Dienstag, 16.08.2022: Jahrhundertflut

Sie wurde als Jahrhundertflut bezeichnet. Elbe und Mulde, aber auch kleine Wasserläufe wie Müglitz und Weißeritz verwandelten sich in reißende Ströme. Vor 20 Jahren standen zahlreiche Orte unter Wasser. Die Elbe erreichte in Dresden eine Rekordhöhe und stieg noch einmal über den Hochwasserstand von 1855 auf über 9,00 Meter an.

Wir waren mit der Notfallseelsorge bei Einsatzkräften unterwegs. "Es ist nicht nur die Daueranspannung im Dienst", sagte ein Einsatzleiter der Polizei in einem Randbezirk von Dresden, "viele meiner Leute sind ja selbst betroffen. Zu Hause säuft die Wohnung ab, und die müssen hier Dauerdienste schieben. Manche drehen bald durch."

Und dann erzählte er auch von der Flut der Hilfsbereitschaft. Die Leute ziehen ihre Gummistiefel an und schleppen Sandsäcke. Ein hoher Wall war mittlerweile vor der Siedlung am Stadtrand entstanden und schützte die Neubauten, die wenige Jahre nach der Wende als Eigenheime im Entstehen waren. Als das Hochwasser der 9-Meter-Marke nahekam und immer noch mit einem Anstieg zu rechnen war, mussten sie die Arbeit der Freiwilligen abbrechen. "Die Leute hätten mich fast gelyncht. Soll das alles umsonst gewesen sein? Jetzt aufhören, wo die Deiche doch halten? Die zwei Tage überstehen die auch noch!" Aber es war zu gefährlich. Was, wenn der Wall aus Sandsäcken bricht und die Freiwilligen dahinter zu Tode kommen? Ein schreckliches Dilemma für den Einsatzleiter.

Mit Beginn des neuen Jahrtausends scheinen sich die schwer kalkulierbaren Krisen zu häufen. Naturgewalten, Brände, Pandemie, Krieg. Und immer sind leitende Einsatzkräfte und Verantwortungsträger in der Politik verpflichtet Entscheidungen für viele zu treffen. Sie werden nie allen gerecht. Und wenn sie im Augenblick der Not getroffen werden, ist noch nicht absehbar, ob der Fortgang der Ereignisse diese Entscheidungen als richtig erweisen wird.

Konkrete Hilfsbereitschaft für Betroffene ist immer das Wichtigste in Krisen. Es gibt in der christlichen Tradition aber auch das Gebet für die Verantwortungsträger. Es ist oft missbraucht worden, um im Schulterschluss von Staat und Kirche ein Aufbegehren des Volkes niederzuhalten. Das darf nicht sein. Aber eine aufrichtige Bitte um weise Entscheidungen der Politik und für die ausführenden Einsatzkräfte stünde uns allen gut an. Ein kritischer Blick auf die Politik ist wichtig. Sie braucht aber auch die Solidarität der Bevölkerung und die Fürbitte für die Menschen in ihren gesellschaftlichen Aufgaben gerade dann, wenn Krisen uns schütteln.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Elisabeth Muche

Elisabeth Muche

Leiterin der Kontaktstelle für Lebens- und Glaubensfragen der katholischen Kirche in Leipzig. Ordensschwester in der Kongregation der Helferinnen.

Geboren am 11.06.1990 in Chemnitz | Aufgewachsen in Chemnitz| Journalistische Ausbildung am Institut für publizistische Nachwuchsförderung (ifp) 2011-2013 | Studium der Psychologie in Leipzig 2011 - 2016 | Ignatianische Ordensausbildung in Cergy, Frankreich und Wien, Österreich 2017 - 2019 | Erstprofess 2019 | seit September 2019 in der Leitung der Kontaktstelle in Leipzig

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.