Illustration Europa von oben mit verschiedenen Industriegebäuden mit Schornsteinen und Emissionen, vebunden durch geschwungene, teilweise gestrichelte Linien
Für die Reform des europäischen Emissionshandels gab es schon mal ein Go. Bildrechte: MDR/Sophie Mildner

Grünes Wunder? Emissionshandel: Klimaneutral durch Kohlenstoffsteuer CBAM?

13. Juni 2023, 11:03 Uhr

Am 18. April 2023 hat das Europäische Parlament für eine Überarbeitung des EU-Emissionshandels gestimmt. Die EU möchte ihre Emissionen schneller senken, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Teil dieser Reform ist auch eine Art CO2-Zoll auf Importe aus dem Ausland. Dieser soll neben dem bestehenden Emissionshandelssystem eingeführt werden, um weiterhin faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen sicherzustellen. Hat diese Reform das Potential, die Klimaprobleme der EU zu lösen?

Bereits seit 2005 gibt es in der EU das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) als zentrales Klimaschutzinstrument. Unternehmen müssen durch das EU-ETS eine bestimmte Anzahl von Emissionszertifikaten erwerben, um ihre ausgestoßenen Emissionen zu decken. Das System basiert auf einer Mengensteuerung, dem sogenannten "Cap and Trade"-Prinzip. Das bedeutet, für bestimmte Branchen (zum Beispiel für die Stahl- und Eisenindustrie) werden die Emissionen durch eine feste Gesamtobergrenze (Cap) begrenzt. Diese Obergrenze wird jedes Jahr nach unten korrigiert und soll so dazu beitragen, die Klimaziele der EU zu erreichen.

Das Gespenst von Carbon Leakage?

Das Problem: Besonders Unternehmen, die viele Emissionen ausstoßen, könnten aus Kostengründen ihre Produktion in andere Länder verlagern, um den Kauf von CO2-Zertifikaten zu umgehen. Dieses Risiko wird als sogenanntes "Carbon Leakage" bezeichnet, also die Verlagerung von CO2 ins Ausland.

Carbon Leakage ist nie bewiesen worden. Bisher konnte lediglich ein 'Risiko' für Carbon Leakage festgestellt werden.

Camille Maury WWF
EU-Sterne, zum Teil ersetz durch rundlaufende Frage "Grünes Wunder?", in der Mitte ein Blatt
Bildrechte: MDR WISSEN

Doch existiert Carbon Leakage wirklich, oder handelt es sich dabei nur um ein Argument der Industrie, um für ihre Emissionen kaum Geld zu zahlen? Camille Maury ist beim Europabüro von WWF (World Wide Fund For Nature) für die Dekarbonisierung der Industrie zuständig und ist der Meinung, dass es derzeit nicht ausreichend Daten gibt, um Carbon Leakage zu beweisen: "Carbon Leakage ist nie bewiesen worden. Bisher konnte lediglich ein 'Risiko' für Carbon Leakage festgestellt werden." Es sei schwer zu überprüfen, ob Unternehmen wirklich aufgrund der EU-Klimaschutzmaßnahmen ihre Produktion ins Ausland verlagern. Mauricio Vargas von Greenpeace in Deutschland weist daraufhin, dass Carbon Leakage in bestimmten Industrien ein Problem ist, es aber nicht als Ausrede für weniger Klimaschutz genutzt werden sollte: „Carbon Leakage ist ein ernsthaftes Problem, das z.B. durch einen Grenzausgleichsmechanismus adressiert werden muss. Man sollte das Phänomen aber nicht dramatisieren und als Ausrede für weniger Klimaschutz missbrauchen".

Das CO2-Grenzausgleichsystem erklärt

Um Carbon Leakage zu verhindern, hat die EU jetzt das CO2-Grenzausgleichsystem (CBAM – Carbon Border Adjustment Mechanism) als unterstützendes System beschlossen. Damit ist der CBAM neben dem Emissionshandelssystem (ETS) das zweite Finanzinstrument der EU-Klimaschutzmaßnahmen. Das Prinzip von CBAM: Unternehmen, die Waren in die EU importieren, sollen verpflichtet werden, sogenannte CBAM-Zertifikate zu kaufen. Wenn also beispielsweise ein Stahlproduzent aus der Türkei seinen Stahl in die EU importieren möchte, muss er in Zukunft für diesen CBAM-Zertifikate kaufen. Der Wert dieser Zertifikate soll dem Preis an CO2-Zertifikaten entsprechen, den der Stahlunternehmer im EU-Emissionshandelssystem hätte zahlen müssen, wenn er den Stahl in der EU hergestellt und nicht importiert hätte. Sollte ein Unternehmen aber nachweisen können, dass es im ursprünglichen Produktionsland bereits einen Preis bzw. Zertifikate für die benötigten Emissionen bezahlt hat, sollen diese mit den CBAM-Zertifikaten verrechnet werden, oder die CBAM-Abgabe vollständig wegfallen. Dadurch soll vermieden werden, dass europäische Unternehmen, die innerhalb der EU für ihre Produktion und ihre ausgestoßenen Emissionen CO2-Zertifikate kaufen müssen, höhere Kosten haben als ihre Konkurrenten außerhalb der EU. So möchte die EU auch in Zukunft ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt sichern.

Der CBAM gilt bereits ab Oktober 2023 für direkte Treibhausgasemissionen von Produkten aus den Sektoren Elektrizität, Zement, Eisen und Stahl, Düngemittel, Aluminium und Wasserstoff. Zudem soll der CBAM auch sogenannte "indirekte” Emissionen abdecken. Dabei handelt es sich beispielsweise um bestimmte Materialien, die zur Herstellung des Produktes benötigt werden. Ein Ziel von CBAM: Carbon Leakage zu verringern, indem es Produzenten in Nicht-EU-Ländern dazu ermutigt, ihre Produktionsprozesse umweltfreundlicher zu gestalten.

So funktioniert's Mit dem CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) sollen ab dem Jahr 2026 Abgaben auf bestimmte Waren erhoben werden, bei deren Produktion außerhalb der EU Treibhausgasemissionen ausgestoßen wurden. Dadurch soll verhindert werden, dass Industriezweige mit hohen Treibhausgasemissionen ihre Produktion in Länder außerhalb der EU verlagern, deren klimapolitische Standards niedriger sind als in der EU. Das soll zu einer Reduktion der Emissionen weltweit und für faire Wettbewerbsbedingungen unter allen Unternehmen führen.

Erklärgrafik erklärt das CBAM-System. Beschreibung um Fließtext.
Bildrechte: MDR WISSEN

CBAM, das die Industrie lange Zeit verhindern wollte, soll ab Oktober 2023 ein schrittweises Ende der kostenlosen Zertifikate im EU-Emissionshandelssystem ermöglichen. Energieintensive Unternehmen, wie zum Beispiel aus der Eisen- und Stahlindustrie, haben im Rahmen des ETS einen Großteil ihrer CO2-Zertifikate kostenlos erhalten, da diese Industrien besonders vom Carbon Leakage-Risiko betroffen seien. Diese kostenlosen Zuteilungen soll in den nächsten Jahren verringert werden, sodass es bis Ende 2034 keine kostenlosen Zertifikate für diese Industriesektoren mehr gibt. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch kritisiert, dass die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten an Unternehmen noch so lange bestehen bleibt und der CBAM nicht schon früher eingeführt wird. "Es ist eine vertane Chance, dass CBAM ab 2026 nur schrittweise eingeführt und erst 2034 in vollem Umfang wirksam sein wird" sagt Anne Gläser, Referentin für CO2-Preise bei Germanwatch.

Für die Einführung von CBAM … ist ein mehrjähriger Zeitplan geplant:

bis 2025

  • 1. Oktober 2023 bis 2025: Übergangsphase, in der für die Sektoren Elektrizität, Zement, Eisen, Stahl, Düngemittel, Aluminium und Wasserstoff noch keine Abgabe-, sondern lediglich eine Berichtspflicht über ihre Emissionen besteht.
  • 1. Januar 2025: Registrierungspflicht für die von CBAM betroffenen Unternehmen tritt in Kraft. Nur noch autorisierte Unternehmen, die sich beim CBAM angemeldet und berichtet haben, dürfen betroffene Waren in der EU zum Import anmelden. Für die erzeugten Emissionen müssen sie noch keine CBAM-Zertifikate kaufen.

bis 2034

  • 1. Januar 2026: Zertifikatehandel beginnt und die Importeure sind verpflichtet, ab jetzt Zertifikate für die Emissionen der importierten Güter zu kaufen.
  • bis 2030 sollen alle Güter beim CBAM einbezogen werden, die unter den EU-Emissionshandel (ETS) fallen.
  • 1. Januar 2026:
  • Zertifikatehandel beginnt und die Importeure sind verpflichtet, ab jetzt Zertifikate für die Emissionen der importierten Güter zu kaufen.
  • bis 2030: Sollen alle Güter beim CBAM einbezogen werden, die unter den EU-Emissionshandel (ETS) fallen.
  • bis Ende 2034: CBAM soll vollständig eingeführt werden, kostenlose CO2-Zertifikate für energieintensive Sektoren fallen weg, Unternehmen müssen ab jetzt für die Emissionen der importierten Waren den vollen Preis in CBAM-Zertifikaten zahlen.

Ein deutliches Signal der EU für klimafreundlichere Produktion

Die EU schickt mit dem CBAM ein klares Signal an die Industrie, jetzt in klimafreundlichere Produktionen zu investieren. Perspektivisch gesehen sollen in den kommenden Jahren noch mehr Sektoren den CO2-Zoll zahlen müssen. Besonders intensiv diskutiert wird die Einbeziehung von Kunststoffen, diversen Chemikalien, Mineralölprodukten und später auch Papier, Ton- und Glasprodukten. Die EU hofft, dass der Rest der Welt dem europäischen Beispiel folgt und ebenfalls eine Kohlenstoffbesteuerung einführt.

China hat 2021 einen eigenen Kohlenstoffmarkt eingeführt, der auch auf langjährigen Erfahrungen des europäischen Emissionshandelssystems basiert. Damit hat China das weltgrößte Emissionshandelssystem, welches vier Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr abdeckt, geschaffen. Dort ist der Preis für eine Tonne CO2 jedoch viel niedriger als in Europa. Voraussichtlich am stärksten vom CBAM betroffen sein werden Produzenten in Russland, der Türkei und der Ukraine, insbesondere in der Stahl- und Eisenindustrie. Diese Länder exportieren sehr viel in die EU und haben keinen bzw. einen niedrigen CO2-Preis.

Soziale Ungerechtigkeit bekämpfen

Die EU hat neben dem CBAM den "Social Climate Fund" beschlossen. Dieser soll die Kosten der Energiewende abfedern und vor allem Menschen in sozial schwächeren Ländern bei hohen Heiz- und Kraftstoffpreisen unterstützen. Außerdem soll er den Mitgliedsstaaten Geld zur Verfügung stellen, um Investitionen in nachhaltigere Gebäude und Verkehrsmittel zu ermöglichen. Das Problem: Bisher ist nur beschlossen, dass die Einnahmen des neuen Emissionshandelssystem (ETS-2, siehe 1. Teil dieser Serie) diesen Fund finanzieren. Zu den Einnahmen, die durch den CBAM entstehen, heißt es im Beschlusspapier nur: "Die Union arbeitet an der Einführung neuer Eigenmittel auf der Grundlage der Einnahmen aus den Verkäufen von CBAM-Zertifikaten."

Das bedeutet, bisher ist geplant, dass die CBAM-Einnahmen in den allgemeinen EU-Haushalt fließen. Es heißt zwar auch, die EU wolle sozial schwache Länder außerhalb der EU "bei der Dekarbonisierung ihrer Industrie unterstützen", eine wirkliche Zweckgebundenheit gibt es aber nicht. Eine vertane Chance, bemängeln Umweltorganisationen. Sie sind der Meinung, dass das Geld vor allem verwendet werden sollte, um sozial schwächere Länder, besonders auch außerhalb der EU, dabei zu unterstützen, ihre Emissionen zu reduzieren, Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren und in klimafreundliche Technologien zu investieren. Dies wäre beispielsweise mit der Finanzierung eines neu geschaffenen Fonds, wie beim ETS-2, möglich gewesen.

Diejenigen, die am wenigsten haben, sind die Menschen, die am härtesten getroffen werden.

Mauricio Vargas Greenpeace Deutschland

Immer wieder kritisieren Umweltorganisationen, dass die EU bei der Einführung des Emissionshandelssystems zu wenig auf die sozialen Unterschiede der Mitgliedsländer geachtet hat. "Die Kaufkraft in den Mitgliedsstaaten ist sehr unterschiedlich", so Anne Gläser von der Umweltorganisation Germanwatch. Auch Mauricio Vargas von Greenpeace Deutschland ist der Meinung, dass die EU für die ärmeren Länder verantwortlich ist, die vom CO2-Grenzausgleichssystem stark betroffen sein werden. "Diejenigen, die am wenigsten haben, sind die Menschen, die am härtesten getroffen werden."

Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von “Crossborder Journalism Campus”, einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Nicolás Berlinger, Jakob Ranglin Grissler, Jonas Linde, Solène Du Roy, Mahmoud Naffakh, Yann Doree, Hadrien Valat.

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