Neuer Israelitischer Friedhof in Leipzig
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Wechselvolle Geschichte Leipzig: Israelitischer Friedhof soll neu gestaltet werden

05. November 2023, 04:00 Uhr

Am 9. November 1938 brannten in Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte – und in Leipzig auch die Trauerhalle des Neuen Israelitischen Friedhofs an der Delitzscher Straße. Ebenso wurde der Friedhof selbst verwüstet. Jahrzehntelang fristete der Ruheort auch namhafter Leipziger wie Barnet Licht oder Chaim Eitingon ein Schattendasein. Jetzt beginnt die Aufarbeitung seiner Geschichte gemeinsam mit einer Leipziger Hochschule. Münden soll sie in eine Neugestaltung des Areals, wie die Israelitische Gemeinde hofft.

Laut knirscht der Kies unter den Rädern des knapp rasenmähergroßen Gefährts, das Felix Oertel über ein mit roten Stricken abgegrenztes Rechteck schiebt. Obendrauf ein Dreibein mit Bildschirm: "Also, Sie stehen hier vor einem relativ modernen Boden- oder Georadar und dieses kleine blinkende Gerät obendrauf ist ein sehr präzises GPS-Gerät."

Mit dem Bodenradar auf Gräbersuche

Reihe für Reihe fährt der Geotechniker der Leipziger Hochschule für Technik, Wissenschaft, Kultur (HTWK) das 18 mal 18 Meter messende Areal auf dem neuen Israelitischen Friedhof ab und schickt elektromagnetische Wellen in den Boden. Die werden je nach Untergrund unterschiedlich reflektiert und erscheinen als farbige Strukturen auf dem Monitor.

Normalerweise setzen die Wissenschaftler Georadar ein, um Bodenschichten zu untersuchen. "Hier nutzen wir heute eher einen geoarchäologischen Ansatz: Wir versuchen, Strukturen im Oberflächenbereich zu erfassen, um zu erkunden, wohin die Gräber und Gebeine des alten Johannisfriedhofs in der nationalsozialistischen Zeit gewaltsam versetzt wurden. Wir erwarten, hier Strukturen von Massengräbern aufzudecken, eventuell auch von einzelnen Gebeinen, die separat bestattet wurden."

Neuer Israelitischer Friedhof in Leipzig
Mit dem Bodenradar auf dem Neuen Israelitischen Friedhof: Ralf Thiele (r), Geotechnik-Professor an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK), Eta Zachäus von der Israelitischen Gemeinde und Architekt Ronald Scherzer-Heidenberger Bildrechte: picture alliance/dpa | Waltraud Grubitzsch

Und damit blickt Felix Oertel ganz tief in die Geschichte des Friedhofs. Eines ganz besonderen Ortes, wie Eta Zachäus von der Israelitischen Gemeinde in Leipzig betont: Weltweit einzigartig sei schon die Konstellation der historischen Ereignisse von 1928 an über die Nazi- und Kriegszeit bis in DDR- und Nachwendezeit.

Wechselvolle Geschichte: Israelitische Gemeinde forscht gemeinsam mit Leipziger Hochschule

1928 wird das Areal als dritter jüdischer Friedhof der Stadt geweiht. Direkt an der Delitzscher Straße entsteht eine prächtige Trauerhalle mit einer imposanten hohen Kuppel. Das Gebäude wird in der Pogromnacht 1938 niedergebrannt und später gesprengt. Schon im Jahr zuvor muss die Jüdisches Gemeinde ihren ältesten Friedhof im Johannistal auflösen. Ein Tabubruch: Jüdische Friedhöfe sind für die Ewigkeit angelegt und dürfen nicht aufgegeben werden: "Die Gebeine wurden exhumiert, in kleine Leinensäcke gepackt und hierher überführt. Wir wissen nicht genau, wie viele Grabsteine mitgekommen sind. Wir wissen, dass auch einige zerschlagen und wahrscheinlich an der Seite in die Erde versenkt worden sind", so Eta Zachäus von der Israelitischen Gemeinde in Leipzig

Ab 1942 kommen noch die Urnen aus Konzentrationslagern dazu, auch verstorbene oder ermordete polnische Juden aus dem nahe gelegenen Zwangsarbeiterlager werden hier bestattet. Nach ihnen wird jetzt ebenso gesucht wie nach den in der Pogromnacht zerstörten Gräbern: "Wir haben zwar Unterlagen, und wir haben auch Sterbebücher. Aber uns fehlen noch Daten, wir sind jetzt dabei, eine Datenbank zu erstellen, um sagen zu können: 'Ja, der Mensch ist wirklich hier beerdigt.' Und da kommt die HTWK wieder ins Spiel, die dann mit dem Radargerät nochmal die Stelle überprüft, wo vermeintlich das Grab ist. Weil jeder, der hier beerdigt ist, seinen Namen wieder haben muss."

Jeder, der hier beerdigt ist, muss seinen Namen wieder haben.

Eta Zachäus Israelitische Gemeinde Leipzig

Ruhestätte namhafter Leipziger wie Barnet Licht und Chaim Eitingon

Doch die Kooperation mit der Leipziger HTWK beschränke sich nicht auf den Blick zurück, sagt Eta Zachäus. Der Friedhof soll baulich weiterentwickelt werden: "Das ist ja ein Parkfriedhof, und diesen Parkcharakter wollen wir bei der Erweiterung erhalten, so dass man sagen kann: 'Das ist eine Einheit, unser Friedhof.'"

Heute enden die beiden baumgesäumten Alleen im Leeren, denn der hintere Teil des Friedhofs blieb bis jetzt unbenutzt. Nun sollen sie verlängert werden. Auch der Eingangsbereich soll wieder seine historische, am Jugendstil orientierte Wegestruktur erhalten. Nicht wieder entstehen wird dagegen die großartige Trauerhalle. Da bleibt es beim schmucklosen Bau aus den 1950er-Jahren.

Es lohnt schon jetzt, einmal über den Neuen Israelitischen Friedhof zu spazieren. Denn zu entdecken sind viele Namen, die untrennbar mit der Leipziger Geschichte verbunden sind: Barnet Licht etwa, auf den die Tradition der Silvesterkonzerte mit Beethovens Neunter zurückgeht oder Chaim Eitingon, der Leipzig ein Krankenhaus für alle Einwohner schenkte.

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