Sonnabend, 12.11.2022: Gastfreundschaft

Im November kann es bekanntlich kalt und ungemütlich werden. Wie machen Sie es sich in diesen Tagen zu Hause gemütlich? Vielleicht mit einer warmen Decke und einer Tasse Lieblingstee. Vielleicht machen Sie es sich auch zu zweit oder zu dritt gemütlich; verabreden sich in dieser grau-dunklen Jahreszeit zu einem gemeinsamen Spieleabend, zum gemeinsam Kochen – oder zum gemeinsam Singen.

Ich selbst verbinde diese Jahreszeit mit der Erinnerung an ein besonderes Haus. In diesem Haus gab es eine besondere Tradition: Einmal im Jahr standen alle Türen im Haus offen. Jeder konnte jeden besuchen. Man konnte von der einen Wohnung in die andere gehen. Es gab in jeder Wohnung etwas Kleines zu essen und Menschen zum Reden. In der einen Wohnung wurde gemeinsam gesungen, in der anderen Wohnung wurde gemeinsam ein Film geschaut. In der einen Wohnung zeigte der Bewohner, ein Hobby-Fotograf, seine Fotos – in der anderen Wohnung stellte man sich gegenseitig die Bücher vor, die man zuletzt gelesen hatte. Es herrschte ein buntes Treiben in diesem Haus, einmal im Jahr, mitten in der grau-dunklen Jahreszeit. Die Türen waren nicht nur für die Nachbarinnen und Nachbarn, sondern auch für ihre Freundeskreise und Bekannten geöffnet.

Wie lebe ich Gastfreundschaft? Seit dem Kirchentag in Dortmund vor drei Jahren denke ich mehr über diese Frage nach. Auf dem Kirchentag in Dortmund hatte die libanesiche Pfarrerin Najla Kassab gesagt, dass für sie Glaube und Gastfreundschaft zusammengehört. Ihren Glauben zu leben, bedeutet für Kassab: Gastfreundschaft zu leben. Wie lebe ich Gastfreundschaft? Vielleicht organisiere ich keinen Tag der offenen Tür fürs ganze Haus. Das Wort Gastfreundschaft ist für mich dennoch ein Wegweiser in dieser manchmal so kalten und ungemütlichen Jahreszeit.

Freitag, 11.11.2022: Rabu!

Heute am 11.11. um 11 Uhr 11 ist es wieder soweit. Die 5. Jahreszeit beginnt. Die Jecken werden wieder jeck, rufen Alaaf! Helau! oder auch Rabu! Das bunte Treiben am heutigen Tag erinnert daran, dass wieder eine Fastenzeit vor der Tür steht. Die Fastenzeit vor Weihnachten. Die Fastenzeit vor Weihnachten ist vielleicht weniger bekannt als die Fastenzeit vor Ostern. Während 40 Tage vor Ostern rundum Rosenmontag ausgiebig gefeiert wird, wird auch heute am 11.11. mancherorts nochmal herzhaft geschlemmt - und eine Martinsgans aufgetischt.

Die Martinsgans ist ja der traditionelle Festtagsbraten vor Beginn der Fastenzeit. Fasten? Nein Danke! Das dachten sich vor 500 Jahren zwölf Menschen in Zürich. Sie hatten sich eines Abends im Haus eines Buchdruckers getroffen, um gemeinsam eine Wurst zu essen. Mitten während der Fastenzeit. Das gab Ärger, gewaltigen Ärger. Es gab jedoch einen Pfarrer, der sich mit den Fastenbrechern solidarisierte.

Dieser Pfarrer sagte: Wer fasten will, soll fasten. Wer nicht fasten will, der muss es auch nicht tun. Der Pfarrer, der dies gesagt hat, hieß Ulrich Zwingli. Zwingli erinnerte daran, dass von einem Fasten vor Ostern oder Weihnachten in der Bibel keine Rede ist - warum also sollte es Pflicht sein, vor Ostern oder Weihnachten zu fasten? Zwingli legte mit dieser Frage den Finger in die Wunde. Er forderte dazu auf, Traditionen und Gewohnheiten kritisch zu hinterfragen.

Warum tun wir das, was wir tun? Zwingli hat mit dieser Frage vor 500 Jahren in Zürich eine Reformation angestoßen. Warum tu ich das, was ich tu? Manchmal genügt diese Frage, um herauszutreten aus den ausgetretenen Pfaden. Andere Wege ausprobieren. Einen anderen Weg gehen als den Täglichen. Etwas anderes einkaufen als das Übliche. Unsere Zungen dabei vielleicht sogar etwas Neues kennenlernen lassen. Gewohnheiten hinterfragen. Genau darum geht es beim Fasten. Und um das, was wir dadurch vielleicht für uns entdecken.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

Fabian Brüder im Porträt
Bildrechte: Fabian Brüder

Kurzvita Fabian Brüder

Fabian Brüder

Geboren am 02.07.1989 in Hannover | 2008 Abitur | 2008-2009 Diakonisches Jahr im Ausland im Rahmen eines Europäischen Freiwilligendienstes in Estland | 2009-2016 Studium der Evangelischen Theologie in Leipzig, Tartu und Berlin | 2016-2019 Vikariat in München | 2019-2020 Probedienst in Lübeck | seit 2020 Pfarrer in der Evangelisch-reformierten Gemeinde zu Dresden

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.