Führende VirologInnen beantworten Ihr Fragen Long-Covid, Impfreihenfolge und die Zukunft der Pandemie: Teil 2

31. März 2021, 11:37 Uhr

Sie haben uns dutzende Fragen zu Sars-CoV-2, den neuen Mutanten und den Impfstoffen geschickt, wir haben sie an Deutschlands führende Virologinnen und Virologen weitergeben. Im Rahmen einer virtuellen Podiumsdiskussion am 26. März, moderiert von Prof. Thomas Schulz, haben sie geantwortet.

Lesen Sie hier alle Fragen und die Antworten der Expertinnen und Experten. (Teil 2)

Colage, die Porträtfotos von acht bekannten deutschen Virologen zeigt. Von links nach rechts: Sandra Ciesek, Thomas Stamminger, Isabella Eckerle, Ulf Dittmer, Klaus Überla, Ralf Bartenschlager, John Ziebuhr und Christian Drosten.
Diese acht Virologen standen Rede und Antwort: Sandra Ciesek, Thomas Stamminger, Isabella Eckerle, Ulf Dittmer, Klaus Überla, Ralf Bartenschlager, John Ziebuhr und Christian Drosten. Bildrechte: MDR Wissen

Bei mir wurde Im Januar SARS-CoV-2 nachgewiesen. Ich hatte leichte grippe-ähnliche Symptome und Geruchs- und Geschmacksverlust. Meine Fragen: Wie lange ist man nach einer Covid-19-Erkrankung immun? Nach wie vielen Monaten könnte ich mich wieder anstecken? Könnte ich mich wieder anstecken, dabei keine Symptome zeigen aber andere Menschen anstecken? Ab wann kann man wieder so gut riechen wie vor der Erkrankung?

Sandra Ciesek: Wie lange man immun ist kann man natürlich nicht sagen. Das ist sehr unterschiedlich von Mensch zu Mensch. Man kann nicht sagen: Sechs Monate ist man immun, nach sechs Monaten und einem Tag kann man sich wieder anstecken. Die Daten zeigen, das ist auch abhängig von der Schwere der Erkrankung, ob man starke Symptome hatte oder nur mild erkrankt. Wenn man Symptome hatte ist man wahrscheinlich sechs Monate oder länger immun. Aber: Durch die Varianten kann sich das ändern, etwa durch die brasilianische Variante.

Thomas Schulz: Eine häufige Frage lautet auch: Wenn man eine Infektion durchgemacht hat, soll man sich dann noch impfen lassen? Braucht es dann nur eine Impfung?

Sandra Ciesek: Die Ständige Impfkommission empfiehlt, dass man eine Impfung nach einem gewissen Intervall macht. Nicht sofort, sondern nach Monaten. Es gibt Daten aus den USA, dass nach einer Infektion eine einmalige Impfung zu einem ordentlichen Booster-Effekt führt. Vielleicht da brauchen wir noch besser kontrollierte Studien braucht man nur eine Auffrischungsimpfung.

Ulf Dittmer: Das ist die Empfehlung der STIKO: [Nach einer Infektion] sechs Monate warten und dann eine Impfung. Im Zweifelsfall könnte man vorher Antikörper bestimmen, um zu gucken, ob man noch eine Antikörper-Antwort hat. Aber wir wissen im Moment natürlich noch nicht: Wieviel Antikörper muss man haben, dass man noch geschützt ist?

Ralf Bartenschlager: Die Empfehlung der STIKO basiert auf den Beobachtungen, dass die Immunantworten in den ersten sechs bis acht Monaten nicht sehr stark abfallen. Und das gibt einem dann die Zuversicht, dass danach eine Impfung sinnvoll ist. Man sieht den raschen Anstieg der Immunantworten, die Frau Ciesek schon beschrieben hat. Und ein Aspekt ist natürlich im Moment, dass wir bei knappen Impfstoffen die besonders gefährdeten Personen bevorzugt impfen wollen. So dass es im Moment sinnvoller ist, solche Leute zu impfen, die noch überhaupt keine Infektion durchgemacht haben oder noch keine Impfung bekommen haben.

Thomas Schulz: Wie wird das in der Schweiz gehandhabt?

Isabella Eckerle: Da ist es im Moment auch so, dass wir gerade anfangen zu impfen. Bei uns in der Klinik werden auch die Personen, die es durchgemacht haben, nach einem Intervall geimpft, weil man eben auch jetzt diese ersten Daten aus den USA hat, die ganz zuverlässig zeigen, dass das als Booster ausreichend ist.

Ulf Dittmer: Wir haben Patienten in China verfolgt, die als erste weltweit infiziert waren. Wenn sie Symptome hatten ist die Antikörper-Antwort wirklich sehr stabil über Monate. Wenn sie völlig symptomlos waren, dann ist die Menge der Antikörper sowieso schon niedriger und tatsächlich fallen dieser Antikörper-Antworten schneller ab, als das bei symptomatischen Menschen ist. Das ist also ein Unterschied auf den man achten müsste, wenn es darum geht: Wann sollte man sich impfen lassen?

Ralf Bartenschlager: Aber man sieht auch, dass Leute aufgrund ihrer durchgemachten Infektion sehr rasch auf eine erneute Infektion reagieren. Und damit sind auch die Konsequenzen, die Schwere des Verlaufes, vermutlich sehr viel leichter. Wir kennen sehr wenige schwere Verläufe bei Reinfektionen bisher.

Thomas Stamminger: Es gibt auch größere epidemiologische Studien, mit bis zu 10.000 Personen, da hat man nach eine Infektion geschaut und wird innerhalb von sechs Monaten nur bei wirklich ganz, ganz wenigen Menschen Reinfektionen finden. Das weist daraufhin, dass eine Infektion mit dem Wildtyp-Virus einen Schutz vor einer erneuten Infektion vermitteln kann, also überhaupt die Möglichkeit, ein positives PCR-Testergebnis zu bekommen.

Diese Virologen diskutieren über Auswege aus der Pandemie

Prof. Dr. med. Thomas Schulz
Moderator: Professor Thomas Schulz, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Hannover
Thomas Schulz forscht in Hannover zu Infektionen bei immungeschwächten Patienten, die viralen Infektionen oft mit wenig Schutz ausgesetzt sind. Er arbeitet an der Entwicklung neuer antiviraler Wirkstoffe und vorbeugender und therapeutischer Impfungen. Weitere Schwerpunkte des Wissenschaftlers sind die Analyse von Biomarkern zur Infektionskontrolle und zur Risikoabschätzung, sowie die Entwicklung adoptiver Immuntherapien. Statt einer Impfung werden hierbei spezifische Abwehrzellen transferiert.
Bildrechte: MHH/ Nico Herzog
Prof. Dr. med. Thomas Schulz
Moderator: Professor Thomas Schulz, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Hannover
Thomas Schulz forscht in Hannover zu Infektionen bei immungeschwächten Patienten, die viralen Infektionen oft mit wenig Schutz ausgesetzt sind. Er arbeitet an der Entwicklung neuer antiviraler Wirkstoffe und vorbeugender und therapeutischer Impfungen. Weitere Schwerpunkte des Wissenschaftlers sind die Analyse von Biomarkern zur Infektionskontrolle und zur Risikoabschätzung, sowie die Entwicklung adoptiver Immuntherapien. Statt einer Impfung werden hierbei spezifische Abwehrzellen transferiert.
Bildrechte: MHH/ Nico Herzog
Prof. Ralf Bartenschlager begutachtet Proben
Professor Ralf Bartenschlager, Leiter der Molekularen Virologie, Uniklinikum Heidelberg
Ralf Bartenschlager arbeitet auf dem Gebiet der molekularen Virologie der Flaviviridae. Er erforscht die Wirt-Pathogen-Interaktion mit einem besonderen Fokus auf die Immunantwort gegen das Pathogen, die Biologie des Replikationszyklus von Flaviviren, die Erforschung neuer antiviraler Wirkstoffe/-konzepte sowie die Pathogenese hepatotroper Viren, insbesondere der Assoziation der Hepatitis-Virus-Infektion mit dem Leberkarzinom.
Bildrechte: Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Dr. Sandra Ciesek
Professorin Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Uniklinikum Frankfurt
Sandra Cieseks Forschungsschwerpunkte sind neue Therapieformen für Hepatitis C und die Suche nach Medikamenten gegen COVID-19. Seit 2020 ist sie maßgeblich an der Forschung zum Coronavirus beteiligt. Mit ihrem Team gelang ihr im Februar 2020 der Nachweis, dass auch symptomfreie Personen Überträger des Virus sein können. Seit September 2020 ist sie abwechselnd mit Christian Drosten zu Gast im NDR-Podcast Coronavirus-Update und erklärt wissenschaftliche Kontexte zur Pandemie.
Bildrechte: imago images/rheinmainfoto
Prof. Dr. Christian Drosten beim Deutschen Radiopreis im September 2020: Er wurde für seinen Podcast "Coronavirus-Update" geehrt.
Professor Christian Drosten, Direktor des Intituts für Virologie am Charité-Uniklinikum Berlin
Christian Drosten gilt als einer der bekanntesten Experten in der Corona-Pandemie. Er ist Professor, Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin und zugleich Leiter des Fachbereichs Virologie von "Labor Berlin", dem größten Krankenhauslabor Europas. Bereits im Jahr 2003 erhielt er einen Preis der Werner-Otto-Stiftung zur Förderung des medizinischen Nachwuchses für die "Identifizierung des SARS-Coronavirus und Etablierung eines schnellen diagnostischen Testsystems". Während der Corona-Pandemie wurde Drosten ein gefragter Experte und wissenschaftlicher Berater der Bundes- sowie der Landesregierungen. Er erhielt im Jahr 2020 mehrere Auszeichnungen zu seiner Wissenschaftskommunikation und seiner Forschung.
Bildrechte: imago images / xim.gs
Porträtfoto des Virologen Professor Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen
Professor Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Uniklinikum Erlangen
Klaus Überla ist neben seiner Arbeit am Virologischen Institut Erster Prodekan der Medizinischen Fakultät der Erlanger Universität und Mitglied in der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut. In der STIKO wirkt er zudem in der Arbeitsgruppe zur Covid-19-Impfung mit. Er forscht in einem Verbundprojekt an der Gewinnung humaner neutralisierender Antikörper gegen SARS-CoV-2.
Bildrechte: F. Männel / Uniklinikum Erlangen
Prof. Isabella Eckerle
Professorin Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für neuartige Viruserkrankungen an der Uniklinik Genf / Schweiz
Isabella Eckerle ist Virologin und forscht zu Zelllinien. In der Corona-Pandemie untersucht sie die unterschiedlichen Reaktionen von Erwachsenen und Kindern, insbesondere das Vorhandensein von Coronaviren in den oberen Atemwegen von Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen. Eckerle fand mit ihrer Forschung heraus, dass Kinder zwar leichter erkranken aber genauso infektiös wie Erwachsene sein können. Aktuell untersucht sie mit ihrem Team die Reaktion des Lungenepithels auf eine Corona-Infektion. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, diagnostische Richtlinien zu erstellen. Damit wäre für Ärzte und Pflegepersonal leichter möglich zu erkennen, ob die Patienten leicht oder schwer erkrankt sind.
Bildrechte: Isabella Eckerle
Prof. Dr. John Ziebuhr
Professor John Ziebuhr, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Gießen
John Ziebuhr forscht unter anderem am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung zu neu auftretenden Infektionskrankheiten. Dabei hat er sich auf die Identifizierung von unbekannten Pathogenen und das Ausbruchsmanagement sowie die Entwicklung von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten spezialisiert. Mit seinem Team sowie mit Forschenden aus Marburg und Russland hat er mögliche neue Therapieansätze entdeckt. Offenbar kann ein spezielles Enzym dem Corona-Erreger zum Verhängnis werden.
Bildrechte: JLU / Rolf K. Wegst
Prof. Dr. med. Thomas Stamminger
Professor Thomas Stamminger, Ärztlicher Direktor Uniklinikum Ulm
Thomas Stamminger ist seit August 2020 Erster Vizepräsident der Gesellschaft für Virologie e.V. (GfV). In seiner Forschung beschäftigt sich Stamminger mit einem wichtigen humanpathogenen Virus, dem humanen Cytomegalovirus (HCMV). Dabei handelt es sich um ein weit verbreitetes Herpesvirus, das bei etwa 40 Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung Infektionen hervorruft.
Bildrechte: Universitätsklinikum Ulm
Ein Porträt von Prof. Dr. Ulf Dittmer
Professor Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie, Uniklinikum Essen
Ulf Dittmer forscht zur Immunabwehr von Viren sowie zu chronischen Virusinfektionen. Dabei geht es u.a. um die Suche nach Impfstoffen und Immuntherapien gegen humanpathogene Retroviren, wie HTLV und HIV.
Bildrechte: Universitätsklinikum Essen
Alle (9) Bilder anzeigen

Wie sich nun zeigt, gibt es 2 Formen von Covid-19: Eine akute und eine chronische Form (Long-Covid). Stimmt das? Vor der chronischen Form wird zu wenig gewarnt, wird hier in Deutschland daran geforscht? (Alexander Merz)

Ralf Bartenschlager: Es gibt in der Tat ein sogenanntes Long-Covid-Syndrom, was bedeutet, dass Symptome auch bei einer relativ milden Infektion sehr, sehr lange anhalten, beispielsweise Kurzatmigkeit, bedingt durch eine Einschränkung des Lungenvolumens, was natürlich auch einhergeht mit Erschöpfungserscheinungen. Das ist ein Phänomen, das man bisher noch nicht allzu gut versteht. Es könnte etwas damit zu tun haben, dass bei einem gewissen Teil der Personen wohl das Virus auch die Darmzellen infiziert und dort eine Art chronische oder zumindest persistierende Infektion macht, die weit über die Primärinfektion hinausgehen kann, und dass dabei vielleicht auch Virusbestandteile entstehen, die dann eben zu diesem Long-Covid-Syndrom beitragen

Wie lang man dieses Long-Covid-Syndrom nach einer Infektion hat, kann sehr unterschiedlich sein. Es kann bis zu drei Monate gehen, nach einer durchgemachten Infektionen. Das betrifft glaube ich so ein bis zwei Prozent der Fälle. Es kann auch sehr aggressiv verlaufen, bis hin eben auch zu ausgeprägten Lungenfibrosen. Das ist sicherlich ein Erkrankungsbild, was uns in der Zukunft noch beschäftigen wird.

Ob daran geforscht wird? Ja, es gibt eine ganze Reihe von Arbeitsgruppen und Personen hier in Deutschland, die an verschiedensten Aspekten von Long-Covid arbeiten. Zum einen an den klinischen Aspekten, aber auch an den Aspekten, was der Mechanismus ist, der dahinter steckt. Um eben diese Long-Covid-Symptomatik besser therapieren zu können und zu verstehen, aus der der Haupttreiber dahinter ist.

Viele Wissenschaftler befürchten derzeit, dass ein Teil der Long-Covid-Betroffenen an ME/CFS leiden könnte. Virusinfekte waren schon vor der Pandemie als häufigste Trigger von ME/CFS bekannt. Obwohl die Erkrankung schon heute nicht selten ist und zu einem hohen Grad an Behinderung führt, gibt es bislang keinerlei wirksame präventive oder therapeutische Ansätze. Muss und wird sich die Virologie in Zukunft intensiver mit dem Thema ME/CFS befassen? (Daniel Loy)

Isabella Eckerle: Das ist eine ganz interessante Frage. Dieses Krankheitsbild kennt man ja schon sehr lange, es wurde schon mit verschiedenen Viren assoziiert. Aber man tappt noch sehr im Dunkeln. Man hat wenig biologische Fakten bei den Patienten, oft ist es eine Ausschlussdiagnose. Es gibt eine Überlappung mit psychosomatischen Krankheitsbildern, mit anderen Erkrankungen. Das kann sowohl für den Arzt als auch für den Patienten sehr frustrierend sein, weil diese Patienten oft keine gute Anlaufstelle haben. Wen man es positiv sieht, wird sich die Forschung da dran verbessern durch das Sars-Coronavirus.

Das Interessante ist, dass wir jetzt einen neuen Krankheitserreger haben, den man mit diesem Krankheitsbild assoziieren kann. Das ist vorher sehr schwer gewesen, weil man nicht wusste, welchen Infekt ein betroffener Mensch vor Monaten oder vor Jahren hatte, welches zirkulierende Virus das war.

Und ich glaube daher, dass das jetzt eine Chance ist. Wir hatten auch bei uns an der Klinik direkt nach der ersten Welle eine Post-Covid-Sprechstunde eingeführt, die sehr intensiv wahrgenommen wurde. Man versucht das zu verstehen. Es gibt zum Beispiel erste Daten, dass die Impfung bei diesen Patienten zur Besserung führen kann. Ich glaube, da hat man noch ein ganz großes Forschungsfeld vor sich, wo man in den nächsten Jahren noch sicher viele neue Erkenntnisse gewinnen wird.

Thomas Stamminger: Wobei man sagen muss: Es gibt echte Langzeitschäden, die durch die vom Virus verursachte Gewebeschädigung hervorgerufen werden. Das ist ein Teil, der mit zu der Symptomatik Long-Covid beiträgt. Aber dann gibt es auch Patienten, bei denen man kaum Veränderungen im Lungengewebe sieht und die trotzdem massive Beschwerden aufweisen. Das ist, glaube ich, die wirkliche Problem-Gruppe, weil man momentan noch keinen guten Ansatz hat, wie man die behandeln kann.

Ulf Dittmer: Es gibt inzwischen an fast allen deutschen Unikliniken Sprechstunden für dieses Problem. Wer Long-Covid-Probleme hat, sollte sich dahin wenden, weil das ansonsten eine Odyssee durch Arztpraxen werden kann. Da sollte man sich unbedingt kompetente Hilfe holen.

John Ziebuhr: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir hier gerade machen: Wenn es um die Einschätzung geht, wie gefährlich das Virus ist, wird häufig von Todesraten gesprochen und von schweren Erkrankungen. Aber natürlich gibt es auch viele Patienten im mittleren Alter zwischen 40 und 60, die die Erkrankungen einigermaßen gut überleben, dann aber doch Folgeschäden davontragen, die eine sehr langfristige Wirkung haben, vielleicht eine vorgeschädigte Lunge bekommen. Das sollten wir noch viel stärker ins Gesichtsfeld rücken, was die Gefährdung durch diese Virusinfektion angeht.

Ralf Bartenschlager: Dieser eine mögliche Ansatz ist im Moment eher noch eine Spekulation: Dass es irgendwo im Körper ein anhaltendes Virusreservoir gibt, dass man mit einer Impfung beseitigt und damit zumindest einen Teil der Beschwerden abstellen kann. Das ist eine sehr interessante Idee, die man verfolgen wird. Wie aber das Virus von der Lunge in den Darm kommt und sich dort über Monate einnistet, das ist für mich persönlich noch ein Rätsel. Aber es könnte wirklich ein Ort sein, wo es weiterhin Schäden macht, obwohl man mit einer Art Diagnostik gar nichts mehr nachweisen kann.

John Ziebuhr: Man kann ja das Virus verschlucken. Dann ist es wahrscheinlich nicht mehr infektiös, aber nachweisbar. Viele andere Coronaviren sind ja bekannt dafür, dass sie im Darm ewig lange nachweisbar sind, gerade bei Tieren wie Katzen und Schweinen. Da sind das gängige Infektionen. Coronaviren sind perfekt darauf ausgerichtet, im Darm zu replizieren. Zwar nicht in hohem Maße, häufig machen sie dann gar keine Symptome, aber das ist schon ein Rückzugsort, den Coronaviren für sich entdeckt haben.

Ralf Bartenschlager: Aber wie können sie nach dem Verschlucken die Zellen infizieren?

John Ziebuhr: Es gibt auf jeden Fall Viren, die die Darmpassage und auch niedrigere pH-Werte [etwa durch die Magensäure] gut überleben und Darminfektion setzen können. Das hat man schon in 60er- und 70er-Jahren häufig beobachtet. Die Menschen waren nicht krank, aber man konnte Coronaviruspartikel im Darm nachweisen. Man hat sich gewundert, was das bedeutet, hat es dann aber ignoriert. Da lohnt sich vielleicht noch mal genauer hinzuschauen.

Wann können wir Kinder in Deutschland mit einem sicheren Impfstoff schützen? (Kristin Florschütz, Schleusingen/Erlau)

Ralf Bartenschlager: Das ist in der Tat eine sehr wichtige Frage. Wenn wir eine Bevölkerungsimmunität aufbauen wollen, dann geht es nicht ohne die Kinder. Und natürlich gibt es auch Kinder, die schwere Vorerkrankungen haben, mit einem sehr hohen Risiko für schwere Erkrankungen.

Prinzipiell gibt es immer die Möglichkeit, Impfstoffe, die für Erwachsene zugelassen sind, außerhalb der Zulassung zu nutzen. Das ist dann eine individuelle Entscheidung der Eltern und des impfenden Arztes, der dafür die Verantwortung übernehmen muss. Da bei den Covid-Impfstoffen keine oder nur sehr wenige Informationen zur Dosierung, zur Wirksamkeit und auch zur Sicherheit in dieser Altersgruppe vorliegen, ist da allerdings größte Zurückhaltung geboten. Deswegen hat die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin auch explizit davon abgeraten, das [die aktuelle zugelassenen Impfstoffe] bei Kindern einzusetzen.

Umso wichtiger ist es, dass wir mehr über die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe und auch Dosierungen bei Kindern lernen. Das haben die Impfstoffhersteller auch explizit auf dem Schirm und haben entsprechende Studien auch schon begonnen. Ich hoffe, dass wir nach den Analysen der Immunantworten in den Kindern und Sicherheitsstudien dann zunehmend immer jüngere Kinder impfen können.

Für einen der Impfstoffe – für den Johnson & Johnson Impfstoff –, gibt es mit derselben Vektor-Technologie schon Erfahrungen von Impfung gegen einen anderen Atemwegserreger. Insofern scheint das schon sehr wahrscheinlich, dass wir hier auch entsprechend sichere und wirksame Impfstoffe für die Kinder bekommen.

Isabella Eckerle: Das Problem sind im Moment die fehlenden Daten. Das hat man auch in anderen Gruppen, beispielsweise bei Schwangeren. Da hat man rein biologisch zwar keinen Grund zur Annahme, warum dieser Impfstoff schädigen sollte oder eben versteckte Nebenwirkungen hat. Aber man hat eben keine Daten. Und man hat jetzt eben dieses Dilemma – bei den Schwangeren mehr als bei den Kindern –, dass man da auch schwerere Krankheitsverläufe sieht.

Bei den Kindern kristallisiert sich das erst so ein bisschen heraus. Primär hatte man gedacht, dass die Erkrankung für die Kinder wirklich gar kein Problem ist. Das ist in den allermeisten Fällen tatsächlich auch so. Aber aus England gibt es jetzt auch Daten, das wohl Kinder, vor allem in so einem jugendlichen Alter, an diesen Long-Covid erkranken können. Und es gibt eben auch seltenere Nebenwirkungen. Und wie wir am Anfang ja erläutert haben, spielen die Kinder auch eine gewisse Rolle im Infektionsgeschehen. Wie groß die jetzt ist, ob die jetzt genauso ist wie Erwachsene oder geringer, darüber kann man sich streiten. Aber sie ist sicher nicht null. Insofern glaube ich, dass die Impfstoffe für Kinder ein ganz wichtiger Schritt sein werden, um dieses Virus tatsächlich komplett einzudämmen. Es wurden mal so Zahlen genannt, Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres, dass man da vielleicht auch schon einen Impfstoff für Kinder hat.

Kann ich, wenn ich mit Astrazeneca geimpft bin, damit rechnen, dass ich bei Bedarf mit einem ja schneller anpassbaren mRNA-Impfstoff eine weitere Impfung/Booster bekomme, um ausreichend geschützt zu werden vor allem vor neuen Mutanten? Und arbeitet Astrazeneca bereits an angepasstem Impfstoff, der dann eingesetzt werden könnte?  (Katinka Kaskeline, Berlin)

Klaus Überla: Persönlich halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass nach einer Astrazeneca-Impfung, gegebenenfalls weitere erforderliche Impfungen dann mit anderen Impfstoffen, zum Beispiel mRNA-Impfstoffen, durchgeführt werden können. Aber auch da brauchen wir eine entsprechende Datenbasis. Die wird gerade in Studien in England erarbeitet. Aus immunologischer Sicht gibt es keine Gründe anzunehmen, wieso man das nicht kombinieren kann. Aber, wie gesagt, auch hier warten wir auf die Daten zu den Immunantworten und zur Sicherheit, die bald verfügbar sein dürfen.

Ich habe nach meiner ersten Impfung mit Astrazeneca am 13. Februar eine SARS-CoV-2-Infektion bekommen, die B.1.1.7 Variante, hatte aber nur leichte Symptomen, die wieder abklingen. Ist es sinnvoll, die zweite Impfung, geplant für den 17.4., wahrzunehmen? (Ines Kamm, Wermsdorf)

Klaus Überla: Man würde erwarten, dass sie durch die Infektion bereits geboostert ist. Insofern würde dann die Regel gelten, dass man nach sechs bis acht Monaten überlegen kann, eine weitere Impfung durchzuführen. In der Zwischenzeit würde man aufgrund der Infektion, die sie durchgemacht hat, von einer Immunität ausgehen, zumindest so, dass keine schweren Verläufe auftreten.

Menschen, die bereits infiziert waren, haben Antikörper gebildet, die vor Neuinfektion schützen. Könnte man Menschen, die in einem Hotspot leben, beispielsweise Ischgl, ausklammern, oder muss man die nochmal impfen oder den Impfstoff lieber für andere Menschen verwenden, die ihn nötiger brauchen? (Nancy Wirth)

Ulf Dittmer: Sollen wir Menschen aus einer ganzen Region ausließen bei der Impfung? Ich denke, wir sollten weiterhin abfragen, ob jemand eine bekannte Infektion durchgemacht hat. Auch wenn sie in Ischgl wohnen, können sie ja keine Infektion durchgemacht haben, jedenfalls nicht bekannt. Die sollten geimpft werden. Das würde in Deutschland analog für Heinsberg gelten. Ich glaube nicht, dass wir Regionen definieren sollten, wo wir niemanden mehr impfen. Das ist, glaube ich, nicht der richtige Weg.

Ralf Bartenschlager: In diesen Regionen war nur ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung wirklich infiziert. Wir haben das in Tirschenreuth untersucht, da hatten nach der ersten Welle 8,6 Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen den Erreger. Da bleiben noch über 90 Prozent übrig. Und wir sehen jetzt da ja auch weiterhin sehr hohes Infektionsgeschehen, aufgrund der Nachbarschaft zu Tschechien. Da muss man genauso weiterimpfen. Man könnte sogar Argumente dafür finden, dass wir jetzt in den Grenzregionen besonders viel impfen müssten, um eben ein Überschwappen der Erreger zu reduzieren, sodass wir quasi eine Art Barriere aufbauen.

Ich verstehe, dass unsere alten und kranken Menschen geschützt werden müssen. Aber die Personen, die im täglichen Arbeitsprozess stehen, die nicht die Möglichkeit haben im Home Office zu arbeiten, treffen täglich mit mehreren Menschen zusammen und somit auch aus vielen Haushalten. Sie sind doch einem hohen Risiko einer Ansteckung ausgesetzt, trotz Einhaltung aller Hygienemaßnahmen. Mein Gedanke geht noch dahin, dass Menschen über 80 seltener shoppen, Reisen antreten, ins Restaurant uva. gehen als jüngere. Durch das Impfen der jüngeren Generation könnte man erreichen, dass man endlich wieder zum normalen Leben übergehen kann und mit dem Öffnungen beginnen könnte. Sollte man hier nicht die Impfreihenfolge ändern? (Nora Seyfarth)

Ralf Bartenschlager: Was will man mit der Immunisierung in Zeiten limitierter Verfügbarkeiten erreichen? Das oberste Prinzip im Moment ist, Todesfälle und schwere Verläufe zu verhindern. Und die korrelieren nun mal eindeutig mit dem Alter. Das heißt, wenn man die Personen mit höchstem Risiko immunisiert, hat man einmal eine deutliche Reduktion des Gesamtrisikos.

Wenn man jetzt anfangen würde, beispielsweise Personen, die viel Kontakt haben, zu immunisieren, da ist erst einmal fraglich, wen man dafür auswählt. Und dann sind alle Risikopersonen nach wie vor gefährdet. Es hat sich ja gezeigt, dass selbst bei bester Absicht einer guten Abschirmung, dass das nur sehr bedingt funktioniert. Wir hatten immer wieder Ausbrüche. Der Gedanke, der wahrscheinlich auch bei der STIKO dominiert, war: Wo haben wir den größten Nutzen? Und das ist die Verhinderung von schweren Verläufen und Todesfällen. Und die steigen ganz klar mit dem Alter. Jetzt sind erst einmal die Personen in den höchsten Lebensaltern dabei. Aber wir haben natürlich noch eine ganze Reihe von Personen, die jünger sind und immer noch ein großes Risiko haben. Und solange wir da noch viele Personen haben, in Zeiten von sehr begrenzter Verfügbarkeit von Impfstoffen, ist es schwierig, die Prioritäten ganz anders zu setzen. Das ist zwar eine gute Idee, dass man die Zahl der Neuinfektionen reduzieren kann. Aber wir würden damit erkaufen, dass man die Patienten mit dem höchsten Risiko ungeschützt lässt.

Klaus Überla: Das waren genau die Überlegungen, die wir eben in der STIKO dazu hatten. Und es wurden Modellierungen durchgeführt, die zeigen, dass die meisten Lebensjahre dadurch gerettet werden können, dass man eben zunächst die über 80-Jährigen impft.

Wenn wir über gerettete Lebensjahre reden, dann berücksichtigen wir natürlich die unterschiedlichen Lebenserwartungen. Und ein Punkt, der uns auch [bezüglich einer umgekehrten Priorisierung] skeptisch gestimmt hat. Wir wissen zu wenig, wieviel Virus ein Geimpfter ausscheidet und übertragen kann. Im schlimmsten Fall würden wir jetzt zunächst die Jüngeren impfen, aber sie würden das Virus trotzdem noch an die 80-Jährigen weitergeben. Und selber hätten sie überhaupt kein so großes Risiko, jetzt daran zu erkranken. Vor diesem Kontext da macht es Sinn bei der bisherigen Priorisierungsregel zu bleiben.

Ulf Dittmer: Tatsächlich haben wir ja vor dem Impfen gesehen: Die über 80-Jährigen waren nicht nur stark betroffen von der Erkrankung, sondern hatten auch sehr viel Infektionen. Gerade in den Einrichtungen haben wir festgestellt, dass da große Infektketten auftreten. Insofern waren diese Menschen doppelt gefährdet.

Thomas Schulz: Die Erfahrungen in England zeigen, wie schnell die Todeszahlen runtergehen, wenn mehr Menschen geimpft sind. Ich habe gehört: In Sheffield hatten sie Not-Intensivstationen aufgebaut, die brauchen sie jetzt nicht mehr. Der Nutzen, den man so erreicht, ist enorm. Den wird man bei uns hoffentlich bald sehen, wenn im zweiten Quartal dann viel Impfstoff zur Verfügung steht.

Klaus Überla: Auch bei uns haben die Infektionszahlen bei den über 80-Jährigen schon deutlich abgenommen im Vergleich zu den anderen Altersgruppen. Da sind schon Effekte zu sehen.

Ist man mit Diabetes Typ 1 oder mit einer Autoimmunerkrankung bei einer Impfung mit AstraZeneca stärker gefährdet oder genau wie andere Frauen ab 50? Und ist die Gefahr für Sinusvenenthrombosen bei anderen Vaccinen genauso hoch oder niedrig? (Christine Schuster)

Sandra Ciesek: Diese Sinusvenenthrombosen sind selten. Wir haben jetzt über 20 Millionen Impfungen in Europa durchgeführt und dabei sind eine geringe Anzahl von Sinusvenenthrombosen aufgetreten, vor allen bei Frauen zwischen 20 und 55. Deswegen ist es anscheinend abhängig von Alter und Geschlecht. Und bisher gibt es meines Wissens keinen Zusammenhang zwischen anderen Autoimmunerkrankung und diesem Auftreten der Sinusvenenthrombose, die ja auch zusammen auftritt mit der Bildung von Antikörpern, die sich gegen eine bestimmte Struktur im Körper der Patienten richtet. Und die Daten dazu werden natürlich laufend aktualisiert die Gründe dafür werden versucht, zu verstehen. Aber bisher kennen wir die Zusammenhänge nicht.

Sollen Allergiker sich impfen lassen und wenn, mit welchen Impfstoff? Sollte man für die Impfung dann besser in ein Krankenhaus gehen um bei einem allergischen Schock gut versorgt zu sein? (Brigitte Stelle)

Klaus Überla: Man sollte sich genauso impfen lassen. Wichtig ist, dass man der Ärztin oder dem Arzt über seine bekannten Allergien berichtet. Und wenn jetzt diese Allergien nicht bekannterweise gegen Inhaltsstoffe des Impfstoffes gerichtet sind, dann würde man ganz normal weiter impfen.

Ich bin Risikopatient mit einer COPD Stufe 3/4, trotz Empfehlung von meinem Hausarzt mit einem mRNA Impfstoff geimpft zu werden, wurde ich Ende Februar mit AstraZeneca geimpft. Jetzt bin ich total verunsichert wegen der zweiten Impfung. Auch weil ich nach der ersten Impfung schon 1 Tag ziemlich starke Nebenwirkungen hatte. Ich frage mich, könnte ich auch bei der Zweitimpfung Biontech erhalten? Bin ich immer an AstraZeneca gebunden? (Marie Schwarz)

Sandra Ciesek: Was die Nebenwirkungen mit den Sinusvenenthrombosen angeht, muss man schauen, gehört sie jetzt zur Gruppe der Unter-55-Jährigen? Die zweite Impfung ist da ja noch einige Wochen hin, solange muss man das weiter beobachten. Wenn sich ein Verdacht erhärtet, wir die STIKO sicher neue Empfehlungen herausgeben.

Thomas Schulz: Und hinsichtlich der Vorerkrankung COPD?

Ralf Bartenschlager: Bei COPD würde man normalerweise mit dem selben Impfstoff boosten, mit dem man initial geimpft wurde. Jetzt warten wir da aber auch noch die Ergebnisse aus England ab, wo auch Mischungen durchgeführt wurden. Und dann wird man sehen, wie das für die verschiedenen Risikogruppen zu händeln ist.

Thomas Stamminger: Die gute Nachricht ist vielleicht, dass die erste Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff normalerweise die unangenehmeren Nebenwirkungen verursacht, die zweite Impfung etwas harmloser verläuft. Bei Biontech sehen wir das normalerweise gerade umgekehrt, dass bei der zweiten Impfungen mehr fieberhafte Reaktionen auftreten. Wie das jetzt bei solchen Mischfällen ist, erst Astrazeneca und dann Biontech, da fehlen noch die Erfahrungen.

Es gibt bei klinisch tätigen Ärztinnen fachübergreifend einen breiten Konsens für Niedriginzidenzstrategien, Stichwort "No Covid". Wie stehen die Virologinnen dazu? (Irina Götz)

Christian Drosten: Das Ziel ist absolut richtig. Im Prinzip ist das eine ganz vernünftige Einschätzung, die viele Leute teilen. Das ist, glaube ich, die Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft, das wir in der jetzigen Situation einfach noch nicht so weit sind, den Schalter umzulegen. Man muss nur nach England schauen, da sind jetzt 50 Prozent der Erwachsenen versorgt mit einer Impfung. Trotzdem ist die englische Regierung noch nicht dabei, zu öffnen. Die Botschaft an die Bevölkerung ist eher, dass es noch zu früh ist, zu öffnen. In diesem Licht muss man diese ganze NoCovid-Idee auch verstehen, dass man als höchste Priorität hat, die Inzidenz niedrig zu halten, weil man dann weniger in eine unkontrollierbare Situation reinkommt und mit den jetzigen Werkzeugen, die man hat einfach, ansonsten nicht sehr weit kommen kann.

Ralf Bartenschlager: Als Gesellschaft für Virologie sagen wir: Je niedriger die Inzidenz, umso besser. Das kann man NoCovid nennen. Die Inzidenz niedrig zu halten, ist das, was wir wirklich brauchen. Wegtesten können wir das Virus nicht. Wir können versuchen, noch mehr Überträger zu finden. Aber was wir einfach erreichen müssen – so doof das ist –, durch einen Lockdown und Verhaltensmaßnahmen die Zahl der Neuinfektionen einzugrenzen. Und als GfV haben wir auch schon eine entsprechende Stellungnahme veröffentlicht auf unserer Website. Die hatten wir dann auch noch aktualisiert, in dem wir klar gesagt haben, die Inzidenz niedrig halten! Sonst werden wir wieder neue Infektionen erhalten, denn wir sind mit der Impfung noch nicht soweit.

Wie man dahin kommt, das ist dann immer die Diskussion. Die Maßnahmen sind eigentlich klar definiert. Woran es hapert, ist die Kommunikation an die Bevölkerung. Natürlich sind alle Corona-müde und würden das gerne jetzt ab morgen endlich mal beenden und die Freiheit genießen. Aber leider sind wir noch nicht an dem Punkt. Ob man das jetzt NoCovid nennt oder Niedrig-Inzidenz-Strategie, das ist die Richtung, in die wir gehen müssen.

Ulf Dittmer: Wenn man in so einer urbanen Regionen wie dem Ruhrgebiet lebt, stellt man fest, das Kommunikation nicht so einfach ist. Ich war in den letzten Monaten selbst erstaunt bei meiner Arbeit mit dem Gesundheitsamt, wie viel Infektionsketten ich in meiner eigenen Stadt [Anm: Essen] gesehen habe von Menschen, die gar nichts über Corona wussten. Das können wir uns alle nicht vorstellen, nach diesen endlosen Diskussionen. Aber die Menschen gibt es in Deutschland, die nicht darüber wissen. (Es gibt auch welche, denen ist das egal.)

Thomas Schulz: Wie ist es denn in der Schweiz, die im vergangenen Jahr zumindest am Anfang viel weniger Einschränkungen hatten und erst Ende des Jahres angezogen haben. Wie ist das die Diskussion?

Isabella Eckerle: NoCovid ist erstaunlicherweise sehr wenig ein Thema hier. Es gibt natürlich einige Befürworter, aber ich glaube, dass das sehr schwer zu vermitteln ist, weil man sich irgendwo auf so einem mittelhohen Inzidenz-Niveau eingependelt hat. Über den Sommer war es sehr locker. Es gab eine Zeit, wo es praktisch überhaupt keine Einschränkungen mehr gab, was dann leider zu einer starken zweiten Welle geführt hat.
Wir sind in Genf immer ein bisschen Vorreiter, dem Rest des Landes etwa zwei Wochen Landes voraus, zum Beispiel auch mit der britischen Variante: Ende Februar, Anfang März, hatten wir schon praktisch fast in 100 Prozent unserer diagnostischen Proben diese Variante. Und jetzt sehen wir auch den Effekt davon. Als Virologe ist das nicht überraschend, dass verhält sich hier Virusbiologisch genauso wie überall sonst.

Ich glaube, die Diskussion hier ist der in Deutschland etwas hinterher, wenn es um niedrige Inzidenz geht. Hier gibt es das Problem mit verschiedenen Kantonen. In jedem Kanton gelten andere Maßnahmen oder andere Regulatorien. Es wird immer schwerer, zu vermitteln, warum man jetzt hier die eine Sache so macht und fünf Kilometer weiter eine andere, an jedem Ort herrschen andere Regeln. Das führt auch zu einer gewissen Müdigkeit, weil man einfach so viele Regeln hat. Eine Gesamtstrategie wäre natürlich sehr wichtig. Ich glaube, alle, die in einer Klinik arbeiten, schauen im Moment mit Bauchweh auf die nächsten Wochen und Monate, was da jetzt auf uns zukommt.

(mdrwissen)

0 Kommentare