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Wer ist nach der Wahl am Zug? Und wie beeinflussen Prognosen diese Entscheidung? Bildrechte: imago/Waldmüller

Medienwirkungsforschung Beeinflussen Prognosen die Wahlentscheidung?

23. August 2019, 14:10 Uhr

Ein häufiger Bestandteil von Umfragen ist die sogenannte Sonntagsfrage: “Wenn nächsten Sonntag Wahl wäre, welche Partei würden Sie wählen?“ Solche Umfragen werden von Meinungsforschungsinstituten durchgeführt, die unter anderem von Zeitungen oder Rundfunkunternehmen wie dem MDR beauftragt werden. Die Ergebnisse der Sonntagsfrage geben ein aktuelles Stimmungsbild der Bevölkerung in Bezug auf die Parteien wieder.

Gesetzliche Sperrfristen für Medien

Gerade im Zeitraum vor einer Wahl sind diese Ergebnisse von besonderem Interesse. Wo steht welche Partei? Wer hat die Nase vorn? Doch nicht in allen Ländern dürfen derartige Informationen kurz vor der Wahl veröffentlicht werden. In Griechenland und Italien herrscht bereits 15 Tage vor der Wahl eine Sperrfrist und es dürfen keine Wahlprognosen oder Informationen über das Wahlverhalten der Bürger und Bürgerinnen veröffentlicht werden. Der Grund: Wählerinnen und Wähler könnten so kurz vor der Wahl beeinflusst werden.

Sperrfrist am Wahltag in Deutschland

In Deutschland gibt es per Bundeswahlgesetz eine Veröffentlichungssperre über das Wahlverhalten am Wahltag. Diese Sperrfrist gilt ab dem Zeitpunkt der ersten Stimmabgabe bis zur Schließung der Wahllokale (§ 32 Absatz 2 Bundeswahlgesetz). Verfassungsrechtlicher Hintergrund ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl, welcher sich nach Art. 38 Absatz 1 Satz 1 im Grundgesetz richtet.

Menschen, die am Vormittag wählen gehen, hätten nicht den gleichen Informationshintergrund wie diejenigen, die am Nachmittag nach einer Veröffentlichung von Wahltagsbefragungen, sogenannten Exit-Polls, wählen gehen. In diesem Fall hätten bei der Wahl ungleiche Bedingungen geherrscht. Die Wählerbefragung nach Abgabe der Stimme ist an sich erlaubt, die Umfrageergebnisse dürfen aber erst nach Schließung der Wahllokale etwa ab 18 Uhr veröffentlicht werden.

Die Umfrageergebnisse der Wahltagbefragung sind den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medienhäuser schon etwas früher bekannt. Die Sperrfristen gelten allerdings nicht nur für das Fernsehen oder Webseiten. Auch in den sozialen Medien wie etwa auf Twitter dürfen keine Umfrageergebnisse vor Schließung der Wahllokale veröffentlicht werden. Bei der Landtagswahl in Sachsen 2009 und Bundestagswahl 2013 ist genau das allerdings passiert. Über die Twitter-Accounts von Journalisten und Politikern wurden bereits vor 18 Uhr Umfrageergebnisse veröffentlicht.

Was sagt der Pressekodex?

Der Pressekodex umfasst eine Reihe publizistischer Grundsätze und stellt eine freiwillige Selbstverpflichtung der Journalistinnen und Journalisten dar. Ab der Fassung vom 1. Januar 2007 wurde die sowieso schon entschärfte Richtlinie zu Sperrfristen ganz gestrichen. Es liege im freien Ermessen der Redaktionen, ob Sperrfristen eingehalten werden oder nicht. Der aktuelle Pressekodex in der Fassung vom 22. März 2017 enthält in Bezug auf Umfrageergebnisse die Aussage, dass bei Veröffentlichung von Umfrageergebnissen die Zahl der Befragten, der Zeitpunkt der Befragung, die Auftraggeber sowie die Fragestellung zu nennen sind.

In Deutschland gibt es also keine rechtlichen Bestimmungen darüber, bis zu welchem Zeitpunkt Wahlprognosen vor der eigentlichen Wahl veröffentlicht werden. Meinungsforschungsinstitute und Medien haben sich bei früheren Wahlen weitgehend zurückgehalten und eine gesetzliche Regelung war nicht nötig. Doch das scheint sich zu ändern. Zur Bundestagswahl 2017 veröffentlichten Meinungsforschungsinstitute ihre letzte Prognose am Freitag vor dem Wahlsonntag. Zur Bundestagswahl 2013 brach der ZDF die bisher von allen öffentlich-rechtlichen Sendern eingehaltene freiwillige Veröffentlichungssperre im Fernsehen von zehn Tagen. Sie veröffentlichten Umfrageergebnisse am Donnerstag vor der sonntägigen Wahl.

Briefwähler wählen sowieso früher

Die steigende Anzahl der Briefwähler wird bei der ganzen Debatte nicht beachtet. Bei der Bundestagswahl 2017 lag der Anteil an Briefwählern bei 28,6 Prozent. Nach Erhalt der Wahlbescheinigung kann eine Briefwahl beantragt, ausgefüllt und versandt werden. Demnach wählen die Briefwähler viel früher und stehen unter dem Einfluss der Wahlprognosen. Doch welchen Einfluss können diese Prognosen überhaupt haben?

Beeinflussung durch Wahlprognosen

Die Forschung bezüglich des Einflusses von Meinungsumfragen auf das Wahlverhalten fällt leider noch etwas gering aus, da sich individuelle Wahlentscheidungen schwierig untersuchen lassen. Wissenschaftler kommen allerdings infolge einer Untersuchung zur Bundestagswahl 2013 zu dem Schluss, dass die Wähler nach den Prognosen einen bestimmten Wahlausgang erwarten. Allerdings ohne genaue Aussage, wie es zu dieser Wirkung kommt. Es gibt jedoch einige Hypothesen in Bezug auf den Einfluss von Wahlprognosen. Bei all diesen Hypothesen handelt es sich allerdings um theoretische Erklärungsansätze, die nur teilweise mit empirischen Daten untermauert werden können.

These 1: Alle rennen dem größten Wagen hinterher

Eine bekannte Hypothese ist die Bandwagonhypothese. Man geht davon aus, dass Menschen gern der erfolgreichsten Partei folgen und ihre Wahlentscheidung zu Gunsten der Partei fällen, die in den Umfragen die Nase vorn hat. In einer Studie zu den dänischen Wahlen im Jahr 2015 schlussfolgerten Wissenschaftler, dass Wähler sich eher der Partei anschließen, die auch in den Umfragen erfolgreich sind. Umgekehrtes gilt für die Parteien, die in den Umfragen eher schlecht abschneiden.

Die entgegengesetzte Hypothese ist die Underdoghypothese, die besagt, dass sich Wähler aus Trotz und Mitleid der Partei anschließen, die in den Umfragen zurückliegt.

These 2: knappe Entscheidungen mobilisieren

Die Mobilisierungshypothese besagt, dass Wähler eher motiviert sind und wählen gehen, wenn laut Wahlprognose ein knappes Ergebnis zwischen den Parteien bevor steht. Ganz nach dem Motto: "Jetzt zählt meine Stimme erst recht!" Der Politikwissenschaftler Alexander Gallus vermutet in einem Beitrag, dass die Wahlbeteiligung zur Bundestagswahl 2013 unter anderem aufgrund von Umfragen, die ein knappes Ergebnis vorhergesagt haben, leicht angestiegen sei.

These 3: Fallbeil und Leihstimme

Anhand der Funktionsweise der Demokratie in Deutschland ergeben sich zwei weitere Hypothesen. Die Fallbeilhypothese kommt mit der Fünf-Prozent-Hürde einher und besagt, dass Wähler sich eher nicht für eine Partei entscheiden, die laut den Umfrageergebnissen keine fünf Prozent erreichen wird. Die Leihstimmenhypothese bezieht sich auf die Zweitstimme der Wählerinnen und Wähler, die sie aus taktischen Gründen einer kleineren Partei geben, um einen möglichen Koalitionspartner zu unterstützen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Wissen: Mehr Bürger an die Macht? - Wie sich Demokratie verändern muss | 25. August 2019 | 22:20 Uhr