Wood Wide Web Wie sich Bäume über Wurzelnetzwerke helfen

22. Mai 2019, 09:11 Uhr

Bäume sind echte Teamplayer: Sie stehen zwar jeder für sich, aber unterirdisch bilden sie Wurzel-Netzwerke aus. Die folgen überraschenderweise mathematischen Regeln, die auch für soziale Netzwerke im Internet gelten.

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Auch Bäume betreiben Teamwork. Sie stehen zwar jeder für sich – aber unterirdisch sind sie fleißige und erfolgreiche "Wurzelnetzwerker".

MDR AKTUELL Mo 20.05.2019 13:38Uhr 04:34 min

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Wenn es einfach Zufall wäre, würde die Sache wahrscheinlich so aussehen: Bäume treffen im Boden Wurzeln des Nachbarbaumes und verbinden sich. Ein dichtes, in alle Richtungen verzweigtes, aber zufälliges Netz entsteht.

Doch in Wirklichkeit sehen die Wurzelnetzwerke von Bäumen ganz anders aus. Sie folgen konkreten wiederkehrenden Mustern, sagt die Dresdner Biometrie-Professorin Uta Berger. Sie erforscht die Wurzelnetzwerke seit vielen Jahren. "Es bilden sich immer kleine Gruppen von vier bis fünf Bäumen. Was uns sehr überrascht hat: Es gibt zwar kleine Schlenker, aber in erster Linie sind diese Strukturen sehr linear." Die vernetzten Bäume stehen unterirdisch also praktisch in einer Linie nebeneinander.

Mangroven helfen gegen Salz

Praktisch bedeutet das: Nur wer als Baum in die Reihe passt, wird aufgenommen und auch das nicht endlos. Es ist, als folgten die Bäume einem Plan. Unter der Erde verwächst das Wurzelgewebe, sodass für die vernetzten Bäume eine Art gemeinsames, unterirdisches Versorgungssystem entsteht. "Die Bäume sind wirklich verbunden. Über diese Verbindungen können nicht nur Nährstoffe und Zucker verteilt werden, sondern auch Wasser", sagt Uta Berger.

Prof. Uta Berger, Technische Universität Dresden Bildrechte: TU Dresden/ Uta Berger

Ihr Forschungsobjekt sind Mangrovenbäume. Um sie zu untersuchen, reist die Dresdner Professorin regelmäßig an die tropischen Küsten Mexikos. An Mangroven lassen sich Wurzelnetzwerke besonders gut studieren, da ihre Wurzeln zum Teil über der Erde verlaufen und Wurzelverbindungen zwischen den Bäumen so gut zu erkennen sind.

Die Mangroven helfen sich mit ihren Netzwerken beispielsweise bei sogenanntem Salzstress. Wenn sich zu viel Salz aus dem Meerwasser im Boden sammelt, versorgen Bäume, die näher am Wasser stehen, die Bäume an extrem salzigen Stellen mit ausreichend Feuchtigkeit.

Überlebenshilfe bei Schädlingsnagriffen

Ähnliche Stresssymptome erleben Bäume in unseren Wäldern bei großer Trockenheit. Auch sie bilden Netzwerke, über die allerdings noch nicht viel bekannt ist, obwohl Forstwissenschaftler diese Vernetzungen schon vor mehr als 100 Jahren beschrieben haben.

Kanadische Wissenschaftler haben solche Netzwerke unter anderem bei Pappeln und Schwarzfichten dokumentiert. Die dabei gefundenen Effekte gehen über die gegenseitige Versorgung mit Wasser und Nährstoffen hinaus.

Die haben herausgefunden, dass vernetzte Bäume besser wachsen und dass vernetzte Bäume Angriffe von Schädlingen abpuffern können, wenn sie mit noch gesunden Bäumen vernetzt sind. Selbst dann, wenn sie durch die Angreifer vollständig entlaubt werden und normalerweise sterben.

Uta Berger, Professorin für forstliche Biometrie, TU Dresden

Forschung mit Hochdruckschlauch

Wenn man solche Prozesse besser versteht, könnten daraus neue Strategien entstehen, beispielsweise gegen extreme Borkenkäferplagen wie zurzeit in mitteldeutschen Wäldern. Allerdings können Wurzelnetzwerke auch negative Folgen haben.

In Nordwestdeutschland lässt ein Pilz, der sogenannte Wurzelschwamm, Wurzeln und ganze Bäume verfaulen und absterben. Ein möglicher Übertragungsweg sind Wurzelnetzwerke. Forstbiometrikerin Uta Berger hofft auf immer genauere Forschungen: "Wenn es uns gelingen würde, das besser zu untersuchen, könnte man sowohl positive als auch negative Effekte über diese Wurzeln besser verstehen und dann vielleicht auch besser handhaben als bisher."

Die Schwierigkeit sind die sehr aufwendigen Untersuchungen in hiesigen Wäldern. Anders als bei Mangroven mit ihren Wurzeln direkt an der Oberfläche stecken Wurzelnetzwerke hier tief im Boden. Statt Wellenrauschen braucht es hier drastische Eingriffe. "Man benutzt dazu Feuerwehrschläuche und spült unter Druck mit viel Wasser diese Wurzeln frei", erklärt Berger.

Kleine Gruppen besser als Allesnetzwerke

Allerdings geht das nur auf sehr begrenzten Flächen, da man nicht ganze Wälder unterspülen kann. Die tropischen Mangroven bleiben damit wichtigstes Forschungsobjekt für Wurzelnetzwerke. Professorin Uta Berger und ihre Partner haben unterdessen einen der weltweit besten und umfassendsten Datensätze zusammengetragen. Er zeigt klar, dass die Netzwerke den beteiligten Bäumen nützen. Spekulation bleibt aber, wie die Bäume konkret dazu kommen, sich zu vernetzen. "Also ich würde nicht soweit gehen, von einer Kooperation zwischen Bäumen zu sprechen", sagt Berger. "Das machen manche, aber das ist eigentlich zu esoterisch. Das wissen wir tatsächlich noch nicht:"

Wenn man trotzdem ein bisschen staunen möchte: Uta Berger hat verblüffende Parallelen festgestellt zwischen Wurzelnetzwerken und mathematischen Gruppenstrukturen oder Konstellationen in sozialen Netzwerken. Die teils hochkomplexen Berechnungen ergeben genau die Regeln, die die Bäume in ihren Netzwerken befolgen.

Es ist eben nicht so günstig, wenn alle miteinander vernetzt sind. Stattdessen ist es vorteilhaft, lineare Strukturen zu bilden und kleinere oder mittlere Gruppen. Die Gruppengröße ist begrenzt.

Uta Berger, Professorin für forstliche Biometrie, TU Dresden

Dahinter muss allerdings kein geheimes Wissen der Natur stecken, sondern schlicht die Evolution. Wurzelnetzwerke beruhen wohl einfach darauf, dass sie sich als nützliche Verhaltensmuster erweisen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Wissen aktuell | 19. Mai 2019 | 11:17 Uhr

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