Theater als Utopie

Ich glaube krampfhaft an Utopien. Daran, dass ein Leben lebenswert ist. Wo etwas mit Musik zu tun hat, hat es immer mit einer Utopie zu tun. Reine Schauspielabende, wo mir vor Augen geführt wird, wie furchtbar alles ist, und ich mich danach am liebsten aufhängen möchte, schätze ich nicht so sehr. Ich habe immer gern ein kleines Fünkchen Utopie dabei.

Katharina Thalbach über Utopien

Katharina Thalbach will fortwährend Neuland betreten. Als Regisseurin erlaubt sie sich einen noch frecheren Blick auf große Geschichten und ihre Figuren. Ende der Achtziger Jahre beginnt sie am Berliner Schillertheater Regie zu führen und knöpft sich vor allem  Shakespeare und Brecht vor. "Macbeth" inszeniert sie 1987 als schauriges Kammerspiel um Gier, Lust und Misstrauen und rückt radikal das patriarchalische Machtgebaren in den Mittelpunkt, wofür sie den spanischen Kritikerpreis für die beste ausländische Inszenierung erhält. Als Gastspiel am Hamburger Thalia-Theater kehrt sie 1994 als Regisseurin zur "Dreigroschenoper" zurück, dem Stück ihres einstigen Durchbruchs.

weißgeschminktes Gesicht 3 min
Bildrechte: Deutsches Rundfunkarchiv

Kult: Thalbach als Hauptmann von Köpenick

Legendär ist ihre Inszenierung von Carl Zuckmayers Tragikomödie "Der Hauptmann von Köpenick" am Berliner Maxim-Gorki-Theater von 1996. Für die Titelrolle besetzt sie niemand geringeres als Harald Juhnke. Deutschlands letzter großer Entertainer ist zu dieser Zeit jedoch häufig indisponiert und kann nicht spielen, sodass Thalbach kurzerhand selbst spielt.

Ein Jahr später debütiert sie als Opernregisseurin mit einer Inszenierung von Mozarts "Don Giovanni" und schockiert ihr Publikum mit Techno-Einlagen. Die Bühne ist für sie die Möglichkeit der Utopie und Entgrenzung.

Angesichts ihrer Biografie wirkt das nur folgerichtig: Bertolt Brecht hat einst die vierte Wand eingerissen und Katharina Thalbach sagt selbst von sich, dass sie ohne Brecht "künstlerisch nicht denkbar" wäre.

Der "tageszeitung" verriet sie, was sie motiviert: "Ich versuche - als Regisseurin und Schauspielerin - immer irgendwie, und sei es auf die abwegigste Art und Weise, Punkte von Utopie herauszukriegen, deshalb auch das Theater als vergnügliche Anstalt zu sehen und nicht nur als Abbild der Welt und der Realität. Ich will zeigen, daß es andere Möglichkeiten gibt, als sich den Strick zu nehmen."

Kurzbiografie geboren am 19. Januar 1954 in Berlin

ab dem vierten Lebensjahr Kinderrollen

1966 Tod der Mutter, Helene Weigel kümmert sich um Thalbachs Ausbildung

1969 Durchbruch mit der Rolle der Polly in der "Dreigroschenoper"

1971 Abitur, Bühnenreifeprüfung und Wechsel an die Volksbühne Berlin

1972 Kritikerpreis der Berliner Zeitung für ihre Darbietung als Desdemona in "Othello"

1976 Übersiedlung nach West-Berlin

1978 Bayerischer Filmpreis: Beste Nachwuchsdarstellerin

1979 Rolle der Maria in Volker Schlöndorffs "Blechtrommel"

1980 Schauspielerin des Jahres

1987 Deutscher Filmpreis ("Beste Darstellerin")

1987 Regiedebüt mit "Macbeth" am Berliner Schillertheater

1989-1994 mehrere Regiearbeiten in Berlin und Hamburg

1996 Inszenierung von "Der Hauptmann von Köpenick"

1996 Adolf-Grimme-Preis

1996 Bundesverdienstkreuz

1997 Carl-Zuckmeyer-Medaille

2007 Bayerischer Filmpreis: Beste Darstellerin in "Strajk – Die Heldin von Danzig"

2012 Deutscher Schauspielerpreis (Ehrenpreis für das Lebenswerk) und Stern auf dem Boulevard der Stars in Berlin

2014 Deutscher Hörbuch-Sonderpreis für ihr Lebenswerk