20. Januar 2021: Enttäuschungen als Ent-Täuschungen
Es tut weh, enttäuscht zu werden. Da hast du dir ein Bild von einem Menschen gemacht und erkennst plötzlich: Er ist ganz anders. Ich habe ihn falsch eingeschätzt. Oder Träume, die ich verwirklichen wollte, stellen sich als Illusion heraus, weil nur ich sie verfolgt habe. Die anderen machen nicht mit. Jetzt stehe ich da und buchstabiere meine Pläne noch einmal ganz neu.
Menschen enttäuschen Menschen. Die Bibel erzählt von Josef. Er war der Jüngste von zwölf Brüdern und Papas Liebling. Das neideten ihm seine großen Geschwister, packten den Jüngling in einen Sack und veräußerten ihn als Sklaven an eine Karawane. Verraten und verkauft, ja, das war Josef und tief enttäuscht von seinen Brüdern. Wenn ich die Geschichte von Josef lese, scheint mir diese böse Erfahrung auch das zu sein: eine Ent-Täuschung, eine Korrektur durch die Wirklichkeit. Ent-täuscht von seinen Brüdern, hat Josef nun zugleich einen besseren Blick für die Realität. Das scheint ihm geholfen zu haben bei all den Begegnungen, die er von nun an in seinem Leben hatte.
Zwar haben ihn seine engsten Angehörigen fallen gelassen, Gott und dem Leben aber traut er weiterhin. Da ist keine Bitterkeit. Er geht geradlinig und aufrichtig seinen Weg. Er bleibt offen für neue Beziehungen zu anderen Menschen. Er zweifelt nicht an sich selbst. Er wird später seinem alten Vater und auch seinen Brüdern wieder begegnen. Da ist er längst ein gemachter Mann. Und hat tatsächlich die Größe, ihnen zu verzeihen.
So möchte ich mit Enttäuschungen umgehen. Der Wirklichkeit ins Auge blicken. Die eigenen Pläne verfolgen und der Zuversicht Raum geben.