Frauentag Wie steht's um die Geschlechter-Gerechtigkeit?

04. März 2022, 14:02 Uhr

Still und heimlich zieht er oft vorübergezogen, der "Equal Careday" Ende Februar. Kein Wunder bei einem Datum, das nur alle vier Jahre vorbeischneit. Oder liegt es am Begriff, "Care"-oder "Fürsorgearbeit"? Beim Stichwort Fürsorge laufen gleich Bilder im Kopf ab, irgendwas mit Frauen, Kindern, Alten - "Gedöns" wie einmal Kanzler Gerhard Schröder sagte, da weiß man gleich, wer dafür zuständig ist. Oder ist längst alles in Butter zwischen den Geschlechtern? Die Forschung ist da anderer Meinung.

Marion Balance 7 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie ist es denn, gut zwanzig Jahre nach der Jahrhundertwende, mit der Geschlechtergerechtigkeit - ist das überhaupt noch ein Thema, haben nicht längst Elternzeit, Vätermonate, flexible Arbeitszeitmodelle und Homeoffice für Gerechtigkeit gesorgt?

Arbeit ist immer noch ungerecht verteilt

Könnte man meinen, sagt Gender- und Arbeitsforscherin Yvonne Lott von der Hans Boeckler-Stiftung, schließlich gehen heute (auf ganz Deutschland hochgerechnet, denn in der DDR waren 1898 über 90 Prozent der Frauen berufstätig) weit mehr Frauen als noch vor 30 oder 40 Jahren einer bezahlten Arbeit nach.

Allerdings ohne, dass sich das auf die Verteilung der sogenannten Sorge- bzw. Care-Arbeit ausgewirkt hätte. Die Frauen reduzieren Lott zufolge zwar ihre Care-Arbeit - aber sie lagern diese Tätigkeiten des Pflegens und Sich-Kümmerns aus, organisieren und bezahlen Dritte für Kinderbetreuung und Haushaltshilfe. Männer engagieren sich trotzdem nicht mehr als früher, sagt Lott, oder kaum mehr, wenn sie zum Beispiel arbeitslos sind und daheim:

Es gibt eine ganz klare, auch teilweise sehr verkrustete Rollenteilung in Partnerschaften.

Yvonne Lott

Diese Rollenverteilung kann man ganz plastisch aufdecken. Hier der Vorschlag der Autorin (Vorsicht, subjektiv!): Nehmen Sie einfach Ein-Cent-Stücke und bauen Sie anhand folgender Bildergalerie Häufchen. Einen für sich, einen für die andere verantwortliche Person im Haushalt. Das Ergebnis könne Sie gern unten in die Kommentare schreiben:

Check up Wer erledigt was im Familien-Alltag?

Warum manche Menschen gestresster sind als andere, obwohl sie im gleichen Haushalt leben. Rechnen Sie anhand der MDR-Wissen-Liste einfach durch, wie sich bei Ihnen die Alltags-Care-Arbeit verteilt.

Teenager tippt im Bett auf seinem Smartphone herum.
Ich weiß, wie mein Kind sich in sozialen Medien nennt: 1 Münze. Ich kenne, auf welchen Kanälen es unterwegs ist: 1 Münze. Ich weiß, wieviel Zeit es am Tag am Handy verbringt: 1 Münze. Ich diskutiere, setze Regeln ein und durch: 3 Münzen. Bildrechte: imago images/Frank Sorge
Teenager tippt im Bett auf seinem Smartphone herum.
Ich weiß, wie mein Kind sich in sozialen Medien nennt: 1 Münze. Ich kenne, auf welchen Kanälen es unterwegs ist: 1 Münze. Ich weiß, wieviel Zeit es am Tag am Handy verbringt: 1 Münze. Ich diskutiere, setze Regeln ein und durch: 3 Münzen. Bildrechte: imago images/Frank Sorge
Eine Frau sortiert Wäsche in einemKleiderschrank.
Klamotten: Eine Münze für die exakte Kenntnis der Kleidergröße des Kindes. Vier Münzen fürs saisonale Umräumen, passend nach Jahreszeit und rausgewachsen/reingewachsen, Klamotten be- und entsorgen. Pro Kind eine Münze auszahlen. Bildrechte: imago images / Westend61
Mädchen bei einer Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt
Wer koordiniert Vorsorgetermine für den Nachwuchs? Eine Münze. Wer geht mit hin? Eine Münze. Bildrechte: imago/NBL Bildarchiv
Putzeimer und Putzmittel.
Wer übernimmt den Einkauf von Reinigungsmitteln? Zwei Münzen. Wer putzt Bad/ Küche/Wohnzimmer? Jeweils eine Münze. Wer räumt das/die Kinderzimmer auf? Pro Kind zwei Münzen. Achtung: Man muss wissen, welches Spielzeug zu wem gehört, und wo es hingeräumt wird. Bildrechte: MDR
Junge bläst Kerzen auf einer Torte aus.
Wer sorgt für den Geburstagskuchen, für Deko und Kerzen und schmückt? Vier Münzen. Bildrechte: imago images / Cavan Images
Zwei Jungen versuchen in Donuts zu beißen, die von einem Baum hängen
Wer organisiert die Spiele für den Kindergeburtstag? Wer bestimmt und besorgt die Preise bei Spielen und die "Mitgebsel"? Vier Münzen zum Aufteilen. Bildrechte: imago images/Cavan Images
Nikolausstiefel aus Gummistiefel.
Wer besorgt den Inhalt für den Nikolausstiefel? Eine Münze. Wer sorgt für den Adventskranz? Eine Münze. Wer besorgt und füllt den Adventskalender? 24 Münzen für Selbst-Füller, eine Münze für komplett gekaufte. Bildrechte: imago images/STPP
Halloween Muffins
Wer besorgt/bäckt die Dinge, die Ihr Kind zum Geburtstag mit in den Kindergarten bringt, Kuchen, Saft, Servietten...? Eine Münze. Bildrechte: Colourbox.de
Ein mit einfachen Packpapier eingepacktes Geschenk. Auf dem Geschenk kleben Kreise, die aus bunten Zeitschriften ausgeschnitten wurden.
Wer klärt mit der Verwandtschaft: Was wünscht sich das Kind zum Geburtstag, zu Weihnachten, zur Einschulung? Vier Münzen. Warum so viele? Man muss wissen, was das Kind schon hat, was es freut und was es braucht. Bildrechte: Annett Zündorf
Ein kleines Mädchen steht vor dem Spiegel und kratzt sich mit beiden Händen am Kopf.
Kopfläuse und Nissen - wer findet sie? Zwei Münzen. Wer besorgt das Rezept fürs Läusemittel beim Arzt und das Mittel in der Apotheke: 2 Münzen. Wer behandelt daheim die Familie gegen Läuse? Zwei Münzen. Wer wechselt die Bettwäsche nach der 8-stündigen Einwirkzeit mit dem stark riechenden Öl? Zwei Münzen. Wer übernimmt die Nachbehandlung Tage später? Vier Münzen. Bildrechte: IMAGO / Petra Schneider
Wäsche in Waschmaschine stopfen
Wer übernimmt das Wäsche waschen? Eine Münze. Wer hängt sie auf oder steckt sie in den Trockner? Eine Münze. Wer verteilt sie auf die richtigen Schränke? Hier eine Münze pro Kind im Haushalt. Man muss die Wäsche und Kleidungsgröße dem richtigen Kind und Schrank zuordnen können. Bildrechte: Colourbox.de
Viele verschiedene Socken liegen am Boden.
Sockenpaare puzzeln: Zwei Sondermünzen pro Kind. Oder umgeschwenkt auf die pragmatische Lösung - eine Sockenfarbe für alle in allen Größen? Eine Münze. Bildrechte: Liane Watzel
Ein Einkaufswagen mit verschiedenen Lebensmitteln.
Wer kauft für die Woche ein? Eine Münze. Wer räumt die Dinge in Schränke, Regale, Kühlschrank? Zwei Münzen. Wer macht die Einkaufsliste? Eine Münze. Wer mit der fertigen Liste eines anderen einkaufen geht: Vier Punkte Abzug. Abchecken was im Kühlschrank und Vorrat da ist, frisst Zeit & Energie. Planen und bestimmen, was in der Woche gegessen wird, auch. Bildrechte: imago images/photothek
Eine fünfköpfige Familie macht einen Fahrradausflug
Wer packt Desinfektionsmittel und Pflaster in den Rucksack für den Tagesausflug? Eine Münze. Wer plant den Ausflug, zum Beispiel Ziel, Route, Picknick oder Essen gehen? Zwei Münzen. Bildrechte: MDR/Colourbox.de
An eine Tafel wird mit Kreide 'Elernabend - Heute um 20 Uhr!' geschrieben.
Wer geht zu Elternabenden in Kindergarten/Schule? Je eine Münze. Entwicklungsgespräch mit Erziehern: Eine Münze. 1:1 Elterngespäche mit Lehrpersonal in der Schule: Eine Münze. Bildrechte: imago images / Panthermedia
Wissens-Fragezeichen zwischen zwei verschieden hohen Türmchen mit Münzen
Geschafft! Die Alltagsaufgaben lassen sich natürlich noch unendlich fortsetzen. Aber auch so dürften Ihnen Ihre Münzhäufchen schon jetzt verraten, wie sich bei Ihnen daheim die unbezahlte, geldwerte Care-Arbeit verteilt. Zufrieden? Bildrechte: Collage: Colourbox.de / MDR
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Aber hat denn die Elternzeit das nicht geändert?

Genderforscherin Yvonne Lott sieht auch die Elternzeit kritisch. Aus Interviews weiß sie, dass Frauen nicht dafür gelobt werden, dass sie Elternzeit nehmen. Vielmehr wird gefragt, wann sie "wieder richtig zurückkommen", also Vollzeit. Bei Männern, die Elternzeit nehmen, ist es anders, weiß die Wissenschaftlerin: "Es wird entweder kritisch gesehen oder es wird gelobt." Der Zeitpunkt für die Vätermonate wird mit dem Betrieb abgesprochen, sagt Lott, und dann so gelegt, dass die Abläufe dort möglichst wenig gestört würden. Die Rollenerwartung an die Männer sei ziemlich klar - sie sollten vor allem den Job priorisieren, Karriere machen.

Das bestätigt auch Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologieder an der Uni Leipzig:

Menschen, die sich im Beruf weiterentwickeln möchten, müssen nach wie vor sehr viel Zeit investieren. Das führt zu weniger Zeit im Privaten. Die Zeit, die im Beruf notwendig ist, fehlt für Familie, Freizeit, Freunde.

Porf. Hannes Zacher, Uni Leipzig
Ein lächelnder Mann sitzt allein an einem Tisch, im Hintergrund ein Bücherregal
Bildrechte: Universität Leipzig, Swen Reichhold

Zacher zufolge führt das dazu, dass immer mehr Menschen unter Work-Life-Balance-Problemen leiden. Viele Frauen kennen das - obwohl sie nicht offen darüber sprechen, das störe ja das gesellschaftliche Powerfrauen-Bild. Und das hat Folgen, sagt Zacher:

Viele Frauen haben das Gefühl, dass sie den unterschiedlichen Lebensbereichen nicht vollständig gerecht werden können, dass sie ständig von einem Ort zum anderen hetzen und womöglich selber oft zu kurz kommen.

Hannes Zacher

Oder sie weichen diesem Dilemma aus, und nehmen Teilzeitjobs an. Das erklärt für Dr. Jörg Schmidt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einem Gespräch mit dem Aktionsbündnis Genderpaygap die Unterschiede in Sachen Lohngleichheit:

Alles eine Frage der Live-Choice. Frauen gehen eher in die Niedriglohnbranche, arbeiten in Teilzeit, sind nicht Führungspositionen.

Dr. Jörg Schmidt, IW

Statistiken zeigen tatsächlich, dass die meisten Frauen nach der Familienphase Teilzeit arbeiten gehen, sagt Genderforscherin Yvonne Lott. Wenn man aber genau hinschaut, sind das keine wirklichen Entscheidungen, sondern die Folgen von Notwendigkeiten der Familienarbeit:

Wenn sich wirklich alle nur auf den Beruf fokussieren würden

Viele verschiedene Socken liegen am Boden.
Wem gehört welche Socke und wo sind die Gegenstücke? Bildrechte: Liane Watzel

Würden sich alle erwachsenen Menschen, die privat auch Eltern sind, sich tatsächlich nur auf ihren Beruf und ihre Ziele konzentrieren, liefen viele Kinder ständig in Hochwasserhosen, zu kleinen Schuhen und ohne Mütze herum, hätten keine Ersatzwäsche im Kindergartenfach, würden keine Familienfeste erleben. Denn wer zusätzlich zum Beruf den Berg der tausend Kleinigkeiten im Familienleben schultert, hat an anderer Stelle weniger Zeit und Energie, bestätigt Wissenschaftler Zacher:

Zeit und Energie sind begrenzte Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, und die Zeit, die wir in die Familie investieren, fehlt uns dann an anderer Stelle.

Obenansicht eines Familienessens
Wieviel Arbeit steht hinter einem gemütlichen Abend mit Freunden, wer checkt und koordiniert Terminpläne? Bildrechte: imago images/Westend61

Gesellschaftlich kursiert zwar das Bild von der "Supermutter", die alles unter einen Hut kriegt: Karriere und Kinder und nachts um elf den Adventskalender für den nächsten Morgen bestückt oder das Faschingskostüm näht, die Winterhandschuhe heraussucht und nebenher die Wadenwickel beim fiebrigen Kleinkind wechselt. Das Äquivalent dazu, den "Supervater", der Karriere und das gewaltige Familien-Allerlei managt - sprachlich gibt es das (noch) nicht, wenigstens nicht als stehenden Begriff mit dem dazugehörigen gesellschaftlichen Bild.

5 Kommentare

Erichs Rache am 08.03.2020

"Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf durch gleichstellungsorientierte Maßnahmen abzubauen."
"Statt ... die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, gibt der Staat Milliarden für das Ehegattensplitting aus. Alleinverdiener-Ehen werden dadurch privilegiert. Das ist verfassungswidrig und wirkt sozialpolitisch verheerend"!

Damit wird "die Spezialisierung in der Ehe" begünstigt und es wirkt "der politisch erwünschten Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegen.“!

Die Gestaltungsfreiheit von Frauen, zwischen Beruf und Familie FREI zu wählen, wird staatlich eingeschränkt!

DAS WIDERSPRICHT (!) der stg. Rechstsprechung des BVerfG: “Der Gesetzgeber müsse daher Regelungen vermeiden, die in die freie Entscheidung über die Aufgabenverteilungzwischen den Eheleuten eingreifen könnten (st. Rspr. BVerfGE 61, 319, 346f.;133, 377,
5410).“

Vgl. Prof. Dr. iur. Frauke Brosius-Gersdorf, "Kritik am Ehegattensplitting - Anstiftung zur Altersarmut", 2013

Atheist am 07.03.2020

Bevor wir über unnötige Quoten nachdenken sollten wir vielleicht erstmal mit der Sprache anfangen.
Ich bin es so leid in jeder Ansprache auf mein Geschlecht reduziert zu werden, ständig bin ich KundIN, BürgerIN, wählerIN,....
ICH BIN KUNDE, BÜRGER, WÄHLER ...Punkt!

winfried am 07.03.2020

>>Wie steht's um die Geschlechter-Gerechtigkeit?<<
Eine "Krieg-entscheidende" Frage im Gender-Zeitalter.

Junge, Junge ... was ist aus dem "internationalen Frauentag" geworden ?!