Montag, 23.05.2022: Nichts ist selbstverständlich
Anfang der 90er-Jahre gab es einen eigenartigen Gerichtsprozess: Ein kleinwüchsiger Schausteller klagte, weil ihm die Veranstaltung "Zwergenweitwurf" untersagt worden war. Zu Recht, befand das Gericht: Eine kleinwüchsige Person - auch wenn sie das unbedingt möchte – wie einen Gegenstand zum Weitwurf zu benutzen, verletzt die Menschenwürde.
Diesen Fall kennen Jurastudenten als Lehrbeispiel für die Anwendung von Artikel 1 des Grundgesetzes. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gilt bedingungslos für alle Menschen. Es ist sozusagen der Grundsatz des Grundgesetzes. Es ist gut, so ein Grundgesetz zu haben. Es ist nicht immer bewusst im Vordergrund, aber wir müssen nicht täglich neu vereinbaren, auf welcher Basis wir hier gemeinsam leben wollen.
Der Apostel Paulus erinnert die Gemeinde in Korinth: Ihr habt die Frohe Botschaft angenommen, sie ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch sie seid ihr gerettet – oder habt ihr den Glauben etwa unüberlegt angenommen? Für Paulus gibt es Glaubensätze, die unverhandelbar sind. Nur so können sie zu einem tragfähigen Fundament im Leben werden.
Aber wie ist das mit den grundlegenden Dingen? Der Fisch merkt nicht, dass er vom Wasser umgeben ist, erst wenn es fehlt, wird es gefährlich. Wer auf unwegsamen Gelände den Halt unter den Füßen verliert, wird es wieder zu schätzen wissen, auf festem Grund zu stehen. Der Boden, auf dem wir stehen, ist selbstverständlich. So selbstverständlich, dass wir ihn nicht mehr wahrnehmen. Es besteht die Gefahr, dass wir diese guten Fundamente mit der Zeit nicht mehr schätzen.
Für Paulus gilt das Wort Gottes auch dann, wenn die Korinther es nicht annehmen. Anders die menschlichen Grundsätze unseres Zusammenlebens: Sie können nur gelten, wenn wir sie bewusst annehmen, hochhalten und verteidigen. Daran kann uns heute der "Tag des Grundgesetzes" erinnern.