisher noch nicht bekannt. Dennoch hat Péter Magyar bereits angedeutet, dass sich seine Tisza-Partei gerne der Fraktion der Europäischen Volkspartei anschließen würde, aus der Viktor Orbáns Fidesz 2021 ausgetreten war. Eines von Magyars Versprechen ist, dass Ungarn, wenn er an die Macht käme, sofort der Europäischen Staatsanwaltschaft beitreten würde. Sie ist EU-weit befugt, Straftaten wie Betrug und Korruption zulasten des EU-Haushalts zu verfolgen. Bisher ist Ungarn eines von drei EU-Ländern, das der Einrichtung nicht beigetreten ist.

Auch wenn die Tisza-Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament unerwartete Erfolge erzielen würde, hätte Péter Magyar nach der Abstimmung einen langen Weg vor sich. Seine Partei befindet sich gerade erst im Aufbau und bisher hat er kategorisch ausgeschlossen, etablierten Akteuren der bisherigen politischen Landschaft einen Platz in der Partei zu geben. Wer seine Partner in der Parteiführung sein werden, ist daher noch unklar. Und auch, ob die Euphorie der derzeitigen Massenkundgebungen Péter Magyar und seine Partei längerfristig tragen wird.

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