Führende VirologInnen beantworten Ihre Fragen Was wissen wir nach einem Jahr Pandemie über Sars-CoV-2? Teil 1

30. März 2021, 18:01 Uhr

Sie haben uns dutzende Fragen zu Sars-CoV-2, den neuen Mutanten und den Impfstoffen geschickt, wir haben sie an Deutschlands führende Virologinnen und Virologen weitergeben. Im Rahmen einer virtuellen Podiumsdiskussion am 26. März, moderiert von Prof. Thomas Schulz, haben sie geantwortet.

Lesen Sie hier alle Fragen und die Antworten der Expertinnen und Experten. (Teil 1)

Colage, die Porträtfotos von acht bekannten deutschen Virologen zeigt. Von links nach rechts: Sandra Ciesek, Thomas Stamminger, Isabella Eckerle, Ulf Dittmer, Klaus Überla, Ralf Bartenschlager, John Ziebuhr und Christian Drosten.
Diese acht Virologen standen Rede und Antwort: Sandra Ciesek, Thomas Stamminger, Isabella Eckerle, Ulf Dittmer, Klaus Überla, Ralf Bartenschlager, John Ziebuhr und Christian Drosten. Bildrechte: MDR Wissen

Was sind für Sie die "Treiber der Pandemie"? (Sandra Bühler, Heidelberg)

Sandra Ciesek: Für Sars-CoV-2 ist der Begriff "Treiber der Pandemie" nicht gut gewählt. Wenn man ihn verwendet, dann kann man ihn am besten erklären am Beispiel der jährlichen Grippewelle. Die Älteren sind entweder geimpft oder sie haben mehrmals in ihrem Leben eine Grippe durchgemacht und deswegen haben sie eine sogenannte Teilimmunität, einen gewissen Schutz.  Den haben kleine Kinder im Kindergartenalter nicht. Wenn es dann zur Grippewelle kommt, sind diese Kinder die hauptsächlich betroffene Gruppe, in der man viele Infektionen findet und wo diese Infektionen weitergegeben und in andere Bevölkerungsschichten getragen werden. Bei Sars-CoV-2 gibt es diese Teilimmunität nicht. Jeder von uns kann sich infizieren und keiner hatte schon vor Jahren eine Infektion und deshalb ist der Begriff "Pandemietreiber" hier sehr ungünstig gewählt.

Thomas Schulz: Wenn man unter "Treiber der Pandemie" auch Eigenschaften des Virus versteht, die es dazu befähigen, eine solche Pandemie auszulösen, welche wären das dann?

Christian Drosten: An diesem Virus ist erstaunlich, dass es – anders als das erste Sars-Virus, das man im Jahr 2003 gesehen hat – ganz stark in den Schleimhäuten der oberen Atemwege repliziert. Daher kommt es natürlich, dass sich dieses Virus gut verbreiten kann, zum Teil schon vor Symptombeginn. Ungefähr die Hälfte der Übertragungen passiert schon vor Beginn der Symptome, egal ob die schwer oder leicht ausfallen. In dieser Frühphase merkt die Patientin oder der Patient überhaupt nichts davon.

Man kann auch analysieren: Welche Menge Virus wird ausgeschieden? Unser Eindruck ist, dass alle Altersgruppen etwa gleich viel Virus ausscheiden. Man kann kleine Differenzierungen machen. Wenn man ganz viele Viruslasten vergleicht, sieht man: Die Kinder haben einen Tick weniger Virus. Allerdings muss man auch wissen: Bei den Kindern sind die Abstrichtupfer kleiner, da hängt viel weniger Virus dran. Und je kleiner die Kinder sind, desto mehr wehren sie sich gegen die Probenentnahme, so dass die Proben schlechter werden. Durch diese kleinen Unterschiede könnte man schon erklären, warum man manchmal bei Kindern etwas weniger Virus sieht.

Genauso kann man sagen: Die ganz alten Patientinnen und Patienten, die haben ein kleines bisschen mehr Virusausscheidung. Das mag vielleicht damit zu tun haben, dass die akute Immunreaktionen ein bisschen schwächer ist. Deshalb reagieren sie auch auf Impfungen schlechter. Bei Ausbrüchen in Altersheimen sieht man auch manchmal, dass das Virus bei einzelnen, gerade sehr alten Patientinnen und Patienten länger bleibt.

Ansonsten sind wir alle gleich für dieses Virus, anders als bei einer normalen, endemischen Influenza.

Thomas Stamminger: Man kann den Begriff "Treiber der Pandemie" aktuell aber Situationen zuordnen. Zum Beispiel: Wenn kein Mindestabstand eingehalten wird, wenn Leute schlampig mit Hygienemaßnahmen umgehen, keine FFP2- oder andere Maske tragen. Dann muss man mit Übertragungen dieses Virus rechnen. Das ist unabhängig, ob das ältere Menschen oder Kinder sind.

Diese Virologen diskutieren über Auswege aus der Pandemie

Prof. Dr. med. Thomas Schulz
Moderator: Professor Thomas Schulz, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Hannover
Thomas Schulz forscht in Hannover zu Infektionen bei immungeschwächten Patienten, die viralen Infektionen oft mit wenig Schutz ausgesetzt sind. Er arbeitet an der Entwicklung neuer antiviraler Wirkstoffe und vorbeugender und therapeutischer Impfungen. Weitere Schwerpunkte des Wissenschaftlers sind die Analyse von Biomarkern zur Infektionskontrolle und zur Risikoabschätzung, sowie die Entwicklung adoptiver Immuntherapien. Statt einer Impfung werden hierbei spezifische Abwehrzellen transferiert.
Bildrechte: MHH/ Nico Herzog
Prof. Dr. med. Thomas Schulz
Moderator: Professor Thomas Schulz, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Hannover
Thomas Schulz forscht in Hannover zu Infektionen bei immungeschwächten Patienten, die viralen Infektionen oft mit wenig Schutz ausgesetzt sind. Er arbeitet an der Entwicklung neuer antiviraler Wirkstoffe und vorbeugender und therapeutischer Impfungen. Weitere Schwerpunkte des Wissenschaftlers sind die Analyse von Biomarkern zur Infektionskontrolle und zur Risikoabschätzung, sowie die Entwicklung adoptiver Immuntherapien. Statt einer Impfung werden hierbei spezifische Abwehrzellen transferiert.
Bildrechte: MHH/ Nico Herzog
Prof. Ralf Bartenschlager begutachtet Proben
Professor Ralf Bartenschlager, Leiter der Molekularen Virologie, Uniklinikum Heidelberg
Ralf Bartenschlager arbeitet auf dem Gebiet der molekularen Virologie der Flaviviridae. Er erforscht die Wirt-Pathogen-Interaktion mit einem besonderen Fokus auf die Immunantwort gegen das Pathogen, die Biologie des Replikationszyklus von Flaviviren, die Erforschung neuer antiviraler Wirkstoffe/-konzepte sowie die Pathogenese hepatotroper Viren, insbesondere der Assoziation der Hepatitis-Virus-Infektion mit dem Leberkarzinom.
Bildrechte: Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Dr. Sandra Ciesek
Professorin Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Uniklinikum Frankfurt
Sandra Cieseks Forschungsschwerpunkte sind neue Therapieformen für Hepatitis C und die Suche nach Medikamenten gegen COVID-19. Seit 2020 ist sie maßgeblich an der Forschung zum Coronavirus beteiligt. Mit ihrem Team gelang ihr im Februar 2020 der Nachweis, dass auch symptomfreie Personen Überträger des Virus sein können. Seit September 2020 ist sie abwechselnd mit Christian Drosten zu Gast im NDR-Podcast Coronavirus-Update und erklärt wissenschaftliche Kontexte zur Pandemie.
Bildrechte: imago images/rheinmainfoto
Prof. Dr. Christian Drosten beim Deutschen Radiopreis im September 2020: Er wurde für seinen Podcast "Coronavirus-Update" geehrt.
Professor Christian Drosten, Direktor des Intituts für Virologie am Charité-Uniklinikum Berlin
Christian Drosten gilt als einer der bekanntesten Experten in der Corona-Pandemie. Er ist Professor, Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin und zugleich Leiter des Fachbereichs Virologie von "Labor Berlin", dem größten Krankenhauslabor Europas. Bereits im Jahr 2003 erhielt er einen Preis der Werner-Otto-Stiftung zur Förderung des medizinischen Nachwuchses für die "Identifizierung des SARS-Coronavirus und Etablierung eines schnellen diagnostischen Testsystems". Während der Corona-Pandemie wurde Drosten ein gefragter Experte und wissenschaftlicher Berater der Bundes- sowie der Landesregierungen. Er erhielt im Jahr 2020 mehrere Auszeichnungen zu seiner Wissenschaftskommunikation und seiner Forschung.
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Porträtfoto des Virologen Professor Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen
Professor Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Uniklinikum Erlangen
Klaus Überla ist neben seiner Arbeit am Virologischen Institut Erster Prodekan der Medizinischen Fakultät der Erlanger Universität und Mitglied in der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut. In der STIKO wirkt er zudem in der Arbeitsgruppe zur Covid-19-Impfung mit. Er forscht in einem Verbundprojekt an der Gewinnung humaner neutralisierender Antikörper gegen SARS-CoV-2.
Bildrechte: F. Männel / Uniklinikum Erlangen
Prof. Isabella Eckerle
Professorin Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für neuartige Viruserkrankungen an der Uniklinik Genf / Schweiz
Isabella Eckerle ist Virologin und forscht zu Zelllinien. In der Corona-Pandemie untersucht sie die unterschiedlichen Reaktionen von Erwachsenen und Kindern, insbesondere das Vorhandensein von Coronaviren in den oberen Atemwegen von Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen. Eckerle fand mit ihrer Forschung heraus, dass Kinder zwar leichter erkranken aber genauso infektiös wie Erwachsene sein können. Aktuell untersucht sie mit ihrem Team die Reaktion des Lungenepithels auf eine Corona-Infektion. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, diagnostische Richtlinien zu erstellen. Damit wäre für Ärzte und Pflegepersonal leichter möglich zu erkennen, ob die Patienten leicht oder schwer erkrankt sind.
Bildrechte: Isabella Eckerle
Prof. Dr. John Ziebuhr
Professor John Ziebuhr, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Gießen
John Ziebuhr forscht unter anderem am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung zu neu auftretenden Infektionskrankheiten. Dabei hat er sich auf die Identifizierung von unbekannten Pathogenen und das Ausbruchsmanagement sowie die Entwicklung von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten spezialisiert. Mit seinem Team sowie mit Forschenden aus Marburg und Russland hat er mögliche neue Therapieansätze entdeckt. Offenbar kann ein spezielles Enzym dem Corona-Erreger zum Verhängnis werden.
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Prof. Dr. med. Thomas Stamminger
Professor Thomas Stamminger, Ärztlicher Direktor Uniklinikum Ulm
Thomas Stamminger ist seit August 2020 Erster Vizepräsident der Gesellschaft für Virologie e.V. (GfV). In seiner Forschung beschäftigt sich Stamminger mit einem wichtigen humanpathogenen Virus, dem humanen Cytomegalovirus (HCMV). Dabei handelt es sich um ein weit verbreitetes Herpesvirus, das bei etwa 40 Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung Infektionen hervorruft.
Bildrechte: Universitätsklinikum Ulm
Ein Porträt von Prof. Dr. Ulf Dittmer
Professor Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie, Uniklinikum Essen
Ulf Dittmer forscht zur Immunabwehr von Viren sowie zu chronischen Virusinfektionen. Dabei geht es u.a. um die Suche nach Impfstoffen und Immuntherapien gegen humanpathogene Retroviren, wie HTLV und HIV.
Bildrechte: Universitätsklinikum Essen
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Können wir trotz Impfung die Viren in uns tragen und nicht geimpfte Personen anstecken? Gibt es dazu Studien? (Erika B.)

Ulf Dittmer: Das ist eine sehr wichtige Frage. Wenn wir mit einem Impfstoff vor Infektionen schützen können, verändert sich, wie wir mit der Pandemie umgehen können. Die ersten Daten, die wir für die Impfstoffe hatten, bezogen sich auf den Schutz vor [symptomatischer] Erkrankung. Erst jetzt sehen wir die ersten Daten zur Frage: Schützen die Impfstoffe auch vor Infektionen? Offenbar tun sie das sehr gut: Verschiedene Studien zeigen zwischen 65 und 85 Prozent Schutz vor Infektionen, das sind Daten aus Israel und aus England. Das ist sehr wichtig, weil die Menschen, die vor Infektionen geschützt sind, das Virus nicht mehr übertragen können. Das gilt auch für die englische Mutante [B.1.1.7], die Daten dazu sind erhoben. Es mag aber sein, dass der Schutz vor Infektionen bei anderen Mutanten nicht so gut ist. Es gibt Mutanten [B.1.351 oder P.1], die der Immunantwort besser aus dem Weg gehen können als das englische Virus. Und da könnte es sein, dass wir trotz gutem Schutz vor Erkrankung keinen so guten Schutz vor Infektionen sehen werden. Aber diese Daten fehlen noch.

Ralf Bartenschlager: Wir arbeiten gerade an einem Ausbruchsfall in einem Pflegeheim. Dort waren auf einer Station fast alle Bewohnerinnen und Bewohner geimpft. Bei 18 Geimpften haben wir Coronavirus-Infektionen nachgewiesen. Das ist eine besondere Patient/-innengruppe: Alte Bewohnerinnen und Bewohner in dem Pflegeheim sind häufig auch dement. Aber es zeigt, dass man die Vorsicht und die Kontaktreduktionsmaßnahmen weiter aufrechterhalten muss, um Risikopersonen zu schützen. Das Gute an der Situation: Die meisten der Infizierten haben bis jetzt keine schweren Symptome entwickelt. Das wäre in dieser Personengruppe eigentlich zu erwarten gewesen. Wir wissen allerdings auch noch nicht, inwieweit die Geimpften das Virus weitergeben. Das können wir aus dieser Situation nicht konkret ableiten. Aber wir wissen, dass die Geimpften erneut Infektionen durchmachen können. Insofern ist es für die Herden- oder die Bevölkerungsimmunität eine Einschränkung, die wir zumindest in bestimmten Risikogruppen sehen.

Isabell Eckerle: Die Frage ist, welche Viruslasten diese Geimpften tatsächlich haben. Man kann die Virusmenge auf dem Abstrich im Labor quantifizieren. Wenn sie unter einem gewissen Schwellenwert liegt, kann man davon ausgehen, dass diese Patientinnen und Patienten wahrscheinlich nicht stark zur Übertragung beitragen. Das ist eine ganz wichtige Frage, die man untersuchen muss: Welche Viruslasten erreichen die Geimpften und wie lange scheiden sie das Virus aus? Für natürlich Infizierte gibt es inzwischen sehr gute Daten. Da weiß man ziemlich genau, wie hoch die Viruslasten sind und wann man mit infektiösen Viren rechnen muss. Diese Daten fehlen noch für die Geimpften. Erste Tendenz: Wahrscheinlich haben sie niedrigere Viruslasten.

Thomas Schulz: Man könnte es sogar als positiven Aspekt sehen: Wenn man noch infiziert werden kann, das Virus aber nicht mehr effizient weitergibt und vor allem nicht mehr krank wird, dann hilft es vielleicht, die eigene Immunität, die initial durch den Impfstoff erzeugt wurde, regelmäßig zu boostern.

Wir versuchen derzeit immer noch, Covid-19 nebst Mutationen zu bekämpfen. Wie wahrscheinlich ist es, dass man in Kürze Covid-20 und Covid-21 entdeckt? Sollten wir nicht vorsichtshalber die Gesundheitsämter verstärken und die Krankenhauskapazitäten verdreifachen? (Thomas Mittelstädt, Freiberg)

John Ziebuhr: Das ist eine sehr komplexe Frage, die man nicht in wenigen Worten beantworten kann. Vorweg: Covid-19 ist eine Krankheitsbezeichnung von der WHO für ein sehr diverses Krankheitsbild. Wir haben sehr viele asymptomatische Fälle bis hin zu extrem schweren Verläufen und vielen Todesfällen. Man hat sich mit der Namensgebung Covid-19 darauf festgelegt, dass man damit rechnet, dass es in der Zukunft noch weitere Coronaviren gibt, neue andere Coronaviren, die vielleicht gar nicht so ähnlich sind wie das jetzige Coronavirus. Man hat einen sehr allgemeingültigen Namen gefunden, den man jederzeit anpassen kann. Ich glaube nicht, dass es zu Ausbrüchen mit einer Bezeichnung wie etwa "Covid-20" oder "Covid-21" kommt. Also wenn, dann wahrscheinlich eher mal "Covid-30" oder "Covid-35".

Wir sehen ja, dass wir in den letzten Jahren häufiger Coronavirus-Infektionen gehabt haben. 2003 ging es los, dass wir die erste Gefahr einer Pandemie hatten. Und zwischendurch kam das Mers-Coronavirus, was uns daran erinnert, dass wir durchaus mit Viren dieser Familie rechnen müssen. Sie werden uns auch in der Zukunft Sorgen machen, aber das gilt ganz allgemein für Viren, die da immer wieder aus bestimmten tierischen Reservoirs kommen.

Die jetzige Situation hat es eigentlich klargemacht, wie wichtig die Gesundheitsämter sind und dass sie sehr viele Aufgaben haben. Das möchte ich nicht einschränken auf die jetzige Pandemiebekämpfung, wo sie von zentraler Bedeutung sind. Die werden auch wichtig sein in der Zukunft, um einen Beitrag zu leisten, auch bei anderen infektiologischen Fragestellungen. Wir haben vielleicht in den letzten Jahren bei Infektionskrankheiten häufiger den Eindruck erweckt: Das ist alles im Griff, wir haben da keine Probleme. Aber wir sehen jetzt an Antibiotikaresistenzen und dem Auftreten von multiresistenten Erregern, dass es da massive Probleme in der nächsten Zukunft zu lösen gilt. Und da können nicht nur die Gesundheitsämter, sondern auch zentrale Gesundheitsbehörden eine wichtige Rolle spielen.

Krankenhauskapazitäten verdreifachen: Es ist ganz klar, dass eine unbegrenzte Kostenoptimierung der Krankenversorgung irgendwann an ihre Grenzen stößt, weil wir dann einfach keine Reserven mehr haben, um unsere Kapazität in dem Moment zu steigern, in dem sie massiv gefordert ist. Speziell brauchen wir Fachpersonal, was sowohl intensivmedizinisch als auch infektiologisch sehr gut qualifiziert ist. Wir haben da seit vielen Jahren speziell in der Pflege große Probleme. Das wird also nicht so einfach möglich sein, da ein entsprechendes Personal zu rekrutieren.

Aber ich warne auch vor der Idee, dass man mit einer Verdopplung oder gar Verdreifachung eine pandemische Situation in den Griff bekommen kann. Wenn man nicht vorher wirklich massiv die Zahlen der Patientinnen und Patienten reduziert, die in die Nähe von Intensivstation kommen, dann wird jedes Gesundheitssystem nicht mehr Herr der Lage bleiben können. Wir müssen vorher eingreifen und die Zahlen reduzieren.

Muss man auch nach der Zweitimpfung mit Astrazeneca auf Symptome, welche auf eine Hirnvenenthrombose hindeuten können, achten? Oder betrifft dies "nur" die Erstimpfung? (Ramona Wiedemann, Heidelberg)

Sandra Ciesek: Das ist schwierig zu beantworten, weil wir noch wenig Erfahrung mit dem Impfstoff haben. Die zweite Impfung erfolgt erst nach zwölf Wochen [Anm. MDR WISSEN: Der Abstand zwischen erster und zweiter Impfung ist bei Astrazeneca auf drei Monate verlängert worden, nachdem Versuche gezeigt haben, dass die Schutzwirkung so am höchsten ist]. Diese Zeit ist noch nicht um. Deshalb können wir noch nicht ausreichend beurteilen, ob diese seltene Nebenwirkung auch nach der zweiten Impfung auftreten kann. Man sieht sie ja erst jetzt, wo man den Impfstoff häufig genug angewendet hat.

Was man als Ärztin sagen muss: Wenn Sie nach einer Impfung – egal mit welchem Impfstoff – noch nach Tagen stärkste Kopfschmerzen haben, Medikamente nicht helfen oder wenn Sie Einblutungen in der Haut haben, sogenannte Petechien, dann sollten Sie so oder so zum Arzt gehen und das abklären lassen. Da können ganz unterschiedliche Erkrankungen dahinterstecken.

Das Gemeine an dem Virus Sars-CoV-2 ist ja, dass Erkrankte bereits vor Ausbruch der Symptome ansteckend sind. Ist das bei anderen Viruserkrankungen ebenso oder ist dies eine spezielle Eigenschaft des neuen Virus? (Werner Linde, Jena)

Isabella Eckerle: Das ist keine besondere Eigenschaft von Sars-CoV-2, viele Viren haben das. Aus Sicht des Virus hat das einen bedeutenden Vorteil. Wer nicht erkrankt, geht seinem täglichen Leben nach, trifft weiterhin auf andere Menschen. Dadurch ist die Übertragung dieses Virus gesichert. Man weiß das gut von der Influenza. Bei Kindern beobachtet man das oft, dass sie Viren tragen und ausscheiden, ohne krank zu werden. Ein weiteres Beispiel sind die Masern. Schon Tage, bevor Kinder oder Erwachsene krank werden und den Hautausschlag bekommen, können sie das Virus sehr gut übertragen. Aber auch bei anderen Atemwegserregern weiß man das. Würde man eine Gruppe von gesunden Menschen durchtesten, würde man solche Erreger in den Atemwegen finden. Insofern ist Sars-CoV-2 kein ungewöhnliches Virus. Das ist eine Strategie, die einen evolutionären Vorteil sozusagen darstellt. Je fitter der Wirt, desto besser kann das Virus übertragen werden.

Thomas Schulz: Wie war das beim ersten Sars-Virus von 2003, wie war es bei Mers? Da war das etwas anders. Erklärt das die unterschiedliche Epidemiologie?

Christian Drosten: Vergleicht man Sars-1 und Sars-2 – das sind zwar nicht die offiziellen Namen, aber wir nennen das jetzt einfach mal so – dann sieht man den Unterschied deutlich: Sars-1 musste direkt in die Lunge, um eine Infektion zu setzen und sich zu vermehren. In der Lunge ist ganz viel Immungewebe. Das, was uns das Krankheitsgefühl vermittelt, ist eigentlich unsere Immunreaktion auf das Virus. Wir haben also eine Lungenentzündung, die sofort losgeht, wir fühlen uns praktisch augenblicklich krank, wenn das Virus in der Lunge repliziert. Dann aber braucht es einige Zeit, um zu einer Konzentration anzuwachsen, die infektiös wird. Dazu muss man das Virus noch ausatmen. Der Weg vom Lungenbläschen an die Luft ist ganz schön lang.

Das ist bei Sars-2 anders: Das Virus landet im Rachen und fängt gleich an, zu replizieren. Da fühlen wir uns noch nicht krank, höchstens ein bisschen Kratzen im Hals oder beginnende Halsschmerzen. Dabei stellt es aber im Rachen eine wahnsinnige Viruskonzentration her, die gleich weitergegeben wird. Wir gehen in die Straßenbahn und sprechen mit irgendwem und ohne, dass wir uns selbst krank fühlen, fliegt das Virus zu diesem nächsten Menschen. Und da muss es auch nicht wieder bis in Lunge – das ist ja ein relativ großer Aufwand für so ein Virus, so weit runter zu kommen, da muss man schön tief einatmen, das macht man nicht die ganze Zeit – sondern es reicht auch da wieder, wenn es im Rachen landet. Das ist eben der Grund dafür, dass dieses Sars-2-Virus viel besser übertragbar ist. Das ist sozusagen, was ein Virus eigentlich will. Natürlich haben Viren keinen Willen, sondern es ist Ergebnis einer Evolution.

Besteht die Gefahr, dass das Corona Virus zu einer Form mutiert, die nicht mehr vom Immunsystem erkannt werden kann oder schlechter erkannt wird – also gewissermaßen eine Resistenz gegen unser Immunsystem entwickelt? Ähnlich wie Resistenzen, die es gegen Antibiotika, Herbizide und Pestizide gibt? (Hermann Schmidt, Hamburg)

Ralf Bartenschlager: Dass ein Virus sich so entwickelt, dass es vom Immunsystem überhaupt nicht mehr erkannt wird, ist extrem unwahrscheinlich und fast ausgeschlossen. Es kann natürlich sein, dass die Immunantwort eher schwach ausfällt und das Virus nicht wirklich gut kontrolliert wird und beispielsweise eine chronische Erkrankung erzeugt. Aber das Immunsystem springt selbst auch in diesen Fällen an. Das muss man von Resistenzen gegen Antibiotika oder Herbizide unterscheiden. Das Letztgenannte ist eine Selektion auf Varianten, die einer bestimmten Chemotherapie entkommen. Das erste ist eine Selektion auf Viren, die der Immunantwort entkommen.

Dass es solche sogenannten Escape-Mutanten gibt, sehen wir aber jetzt schon. Ein Beispiel ist die Variante, die das erste Mal in Südafrika beschrieben wurde. Dort binden bestimmte Antikörper, die für die Therapie vorgesehen waren, an diese Variante deutlich schlechter bis gar nicht mehr. Man sieht auch, dass die Neutralisation im Serum von Geimpften oder Genesenen gegen diese Virusvarianten schlechter ist. Die große Frage ist: Wie weit wird sich das entwickeln? Wie viele Freiheitsgrade hat das Virus, um dem Immunsystem zu entkommen? Sind wir quasi jetzt schon am Ende? Oder wird es weitere Varianten geben, die einen noch stärkeren Immun-Escape [dt. Immunflucht, Anm. d. Red.] vermitteln?

Ich selbst bin da im Moment eher verhalten optimistisch. Bisher haben wir keine Hinweise darauf, dass es noch viel mehr Escape-Varianten gibt. Auch wenn man im Labor eine Selektion auf Varianten stark forciert, die dem Immunsystem und den Antikörper-Antworten entkommen, hat man bisher keine Varianten gefunden, die über das hinausgehen, was schon bekannt ist. Das bedeutet zwar nicht, dass es die nicht noch geben kann. Vielleicht dauert das einfach länger. Im Moment kann man noch keine Prognose machen.

Können Sie bitte erklären, was "adaptive Immunflucht" bedeutet und ob so etwas in Zusammenhang mit den massenhaften Covid-Impfungen möglich sein könnte? (Britta Jansen, Mönchengladbach)

Klaus Überla: Wenn ein Großteil der Bevölkerung infiziert war, haben Virusvarianten einen Vorteil, die den bestehenden Immunantworten entkommen können. Das tritt erst zu dem Zeitpunkt auf, in dem ein Großteil der Bevölkerung entweder durch Impfung oder eben auch durch natürliche Infektion eine Immunantwort aufgebaut hat. Es gibt den Verdacht, dass das in Brasilien passiert ist. Allerdings gibt es da kein komplettes Entkommen. Wir haben verschiedene Mechanismen in unserem Immunsystem, mit denen wir die Virusvermehrung unterdrücken können. In der Öffentlichkeit liegt der Fokus sehr stark auf Antikörpern, die spielen sicherlich eine wichtige Rolle. Aber es gibt auch noch einen anderen Arm des Immunsystems, die sogenannten T-Zellen. Das sind Zellen unsere Abwehrsystems, die über komplett andere Mechanismen funktionieren. Für die haben wir bisher noch keine Hinweise, dass da auch ein Escape stattfindet.

Kann man anhand der aktuellen Datenlage eine Einschätzung vornehmen, ob sich P.1 ob der kritischen Lage in Brasilien und der Mallorca-Reisenden in Deutschland vermehrt durchsetzen könnte? Wäre eventuell sogar ein Dominieren und damit Verdrängen von B.1.1.7 denkbar? (Kathrin Schönberger)

Isabella Eckerle: Das Bemerkenswerte an den beiden Varianten in Brasilien und Südafrika ist, dass sie dort aufgetreten sind, wo schon eine hohe Grundimmunität durch natürliche Infektion bestand, weil die Mehrheit schon eine Infektion hatte, weil Infektions- und Kontrollmaßnahmen nicht gut funktioniert haben oder weil Wohnverhältnisse die Eindämmung der Pandemie schwergemacht haben und es einfach sehr, sehr viele Infizierte gab. Jetzt scheint es so, als hätten die Varianten vor diesem Hintergrund einen Vorteil.

Es gibt sporadische Nachweise dieser Varianten in Europa. Hier in der Schweiz finden wir die regelmäßig, allerdings nur zu einem sehr geringen Prozentsatz. Und die scheinen auch im Moment nicht zuzunehmen. Wir sehen eine Zunahme von dieser britischen Variante, die in unserer Bevölkerung einen Vorteil hat. Die anderen Varianten sind schon da. Da muss man sich auch nichts vormachen: Wir leben gerade nicht unter den Kontrollmaßnahmen, dass man eine Eintragung dieser Varianten verhindern kann. Wenn die irgendwo sind, werden sie auch eingetragen. Das Wichtige ist, dass man diese Eintragung so gering wie möglich hält. Deswegen gibt es eben auch die Empfehlung, dass Reisen im Moment so wenig wie möglich stattfinden sollten.

Aber die Varianten sind da und vorherzusagen, wie sich das entwickelt, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist, ist sehr schwer.

Wie wahrscheinlich ist das Auftreten einer hochinfektiösen, aber niedrig pathogenen [Krankheiten verursachend, Anm. d. Red] Sars-CoV-2-Variante in den nächsten Monaten oder Jahren? Wie war das bei den alten Coronaviren, die haben uns ja auch irgendwann mal befallen und sind jetzt noch einigermaßen infektiös, machen uns aber nicht mehr so richtig krank. Können wir auf so etwas hoffen, vielleicht nicht in den nächsten Monaten aber in den nächsten Jahren?

John Ziebuhr: Darauf können wir mit Sicherheit hoffen. Alle bekannten Coronaviren, mit denen wir es in den letzten Jahren zu tun hatten, sind alle irgendwann mal in die menschliche Bevölkerung eingetragen worden. Die kommen alle aus Tieren, häufig auch aus Fledermäusen. Da hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein Gleichgewicht hergestellt.

Neugeborene haben natürlich keinen Immunschutz, sie werden sich infizieren. Wir sehen auch bei diesem Erreger, dass Kinder – selbst wenn sie noch keine Immunität haben – trotzdem nicht schwer erkranken und relativ schnell einen Immunschutz aufbauen. Es wird immer wieder eine empfängliche Gruppe geben. Aber es hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein sehr gutes Gleichgewicht eingestellt. Der Großteil der Bevölkerung kommt sehr gut mit Coronaviren klar.

Die Situation jetzt ist wirklich anders: Die Bevölkerung hat keinen Immunschutz und trifft in einem fortgeschrittenen Alter auf dieses Virus. Wenn wir durch Impfung eine Grundimmunität haben und sich das Virus weiterentwickelt, dann werden die Verläufe deutlich weniger schwer sein. Ich denke, das Virus wird langfristig weit verbreitet sein, es wird sich in der Bevölkerung halten, aber – und das hoffen wir alle – in wenigen Jahren haben wir deutlich weniger Probleme mit diesem Virus.

Folgendes Szenario: man liegt aufgrund eines schweren Covid-19-Verlaufs im Krankenhaus und infiziert sich dort mit einer (weiteren) Mutante. Wie wahrscheinlich ist ein solcher Fall und mit welchem weiteren Verlauf ist tendenziell zu rechnen? (Sabine Weingärtner, Göppingen)

Thomas Stamminger: Wenn jemand im Krankenhaus liegt, mit einem schweren Verlauf einer Covid-19-Infektion, dann weiß man, dass die Schwere der Krankheit durch die maximale Aktivierung des Immunsystems zustande kommt. Am Schluss wird die Lunge vor allem durch die Attacke des Immunsystems geschädigt. In so einer Situation sind Bereiche des Immunsystems aktiviert. Solche Patientinnen und Patienten haben hohe Spiegel von Interferon, so dass so eine Superinfektion kaum stattfinden kann. Ich kenne keinen entsprechenden Fall.

Thomas Schulz: Wir haben eigentlich schon Superinfektionen gehabt in Krankenhäusern. Aber ich kenne keinen Fall von einem schweren Verlauf. Sondern es ist einfach eine neue Variante aufgetreten, oft auch nicht mit hoher Viruslast.

Ulf Dittmer: Bei den Superinfektionen, die es in Brasilien gegeben hat, mit der P.1-Mutante – das waren ja Zweitinfektionen. Bei den allermeisten Infektionen ist es nur zu sehr milder Symptomatik gekommen. Schwere Verläufe waren wirklich die Ausnahme.

Thomas Stamminger: Wobei das Infektionen waren, die in zeitlichem Abstand zu der schweren Covid-19-Infektion aufgetreten sind. Das kann man sich vorstellen. Aber dass jemand mit schwerer Infektion im Krankenhaus liegt und dann in dieser Situation eine Superinfektion stattfindet, das halte ich für sehr, sehr unwahrscheinlich.

Woher wissen wir, dass die als Wildtyp bezeichnete Virusvariante das Ursprungsvirus ist und nicht ein bereits mutiertes Coronavirus? (Christine Wiese, Oberkrämer)

Christian Drosten: Wildtyp sagt man häufig im Vergleich zu einer Mutante. Man betrachtet eine bestimmte Variante und nennt alles andere im Vergleich dazu Wildtyp, obwohl damit viele verschiedene Varianten zusammengefasst sind.

Man kann aber sagen: Als diese Epidemie in Wuhan losging, da waren die Viren alle sehr gleichförmig. Man konnte denken, das ist gerade eben erst losgegangen. Jedes Virus, das man sieht, ist eigentlich eine Probe aus einer größeren Ursprungsdiversität, also aus einer Riesen-Wolke von Viren, die irgendwo existiert.

Die Frage ist nur: Wo? In diesem Fall ist die Frage: War sie in einem Menschen oder in einem Tier, in einem Tierreservoir? Weil diese Viren so gleichförmig waren, muss man davon ausgehen, dass die zu der Zeit eigentlich gerade eben beim Menschen angekommen sind. Bis heute ist es nicht dazu gekommen, dass aus dem Nichts eine neue Viruslinie von Sars-2 aufgetaucht ist, die außerhalb der bekannten menschlichen Diversität liegt, so dass man sagen könnte: Da muss in China oder einer anderen Ursprungsregion noch ein anderes Virus im Umlauf gewesen sein, das wir erst jetzt entdecken. Das ist nicht eingetreten. Sondern: Alle Viren, die heute beim Menschen sind, die stammen alle aus dieser einen, punktförmigen Quelle. Wir sagen, das ist alles eine "monophyletische Klade".

Und wir werden vielleicht irgendwann mal in Tieren die nächsten Verwandten von diesem Virus finden (erste Vertreter gibt es sogar schon). Möglicherweise, je mehr Tiere man dann untersucht, wird das vielleicht eine größere Diversität sein als die jetzige Diversität im Menschen. Wir kennen ja schon eine sehr breite Diversität von ähnlichen Coronaviren in Fledermäusen. Und da ordnen sich diese menschlichen Viren in ihrer genetischen Breite jetzt ein.

Auch wenn wir sehr viele Viren aus dem Menschen kennen, ist die genetische Variationsbreite dieser Viren viel geringer als das, was wir schon längst kennen von verwandten Viren in Fledermäusen. Da kommen die Viren her. Die Frage ist eher: Gibt es einen Zwischenwirt? Hat sich das zwischendurch beispielsweise in irgendeiner Nutztierart diversifiziert? Das ist so noch unbekanntes Terrain.

Ist die B.1.1.7 Mutante wirklich gefährlicher? Was ist die Datenlage?

Christian Drosten: Es gibt ein paar Studien, die man sich anschauen kann, drei aus England, eine aus Dänemark. Die drei Studien aus England sind sich ziemlich einig: Wenn man eine positive PCR-Diagnose bekommen hat, dann hat man bei Infektionen mit dem B.1.1.7-Virus ein etwas über sechzig Prozent erhöhtes Risiko, innerhalb von 28 Tagen zu versterben. Natürlich ist das immer noch ein sehr geringes Risiko. Aber es ist erhöht gegenüber den anderen Virusvarianten, die zur selben Zeit in England zirkulierten.

Die Studie in Dänemark hat auf Krankenhausaufnahmen geschaut und die kommt auch zu dem Schluss, dass es ein knapp über sechzig Prozent höheres Risiko gibt, nach einer positiven PCR später ins Krankenhaus zu müssen. Und das ist plausibel. Das Gesundheitssystem in Dänemark unterscheidet sich nicht so sehr von dem in England, so dass man davon ausgehen kann, dass das ein proportionales Verhältnis zwischen Krankenhausaufnahmen und späteren Todesfällen ist. Und weil es in zwei Ländern beobachtet wurde, wo die Virusverteilung und die Epidemie-Situation unterschiedlich waren, muss man das glauben. Das ist jetzt der Stand der Dinge. Egal, ob man sich das mechanistisch erklären kann, aber anscheinend macht dieses Virus auch kränker. Es verbreitet sich nicht nur stärker, sondern macht auch kränker.

Thomas Schulz: Ist das eine inhärente Eigenschaft von dem Virus? Oder hängt es damit zusammen, dass man, wenn man der neuen Variante ausgesetzt wird, eine höhere Viruslast abkriegt?

Christian Drosten: Sowohl in England als auch jetzt in unseren Daten sieht man, dass die Viruslast bei B.1.1.7 einfach höher ist. Ich habe das am Anfang bezweifelt, weil Viren das nicht einfach so machen: Ein paar kleine Mutationen und schon wird deutlich mehr Virus produziert im Menschen. Aber bei diesem Virus scheint es wirklich so zu sein, dass man ungefähr eine Log-Stufe, also etwa Faktor zehn, mehr Virus-Ausscheidung hat.

Wir haben sehr viele Fälle von positiven Diagnosen verglichen und diesen Fällen von Patientinnen und Patienten mit einem ersten positiven PCR-Nachweis von B.1.1.7 jeweils Patientinnen und Patienten gegenübergestellt, die von denselben Kliniken kommen, im ähnlichen Zeitraum, ähnlichen Alters. Und da sehen wir sehr deutlich, dass die eine Log-Stufe Unterschied haben. Und es gibt auch aus England Daten, die genau dasselbe zeigen. Das hat mich sehr überrascht.

Es ist schwierig, das in Laborexperimenten nachzuvollziehen. Hier haben wir wirklich mal eines der Beispiele, wo die Epidemiologie zuerst die harten Befunde liefert und wir dann im Labor der Sache hinterherlaufen. (In der Vergangenheit war das meistens umgekehrt, dass das Labor die harten Fakten liefert und die eher ein bisschen diffusen Daten der Epidemiologie sortiert, nach dem Motto: Wenn man es weiß, dann sieht man es in den Daten. Und jetzt ist es gerade umgekehrt.) Also wir haben klare epidemiologische Daten und suchen jetzt in unseren Laborbefunden nach ähnlichen Signalen.

Ralf Bartenschlager: Die Versuche an Tieren sprechen auch dafür, dass die Virusmenge größer ist. Von einer Mutation im Spikeprotein würde man eigentlich nicht erwarten, dass sie die Vermehrungsfähigkeit erhöht, sondern eher die Fähigkeit, sich besser auszubreiten. Ich glaube, das ist eine Eigenschaft, die man in Zellkulturen nicht gut nachstellen kann. Und deswegen sehen wir da kaum etwas, wenn man nicht die Versuche im Versuchstier macht, wo sich die höhere Virusmenge abzeichnet. Eine höhere Virusmenge bedeutet natürlich automatisch auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Transmission. Ich glaube, das hat eher etwas mit der Verbreitung zu tun, mit der Fähigkeit, sich im Gewebe oder im Organismus auszubreiten als mit der Vermehrungsfähigkeit selbst.

John Ziebuhr: Es gibt auch Hinweise darauf, dass das Virus einfach länger ausgeschieden wird. Wenn man länger infektiös ist und hohe Viruslasten trägt, ist natürlich auch die Gefahr, dass das Virus dann weitergegeben wird, erhöht. Also ich denke, das ist ein weiterer Faktor, der neben der erhöhten Replikation auch noch hinzukommt.

Müssen für die ansteckenderen Mutanten andere Regeln gelten, etwa in Bezug auf das Lüften von Räumen, mit und ohne FFP2-Masken? (Sabine Weingärtner, Lindau)

Ralf Bartenschlager: Das Virus sollte genauso wenig durch eine FFP-Maske fliegen wie der Wildtyp. Bei einer höheren Übertragungswahrscheinlichkeit führen aber Verhaltensfehler sehr viel eher zur Übertragung. Das heißt, wir müssen jetzt die Hygienemaßnahmen viel stärker beachten als in der Vergangenheit.

(mdrwissen)

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