Entscheidung im Herbst Worauf es bei der Kulturhauptstadt-Bewerbung von Magdeburg jetzt ankommt

19. Februar 2020, 19:17 Uhr

Kulturhauptstadt Europas 2025: Im Herbst steht fest, ob Magdeburg diesen Titel tragen darf. Jetzt wird intensiv am entscheidenden Bewerbungsbuch gearbeitet. Womit Magdeburg schon punktet und wo die europäische Jury Verbesserungsmöglichkeiten sieht – eine Übersicht.

Eine solide, aber ruhige und graue Stadt, in der es an öffentlichen Räumen fehlt – oder auch: die unbekannte Hauptstadt von Deutschlands am stärksten benachteiligten Bundesland. Wirklich charmant klingt es nicht, wenn die Kulturhauptstadt-Jury beschreibt, wie Magdeburg wahrgenommen wird.

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieser Einschätzung ist die Landeshauptstadt weiter im Rennen um den Titel. Bei dem Wettbewerb geht es darum, wie sich eine Stadt durch Kulturangebote weiterentwickeln will. Im vergangenen Dezember schaffte es Magdeburg bei dem Wettbewerb in die entscheidende Runde – gemeinsam mit Chemnitz, Hannover, Hildesheim und Nürnberg. Die fünf Städte überzeugten mit ihrem ersten Bewerbungsbuch. Bis Ende Juli müssen sie ihre bisherigen Konzepte in einem zweiten Buch konkretisieren. Mitte September fällt dann die endgültige Entscheidung, wer 2025 mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas für sich werben darf.

Wer entscheidet, wer Kulturhauptstadt Europas 2025 wird?

Die Europäische Union hat zehn Experten ernannt, die aus dem Kulturbereich kommen. Zusätzlich gibt es zwei Experten aus Deutschland, die von Kultusministerkonferenz und Bund berufen wurden. Sie alle haben eine Erklärung unterschrieben, in der sie sich zu Vertraulichkeit und Unabhängigkeit verpflichten. Die Vorsitzende der Jury ist Sylvia Amann, Expertin für Kulturentwicklung und Kreativwirtschaftspolitik.

In Magdeburg wird deswegen seit anderthalb Monaten intensiv am Konzept weitergearbeitet. Dabei hilft dem Magdeburg2025-Team der Bericht, den die Jury über das erste Bewerbungsbuch verfasst hat. Darin schreibt die Jury, was die Kandidatenstädte noch verbessern müssen. Ein Kritikpunkt: Magdeburg habe die Tendenz, seine Mängel und Schwierigkeiten zu betonen. Stattdessen würden der Bewerbung aber Humor und ein stärkerer Blick nach vorn gut tun. Auch sei unklar, wie lokale Künstler sowie Städte und Regionen aus dem Umland eingebunden werden sollen.

Jury: Die europäische Brille fehlt

Was der Jury bisher außerdem nicht ausreicht, ist der Europa-Bezug. Die Strategie, wie man europäisches Publikum begeistern wolle, sei nicht sehr überzeugend. Ein Problem, das Magdeburg mit dem anderen ostdeutschen Mitbewerber Chemnitz teilt. Auch hier heißt es in der Jury-Einschätzung, es gebe keine überzeugenden Highlights, die europäische und andere internationale Gäste locken könnten. Hildesheim hat in dem Punkt ebenfalls noch Nachholbedarf. Hannover und Nürnberg schneiden deutlich besser ab.

Die artistische Vision ist noch nicht ausreichend entwickelt. Dem Programm fehlen Klarheit, Tiefe und eine klare europäische Dimension.

Jury Kulturhauptstadt Europas 2025

Andrea Jozwiak aus dem Magdeburger Bewerbungsbüro ist trotzdem optimistisch. Der Expertenbericht habe alles abgebildet, was sich das Team ohnehin schon gedacht habe, erzählt sie. Man wolle sich im zweiten Buch nun viel mehr auf die Stärken der Stadt fokussieren. "Wir sind sehr dankbar für die Handlungshinweise", so Jozwiak. Bestimmte Punkte müssten nun besser herausgearbeitet werden – zum Beispiel Kooperationen mit der Universität oder eben wie man mit der Region zusammenarbeiten wolle. Hier sei man mit möglichen Projektpartnern im Gespräch.

Mehr Zusammenarbeit mit dem Umland

Ein wichtiger Baustein hierbei ist demnach auch die Diskussion um eine gemeinsame Kultur-Region. In den vergangenen Monaten haben Einwohner und Verantwortliche aus Magdeburg sowie den Landkreisen Börde, Jerichower Land und Salzlandkreis ausgelotet, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte. Ende Februar geht es auf einer Konferenz um mögliche Pilotprojekte.

Insgesamt bringe die Magdeburger Bewerbung die Voraussetzungen für ein vielversprechendes Angebot mit, fasst die Jury in ihrer Bewertung zusammen. Um auf europäischem Level bedeutender zu sein, raten die Experten, noch stärker auf das Magdeburger Recht einzugehen – das Stadtrecht, das im Mittelalter hier seinen Ursprung hatte und als Baustein des modernen Europas gilt. Das Magdeburger Recht ermöglichte den Bürgern ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung – unter anderem durch klare Regeln zur Lösung von Konflikten. Menschen konnten durch das Recht selbstständig handeln und über ihr Vermögen verfügen.

Bedeutung Magdeburgs für Europa

Was all das im heutigen Europa mit seinen Konflikten für eine Bedeutung hat, sei im ersten Bewerbungsbuch nicht ausreichend beschrieben worden, so die Jury. Es muss also stärker erklärt werden, was ein Kulturhauptstadtjahr in Magdeburg am Ende ganz Europa bringen würde – und nicht nur der Stadt selbst.

Das Erbe des Magdeburger Rechts bringt der Stadt einen immensen Pluspunkt. Es ist ein guter Ausgangspunkt, um EU-relevante Themen zu diskutieren.

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Was ist im Wettbewerb entscheidend?

Die Jury schaut vor allem auf sechs Punkte:

– Was bringt die Bewerbung für die langfristige Kulturentwicklungsstrategie der Stadt?
– Wie groß ist die europäische Dimension des Programms?
– Sind Gesamtprogramm und künstlerische Qualität überzeugend?
– Ist die Bewerberstadt in der Lage, ihre Pläne tatsächlich umzusetzen?
– Inwieweit werden die Einwohner eingebunden?
– Gibt es genügend personelle Ressourcen für das Management des Kulturhauptstadtjahres?

Womit die Konkurrenten punkten konnten – und womit nicht

CHEMNITZ
– Lob bekommt Chemnitz, weil es im ersten Bewerbungsbuch 24 umliegende Kommunen mit einbezieht. Dadurch entstehe eine Strategie für die gesamte Region, die aber noch konkretisiert werden müsse, so die Jury.
– Positiv sei auch die hohe politische Unterstützung des Vorhabens und die "Bottom-Up-Perspektive" – also dass Projektideen mit vielen Einwohnern diskutiert wurden.
– Die freie Szene sowie Kulturinstitutionen würden beide im Kulturprogramm berücksichtigt. Allerdings sei die artistische Vision noch nicht ausreichend genug, um international attraktiv zu ein.
– Der Austausch mit anderen Kulturhauptstädten sei vorhanden. Grenzüberschreitende Kooperationen, etwa mit Tschechien und Polen, seien aber noch nicht ausreichend in den Blick genommen worden.
– Die Strategie für Nachhaltigkeit sei noch nicht genügend ausgearbeitet.
– Die Bewerbung befasse sich mit den gewalttätigen Ausschreitungen von 2018 nicht wirklich aus europäischer Perspektive.

HANNOVER
– Hannover präsentiert sich aus Sicht der Jury als harmonische Stadt der Balance.
– Die Stadt hat aus Sicht der Jury großes Potenzial und eine gute Basis für ein interessantes Kulturhauptstadtjahr.
– Es gebe die Möglichkeit, signifikante Effekte auf europäischem Level zu erreichen.
– Es gebe Chancen, relevante Themen auf interessante und artistisch inspirierende Weise zu präsentieren.
– Die Kooperation mit der Region sei schon gut ausgearbeitet.
– Die Europäische Dimension müsse aber noch klarer gemacht und verstärkt werden.
– Das Projekt sollte zudem nachhaltiger gedacht werden.

HILDESHEIM
– Die Kulturstrategie Hildesheims hat die Jury überzeugt, weil sie die Entwicklung der Region mit einbezieht. Einwohner, die kreative Industrie und Kulturinstitutionen würden alle eingebunden.
– Allerdings müssten die europäische Sichtweise und artistische Dimension klarer herausstechen.
– Eine weitere Schwäche sei die finanzielle Unterstützung. Das Budget liege bei 54.200.000, nur gut ein Zehntel davon steuere die Stadt selbst bei. Die Stadt habe angesichts von Verschuldung das kulturelle Budget in den letzten Jahren eingefroren. Das sei insgesamt ein hohes Risiko.
– Als problematisch sieht die Jury außerdem an, dass nicht alle politischen Parteien das Vorhaben unterstützen.

NÜRNBERG
– Positiv sei, dass es eine hohe politische und finanzielle Unterstützung bei der Bewerbung gebe.
– Die vorgeschlagenen Themen für das artistische und kulturelle Programm haben laut Jury eine hohe europäische Relevanz.
– Es gebe ein gutes Potenzial, das Umland einzubinden.
– Allerdings müsse der Aspekt der Nachhaltigkeit besser geplant werden. Also die Frage: Was passiert nach 2025?

Magdeburg hat aus Sicht der Juroren aber eine gute Ausgangslage. Das Projekt Kulturhauptstadt werde von allen Parteien unterstützt, die Stadt bemühe sich um den Titel seit 2011. Auch dass Einwohner in den Prozess eingebunden werden, sei klar ersichtlich. Zudem biete das eingeplante Budget von mehr als 66 Millionen Euro eine gute finanzielle Ausstattung.

Bei der finalen Entscheidung erwartet die Jury nach eigenen Worten signifikante Veränderungen – und zwar von allen Bewerbern. Wenn es mit dem Titel klappen soll, wird Magdeburg die Experten im September auch bei einem Vor-Ort-Besuch überzeugen müssen.

Über die Autorin Kalina Bunk arbeitet seit 2015 für MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online- und in der Hörfunkredaktion. Sie schreibt für mdrsachsenanhalt.de, verfasst und spricht die Nachrichten im Radio und ist als Reporterin im Land unterwegs. Aufgewachsen ist sie in Bremen. Dort und in Madrid studierte sie Kulturwissenschaft und Germanistik. Danach war sie für mehrere private Radiosender in Bremen und Berlin tätig. An der Arbeit als Redakteurin fasziniert sie, dass jeder Arbeitstag anders aussieht und dass man täglich etwas Neues dazu lernt.

Quelle: MDR/kb

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. Februar 2020 | 10:40 Uhr

1 Kommentar

Grosser Klaus am 21.02.2020

Geld ist nicht alles, ein Blick über den Magdeburger Tellerrand wäre da hilfreich.

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