Blumen bühen in einem Weizenfeld.
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MDR KLIMA-UPDATE | 27. Oktober 2023 Komplexe Lösungen, leichte Geschichten?

Ausgabe #112 vom Freitag, 27. Oktober 2023

27. Oktober 2023, 10:59 Uhr

Die Wissenschaft hat oft komplexe Antworten gefunden auf komplexe Probleme wie Klimawandel oder Artensterben. Wie erzählen wir von den Lösungsmöglichkeiten?

Autorenfoto von Clemens Haug
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Liebe Lesende,

schöne Grüße aus Freiburg! Der Kollege Florian Zinner und ich besuchen hier gerade eine Konferenz für Wissenschaftsjournalisten.

Natürlich sind Klima und Umwelt dort Themen, unter anderem das gute alte Problemfeld Krisenkommunikation: Wie können wir Ihnen, unserem Publikum, näher bringen, dass der weltweite Verlust zahlreicher Tier- und Pflanzenarten ein Problem ist, das wir als Menschheit lösen müssen? Denn die Biodiversitätskrise hängt mit der Klimakrise unmittelbar zusammen, der Artenschutz ist mindestens so wichtig wie der Klimaschutz.

Wie können wir das so beschreiben, dass sie sich damit gerne beschäftigen und anschließend genug Druck durch die Öffentlichkeit entsteht, dass Politik und Wirtschaft echte Veränderungen anstoßen? Denn, wenig überraschend, wenn wir schreiben: "Alles so schlimm", dann sagen Sie sich vielleicht: "Nee, keine Lust, das lese ich nicht, da höre ich nicht zu, da schalte ich aus." Und dann geht alles so weiter wie bisher.

Klar, geht mir ja auch so. Am Ende meines Lebens werde ich sterben? Kann sein, aber jetzt schon darum trauern, wozu sollte das gut sein? Aber vielleicht ist das genau die richtige Frage: Kann ich jetzt schon aus meiner Sterblichkeit lernen und besser leben? Bezogen auf die Biodiversitätskrise: Was lernen wir aus der Katastrophe, um das Problem zu lösen? Und wie erzählen wir davon?

Als wir da so mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutiert haben, hatte ich den Eindruck: Die Forschung ist da wieder mal ein Stück weiter als wir Medien. Bevor ich aber gleich schreibe, was ich gelernt habe, schnell noch ein Hinweis, dass ein beliebtes Mittel zur Verdrängung unangenehmer Tatsachen wie dem Klimawandel von eben jenem akut bedroht ist.


#️⃣ Zahl der Woche:

33,3

… Prozent – also um ein Drittel – könnte der Alphasäuregehalt in Bier in Folgen des Klimawandels sinken, sagt eine aktuelle Studie. Übersetzt heißt das, dass die für Bier typische Bitternote darunter leiden wird. In Hallertau, dem wichtigsten europäischen Anbaugebiet, sinke der Alphasäure-Ertrag sogar um fast vierzig Prozent, so die Prognose. Gleichzeitig wirkt sich der Klimawandel auf die zu erwartende Menge des geernteten Hopfens aus.

Das System verstehen und gemeinsam ändern

Ein einfaches Modell aus der Medienwissenschaft beschreibt vier Motivationen, warum Sie, die Lesenden, unsere Produkte nutzen: Sie wollen entweder wissen, was gerade passiert (etwa die Lage ist in der Ukraine oder in Israel) oder Sie wollen eine Erklärung dafür haben, warum das passiert. Dann hätten Sie auch gerne Beispiele dafür, wie die Lösung aussehen kann und dann vielleicht noch ein paar Tipps, was Sie selbst dazu beitragen können.

Da sehr viel Biodiversität durch Monokulturen in der Landwirtschaft verloren geht, wäre ein sehr einfacher Reflex von uns Medien jetzt: Wir finden einen Biobauern, der erfolgreich mehrere Ackerkulturen miteinander vermischt hat, der keine Pestizide mehr benötigt und bei dem die Kühe im Stall glücklich sind und der zu alledem noch wirtschaftlichen Erfolg hat. Dann sagen wir: Geht doch, das Problem ist konstruktiv lösbar.

Vom Ansatz her ist das grundsätzlich auch richtig, führt aber direkt zur nächsten offensichtlichen Frage: Wenn eine Lösung möglich ist, warum machen das dann nicht alle so? Hier wird es meistens sehr kompliziert. Deswegen jetzt eine gute Nachricht: Wissenschaft mag komplizierte Fragen und hat sich deshalb schon damit beschäftigt.

Bildbeschreibung Grafik zum Wertewandel im Naturschutz, neuere Werte sind immer Teil der Menge älterer Werte, 1960 Natur für sich selbst, Spezies, Lebensräume, Schutzgebiete, 1980 Natur trotz Menschen, Ausrottung, Verlust von Lebensraum, Verschmutzung, Raubbau, 2000 Natur für Menschen, Dienstleistungen und Werte der Ökosysteme, 2010 Mensch und Natur, sozialökologische Systeme, Beziehungswerte
Bildrechte: Florian Zinner/MDR

Komplexe Lösungen für komplexe Probleme

Katrin Böhning-Gaese, renommierte Biodiversitätsforscherin von der Senckenberg-Stiftung, hat uns berichtet, wie der Naturschutz seit den 1960ern dazugelernt hat. Zunächst wollte man die Natur einfach um ihrer selbst willen schützen, weil sie so schön ist und legte schön gepflegte Naturschutzgebiete an. Dann lernte man, dass man sie von menschlichen Einflüssen schützen muss, auch den gut gemeinten. Schließlich erkannte man, dass man den Naturschutz auch für uns Menschen betreibt, denn wir benötigen intakte Ökosysteme für unser eigenes Überleben (etwa, weil unsere Landwirtschaft von bestäubenden Insekten abhängt, die wir nicht beliebig künstlich herstellen und ihr Überleben sichern können, wenn die Umwelt drumherum zerstört ist). Und schließlich, und da stehen wir heute, erkannten Naturschützerinnen und Naturschützer, dass sie Natur und menschliche Systeme zusammen denken müssen.

Aus dem Beispiel lerne ich: Ein Thema wie Naturschutz kann also sehr komplex und schwierig zu lösen sein, Lösungen sind aber möglich.

Um zum Beispiel Landwirtschaft zurückzukehren: Landwirte müssen also einerseits Biodiversität erhalten, andererseits aber sehr effektiv sein: Sie müssen genügend Nahrungsmittel zu erschwinglichen Preisen für alle Menschen bereitstellen – und trotzdem nachhaltig sein. Biolandwirtschaft hat da noch das Problem, dass ihre Erzeugnisse in vielen Fällen für Menschen mit geringen Einkommen unerschwinglich sind – und natürlich auch nicht jeder mit mittleren und hohen Einkommen freiwillig mehr fürs Essen bezahlt.

Klingt wie die Quadratur des Kreises, ist aber möglich, wenn man ausgetretene Pfade verlässt:

Christoph Scherber vom Zentrum für Biodiversitätsmonitoring in Bonn hat mit seinem Team wissenschaftlich begleitet, wie einige landwirtschaftliche Betriebe von Mono- auf Mischkulturen umgestellt haben. Statt in einem Feld nur Weizen auszusäen, haben sie Ackerbohnen hinzugefügt. Der Effekt: Das Feld zeigte sich weniger anfällig für Schädlinge, zugleich steigerte sich auch der Proteingehalt des Weizens. Außerdem wurde der Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln weniger sinnvoll, denn die chemischen Mittel nützten in der Regel immer nur der einen Kultur, schadeten aber der anderen. Weil die Landwirte dann auf die Chemie verzichteten, waren die Felder plötzlich wieder Lebensraum für zahlreiche zuvor verschwundene Insektenarten. Laut Scherber waren die Ertragsverluste im Vergleich zu herkömmlichen Monokulturen überschaubar. Stattdessen sparten die Landwirte Geld für Dünger und Schutzmittel. Für das dringende Problem wurde also eine Lösungsmöglichkeit gefunden.

Jetzt gibt es aber sehr viele Folgeschwierigkeiten: Einige alte Regeln verbieten die Mischkulturen teilweise. Dann braucht es neue Maschinen, unter anderem, wenn man die geernteten Früchte automatisch sortieren will. Auch bei der Vermarktung verändert sich etwas. Neue Labels jenseits der strengen Vorgaben von Ökolandbau wären auch praktisch, dann könnten Kundinnen und Kunden Insektenfreundlichkeit mit ihrer Kaufentscheidung goutieren.

Wir lernen: Ein ganzes System muss sich verändern, an sehr vielen Stellen. Die Forschung hat diese Komplexität im Blick. Christoph Scherber sagt, für fast alle Einzelprobleme gibt es bereits Studien. Aus wissenschaftlicher Sicht seien die wichtigsten Fragen beantwortet.

Jetzt fragt er sich vor allem: Wie können davon alle erfahren? Und wie kommt es dann zum Durchbruch der neuen Idee, die das alte System umwälzt?

Auch dafür kann es eine Lösung geben und die hat mit Ihnen zu tun: Finden Sie das Thema eigentlich spannend? Welche Geschichte würden Sie gerne lesen? Möchten Sie mehr über die spanischen Landwirte erfahren? Oder würde Sie mehr interessieren, welche Hindernisse in Deutschland eigentlich überwunden werden müssen? Oder möchten Sie sich lieber nicht so sehr mit den dornigen Herausforderungen beschäftigen und erst dann wieder von diesem Thema lesen, wenn es Modellprojekte in Deutschland gibt und die wichtigsten Probleme bereits gelöst sind?

Wir haben hier eine kleine Umfrage vorbereitet, deren Ergebnisse uns bei unserer Arbeit helfen sollen, eine wichtige Geschichte in diesem komplexen Thema zu finden und zu erzählen.

Außerdem hier noch ein Hinweis auf eine Studie aus der Schweiz aus dem Jahr 2021, die zu ähnlichen Ergebnissen kam:


🗓 Klima-Termine

Freitag, 27. Oktober – Görlitz

Warum Artenschwund, Klimakrise und Pandemien unmittelbar zusammenhängen und eine Triplekrise bilden ist Thema des Vortrags von Josef Settele im Senckenberg-Museum für Naturkunde. Der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig betont die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes, der von lokalen hin zu globalen Maßnahmen reicht. "Nur wenn wir gemeinsam die Natur schützen, schützen wir auch uns selbst", heißt es in der Ankündigung hier.

Samstag, 28. Oktober – Gräfenmühle

"Insekten – ein Rückgang mit Folgen" ist Titel einer neuen Ausstellung in der Naturschutzstation Gräfenmühle in Westsachsen. Neben den kleinsten Tieren geht es um das generelle Artensterben und die Frage, was Menschen dagegen machen können. Der Eintritt ist kostenlos, die Schau noch bis zum 3. Januar zu sehen. Infos hier.

Donnerstag, 9. November – Magdeburg

Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt lädt zum 11. Magdeburger Klimadialog. Auf dem Podium stellte sich unter anderem Luise Neubauer von Fridays for Future den Fragen der Diskussionsteilnehmenden. Infos


📰 Klimaforschung und Menschheit

Steigender Stromverbrauch: Starke Auswirkungen von KI-Anwendungen

Durch Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz könnte der Anteil von Rechenzentren im weltweiten Stromverbrauch von fünf auf dreißig Prozent ansteigen. Davor warnt Ralf Herbrich, Geschäftsführer des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts und Leiter des Fachgebiets Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit gegenüber der Deutschen Presseagentur. Allein der Energiebedarf von Grafikkarten für das Training von KI-Modellen sei mit dem wochenlangen Betrieb hunderter von Backöfen vergleichbar. Der Datenwissenschaftler Alex de Vries aus Amsterdam vergleicht den Stromverbrauch durch die Nutzung einer KI-gestüzten Suchmaschine mit dem ganzer Länder. Hintergründe hat die Tagesschau.

Steigender Meerespiegel: Schelfeis könnte auch bei 1,5-Grad-Ziel komplett schmelzen

Das antarktische Schelfeis könnte auch in optimistischen Klimaszenarien komplett abschmelzen. Das betreffe auf ein schnelles und umfassendes Verringern der Treibhausgasemissionen und ein Erreichen des 1,5-Grad-Ziels, schreiben Forschende diese Woche im Fachblatt Nature Climate Change. Das Schelfeis nimmt eine stabilisierende Rolle für den westantarktischen Eisschild ein, indem es das Abfließen von Gletschern ins Meer bremst. Im Falle eines Abschmelzens hätte das gravierende Auswirkungen auf vom Schelfeis stabilisierte Gletscher landeinwärts. So würde ein komplettes Abschmelzen zu einem durchschnittlichen globalen Meeresspiegelanstieg von vier bis fünf Metern führen. Die Westantarktis gilt als der durch den Klimawandel am stärksten gefährdete Teil des südlichen Kontinents.

Steigende Hoffnung: Grönlands Eis womöglich etwas widerstandsfähiger

Der grönländische Eisschild ist womöglich widerstandsfähiger gegenüber der Erderwärmung als bisher gedacht. Das ergab eine Untersuchung des Potsdam-Instituts für Klimaforschung. Selbst bei einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 6,5 Grad bis zur nächsten Jahrhundertwende würde das bedeuten, dass das Grönlandeis vollständig zusammenbricht, sofern danach eine Abkühlung auf unter 1,5 Grad innerhalb weniger Jahrhunderte stattfinde. Es bestehe jedoch kein Grund zum Aufatmen, da auch ein vorrübergehendes Überschreiten kritischer Temperaturschwellen immer noch zu einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter führen könne. Hintergründe bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Wir haben hier eine kleine Umfrage vorbereitet, deren Ergebnisse uns bei unserer Arbeit helfen sollen, eine wichtige Geschichte in diesem komplexen Thema zu finden und zu erzählen.

Außerdem hier noch ein Hinweis auf eine Studie aus der Schweiz aus dem Jahr 2021, die zu ähnlichen Ergebnissen kam: Diese Woche nutzen wir diesen Platz für einen Glückwunsch. Der geht raus an fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Fraunhofer-Institut für Zellforschung und Immunologie (IZI) in Leipzig. Isabell, Claudia, Franzi, Daniela und weitere Mitarbeitende haben nämlich eine goldene Gießkanne gewonnen, eine ganz neue Auszeichnung von der Leipziger Umweltschutzorganisation Ökolöwe!

Wofür gibt es den Preis? Für die Pflege und Bepflanzung von Baumscheiben. Das sind die (in der Regel kahlen) Bereiche um Straßenbäume herum. Das Siegerteam allerdings hat die Bäume vor dem Institut mit jahreszeitlich wechselnden Blühkräutern bepflanzt, die Insekten reiche Mahlzeiten anboten. Zudem begründet die Jury die Auswahl so: „Neben der liebevollen, abwechslungsreichen und insektenfreundlichen Bepflanzung hat uns auch der gepflegte Zustand der Baumbeete des Fraunhofer-Instituts überzeugt. Rund ums Jahr ist zu sehen, dass Müll und Kippen regelmäßig entfernt und die Pflanzen kontinuierlich mit Wasser versorgt werden.“ Für diese hingebungsvolle Pflege gibt’s vom Klima-Update Team einen großen Applaus!

Herzliche Grüße von
Clemens Haug


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