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Washington Recherchereise 5 min
Im Audio: Til Schäbitz schildert die Eindrücke seiner Recherchereise in den USA im Nachrichtenradio von MDR AKTUELL. Bildrechte: Abel Fekade

Reportage Jugend "im Auge des Orkans": Welchen Einfluss hat sie auf den US-Wahlausgang?

03. November 2024, 05:00 Uhr

Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben junge Leute verstärkt rechts gewählt. Ist das in den USA auch zu erwarten? Und wie entscheidend sind diese Stimmen für den Ausgang der Wahl? MDR-Reporter Til Schäbitz war auf Recherchereise und berichtet von den Eigenheiten des Wahlsystems, einer wichtigen aber unentschlossenen Gen Z und dem Einfluss von Taylor Swift.

Volontär Til Schäbitz sitzt lächelnd auf dem Boden vor einem schwarzen Lederstuhl
Bildrechte: MDR/Til Schäbitz

In den Straßen um die George Washington University werden T-Shirts verkauft. Das Ganze wirkt so, wie man es sonst von Strandpromenaden oder anderen Touri-Orten kennt. Einfache Klapptische, Souvenir-Charakter. Sehr präsent ist dabei das Gesicht von US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris. Doch wo ist der andere?

Auf einem Klapptisch am Rand des Gehwegs stapeln sich verschiedene T-Shirts, auf der Hälfte davon ist die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris zu sehen.
Ein Verkaufsstand nahe der George Washington University, hier dominiert Kamala Harris. Bildrechte: Abel Fekade

Der District of Columbia ist beispiellos demokratisch. Bei der letzten Präsidentschaftswahl gingen hier über 92 Prozent der Stimmen an Joe Biden – mit großem Abstand der Spitzenwert im ganzen Land. Und so ist Donald Trump in Washington D.C. nur sporadisch da zu finden, wo allerhand Touris auf andere Menschen mit einem Herz für Kuriositäten treffen. Rund um die National Mall, den prachtvollen Boulevard zwischen Capitol und Lincoln Memorial, gibt es ihn: Den Ex-Präsidenten, wahlweise als Wackelfigur, als Lebkuchenmann oder als Flaschenöffner. Im Rest der Stadt, vor allem bei den gebildeten jungen Leuten, ist für ihn schlicht nichts zu holen. In welcher Merchandise-Form auch immer.

An der Radioantenne eines weißen Trucks hängt ein schwarzes T-Shirt, auf dem Donald Trump seine Faust in die Höhe reckt, während ihn drei Männer mit Sonnenbrille abschirmen.
Einer der wenigen Trucks in Washington D.C., der Merchandise von Donald Trump verkauft. Bildrechte: Abel Fekade

US-Wahlsystem: Alle Stimmen gleich wertvoll?

Wer zukünftig Präsident oder Präsidentin der USA sein wird, das versuchen zahlreiche Studien und Umfragen schon vorab herauszufinden. Es fliegen Zahlen über Zahlen durch die Staaten, die im Kern alle zu einem Schluss kommen: Es wird knapp. Sehr knapp. Sogar unvorhersehbar knapp. Dass das so ist, hängt zumindest in Teilen mit den Eigenheiten des amerikanischen Wahlsystems zusammen.

Wie funktioniert das Wahlsystem in den USA? * Der US-Präsident oder die US-Präsidentin wird nicht direkt gewählt, sondern über die Entsendung von Wahlleuten in das Electoral College.
* Jeder Bundesstaat stellt diese proportional zur Bevölkerungsgröße.
* Die Wahlleute werden von den Wählenden in fast allen Bundesstaaten nach dem System "The winner takes it all" gewählt.
* Wer die meisten Stimmen in einem Bundesstaat bekommen hat, erhält alle Stimmen des jeweiligen Staates im Electoral College.
* Es ist möglich, dass eine Person die Wahl verliert, obwohl sie landesweit die meisten Stimmen bekommen hat.

Matthew Klein, Analytiker des Cook Political Report für Wahlforschung, geht davon aus, dass Harris landesweit mehr Stimmen holen wird als Trump. Er geht auch davon aus, dass sich Trump am Wahlabend trotzdem zum Sieger erklären wird. Doch so einfach ist es nicht. Zwar gilt generell ein Großteil der Bundesstaaten bereits jetzt als sicher blau (demokratisch) oder sicher rot (republikanisch), entschieden wird die Wahl aber genau da, wo es knapp ist. In den sogenannten Swing States, in denen traditionell schwer bis überhaupt nicht vorherzusagen ist, wer die Wahl gewinnt.

Der junge Analyst Matthew Klein sitzt im Anzug auf einem orangenen Stuhl und beantwortet eine Frage des MDR-Reporters Til Schäbitz, der eine gelbe Cap trägt und von hinten zu sehen ist.
Matthew Klein, Analytiker des "Cook Political Report", im National Press Building. Bildrechte: Abel Fekade

Bei der Präsidentschaftswahl 2024 werden Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin als Swing States angesehen. All diese Staaten haben ihre ganz eigene Charakteristik. All diese Staaten eint, dass es um jede Stimme geht. Auch und teilweise ganz besonders um die der jungen Leute.

Amerikanische Flaggen 30 min
Bildrechte: picture alliance / ImageSPACE /MediaPunch | ImageSPACE /MediaPunch

Gen Z in Swing States: "Im Auge des Orkans"

"Die Gen Z ist eine der engagiertesten and aktivsten Generationen in der Geschichte der USA", sagt Danny Fersh, Kommunikationsmanager von Students Learn Students Vote. Seine Organisation besucht Universitäten und Colleges im ganzen Land. Überparteilich. Sie wollen Studierende zur Teilnahme an der Wahl anregen.

Ein junger Mann steht in einem Konferenzraum neben einem Fernseher und lächelt in die Kamera.
Danny Fersh, Kommunikationsmanager der Wahl-Initiative "Students Learn Students Vote" Bildrechte: Abel Fekade

Im Gegensatz zu Deutschland ist dafür in den USA nämlich eine Registrierung nötig. Ein Extra-Aufwand, der in der Vergangenheit noch einige junge Leute von der Wahl abgehalten hat. Doch gerade in den Swing States seien sie nun "im Auge des Orkans", sagt Fersh. Da viele von ihnen zum ersten Mal wählen, seien sie potenziell noch weniger festgelegt als die meisten anderen Gruppen. Das mache sie für alle Seiten interessant.

Das Recht auf Abtreibung als dominantes Thema

Carlee Sue Pascual Riles studiert Jura in San Antonia, Texas. Eine bunte Stadt in einem Staat, politisch so rot wie die Sonnenuntergänge in seinen Wüsten. "Die wichtigsten Themen für mich sind Abtreibungsrechte, eine Trennung von Religion und Politik und der Glaube an die Gleichheit aller Menschen", erzählt sie am Telefon. Sie identifiziere sich mehr mit den Demokraten, habe auf kleinerer Ebene aber auch schon republikanisch gewählt.

Ich mag unser Parteiensystem nicht wirklich. Um ehrlich zu sein: Ich hasse es!

Carlee Sue Pascual Riles Jura-Studentin

Doch ihr Problem sei grundlegender: "Ich mag unser Parteiensystem nicht wirklich. Um ehrlich zu sein: Ich hasse es! In anderen Ländern mit mehr Parteien gibt es ein größeres Spektrum für Menschen mit eher moderaten Ansichten, die meiner Meinung nach den größten Anteil ausmachen".

Vor dem tiefblauen Mittagshimmel hängen zwei amerikanische Flaggen.
Vor dem tiefblauen Mittagshimmel hängen zwei amerikanische Flaggen. Bildrechte: Abel Fekade

Eine junge Frau, der das Recht auf Abtreibung wichtig ist. Eine junge Frau, die sich Veränderungen am Wahlsystem wünscht und mit keiner der großen Parteien vollständig übereinstimmt. Eine junge Frau, die zwar nicht in einem Swing State lebt, doch deren Aussagen den nationalen Trend nahezu idealtypisch widerspiegeln. Sie steht stellvertretend für die schlaflosen Nächte, die ihre Generation den Instituten für Wahlforschung und ganz besonders einer Partei bereitet.

Demokraten brauchen die jungen Wählenden

"Vor allem die Demokraten sind von den Stimmen der jungen Wählenden abhängig", sagt Matthew Klein vom Cook Political Report. Verschiedene Umfragen zeigen nämlich, dass Harris bei anderen Teilen der demokratischen Stamm-Klientel einbüßt – immer mehr Latinos und vor allem afroamerikanische Männer werden zu Fans von Trump. Weitere Verluste dürfe sich Harris nicht leisten. Doch auch auf die jungen Wählenden könne sie nur teilweise setzen.

Laut Klein sind neben dem Recht auf Abtreibung vor allem die gestiegenen Lebenshaltungskosten das prägende Thema der Gen Z bei dieser Wahl. Logisch, seien sie davon doch am unmittelbarsten betroffen. Junge Menschen wollen selbst darüber entscheiden, ob sie Kinder kriegen oder nicht. Sie verdienen weniger und müssen mit ihrem Geld haushalten, das ist in den USA nicht anders als in Deutschland.

Gender-Gap wird immer größer

Aber jetzt wird es kompliziert: Denn eine repräsentative Umfrage der Harvard University findet bei jungen Erwachsenen unter 30 einen auffallend großen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Die Altersgruppe würde zwar insgesamt deutlich zu Harris tendieren, junge Frauen jedoch noch wesentlich stärker als junge Männer.

Auf einem Gehweg des Stadtteils Chinatown ist eine Gruppe junger Menschen zu erkennen, die von der Kamera weglaufen und teilweise ein modernes Restaurant mit Glasfassade betreten.
Eine Gruppe junger Leute spaziert in Washington D.C. durch den Stadtteil Chinatown. Bildrechte: Abel Fekade

Ein gängiger Erklärungsansatz, der nicht gerade von Moderne zeugt: Für Personen, die selbst schwanger werden können, spielt das Recht auf Abtreibung noch immer eine wesentlich größere Rolle als für Personen, die das nicht können. Dass Harris bei dieser Thematik als kompetenter eingestuft wird, steht gänzlich außer Frage. Bei der wahrgenommenen Kompetenz in wirtschaftlichen Fragen sieht das schon anders aus: Dort holt Trump auf. Vielleicht überholt er sogar.

Die Macht der Sozialen Medien

"Gerade bei den jungen Männern ist aktuell ein Switch in Richtung Trump zu beobachten. Ihnen werden auf TikTok mehr und mehr Inhalte ausgespielt, die zu konservativeren Denkmustern führen", sagt Analyst Matthew Klein vom Cook Political Report. Und da ist sie: Die Parallele zu den Wahlen in Mitteldeutschland. Junge Leute und ihre Sozialen Medien. Trump ist in vielen Podcasts zu Gast – auch im wohl weltweit erfolgreichsten von Joe Rogan – und erreicht so ein junges Publikum. Trump wird mit teilweise fragwürdigen Methoden von Elon Musk unterstützt, dem Eigentümer der Kommunikationsplattform X.

Auch Harris hat prominente Unterstützung – allen voran Taylor Swift. Eminem wirbt in Detroit. Beim großen demokratischen Parteitag, der nur in den Jahren der Präsidentschaftswahl stattfindet, waren zudem hunderte Influencer eingeladen, um für Präsenz in den Sozialen Medien zu sorgen. Doch auch diese Parallele gibt es zu den Wahlen in Mitteldeutschland: Konservative und bisweilen rechtsextreme Inhalte scheinen in den Algorithmen besser zu funktionieren. Belastbare Zahlen gibt es dazu nicht.

Laut Analyst Klein gehört der Einfluss Sozialer Medien zu den am wenigsten diskutierten Aspekten der amerikanischen Wahlforschung. Zu einer persönlichen Einschätzung lässt er sich dennoch hinreißen: "Diesmal hat Trump das Social-Media-Game gewonnen".

Fazit: Viele Faktoren, die sich unterschiedlich auswirken

Dennoch gilt: Junge Menschen wählen in den USA traditionell eher demokratisch. Das sorgt dafür, dass demographische Veränderungen nicht selten auch eine Veränderung des Wahlergebnisses bewirken. Ein Beispiel dafür ist Florida, das die drittmeisten Wahlleute entsendet: Der Staat wurde lange als Swing State angesehen, als unentschieden. Doch die Bevölkerung altert stark – inzwischen ist Florida fest republikanisch. Texas hingegen wird jünger und demokratischer und könnte in Zukunft zum Swing State werden.

Ein Mann lehnt an einer Hausfassade und schaut auf sein Telefon.
MDR-Reporter Til Schäbitz auf seiner Recherchereise in den USA. Bildrechte: Abel Fekade

Auch nach Arizona oder Georgia ziehen vermehrt junge Menschen. Sie sorgen dafür, dass diese Staaten im Jahr 2024 überhaupt zu den Swing States zählen – zumindest so lange sie demokratisch wählen. Denn laut Umfragen werden die Demokraten besonders in diesen beiden Staaten Stimmen bei der hispanischen und afroamerikanischen Bevölkerung verlieren. Die jungen Wählenden als Gegengewicht zum Trend. So einfach könnte es sein – gebe es nicht so viele weitere Faktoren, die sich mal verstärken und mal gegeneinander ausspielen.

Am Ende steht die Erkenntnis vom Anfang: Diese Wahl ist knapp. Sehr knapp. Sogar unvorhersehbar knapp. Ganz egal, von wem in diesem November mehr T-Shirts oder Lebkuchenfiguren verkauft werden.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 31. Oktober 2024 | 10:17 Uhr

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