Eine Frau betrachtet sich 2019 bei einem Kosmetikseminar für krebskranke Frauen im Spiegel.
Um sein neues Ich nach einer Chemo-Therapie schön zu finden, können Perücken, Haarbänder oder Mützen helfen. Bildrechte: IMAGO / KS-Images.de

Brustkrebs Diagnose Krebs: Wie kommen Erkrankte mit dem Haarausfall zurecht?

25. Mai 2023, 22:39 Uhr

MDR WISSEN Podcast-Host Daniela steht vor ihrer bislang härtesten Challenge. Im Frühjahr ist bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden. Gegen den bösartigen Tumor in ihrer Brust braucht Daniela Chemotherapie. Die hat zur Folge, dass ihre Haare ausfallen. Sich ohne Haare vor Kollegen zu zeigen, Moderationsjobs anzunehmen und Freunden und Eltern gegenüberzutreten, ist für Daniela eine ziemliche Umstellung. Was hilft, um sich mit dem neuen Ich anzufreunden?

Meine Challenge

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Folgen der Chemo-Therapie bei Erkrankten

Als klar war, dass Daniela eine Chemotherapie braucht, um den bösartigen Tumor in ihrer Brust loszuwerden, klärten die Ärztinnen sie darüber auf, welche Veränderungen ihr bevorstehen. Wer die Diagnose Krebs erhält und sich einer Chemotherapie unterziehen muss, dem steht auch der Verlust von Kopf- und Körperhaar bevor. Haare, Wimpern und Augenbrauen …

Ich hatte wirklich Schiss vor diesem Moment, mich zum ersten Mal mit Glatze zu sehen. Auch, weil ab jetzt alle sehen können: Sie ist krank.

Daniela, MDR WISSEN Podcasterin

Sich selbst die Haare vom Kopf in Büscheln ziehen zu müssen, ist ein einschneidender Moment. Es bedeutet nicht nur festzustellen, krank zu sein – gerade Haare sind für das Gefühl kraftvoll oder jugendlich zu sein bedeutsam. Es bedeutet auch, etwas von seinem alten Ich, seiner Identität, einzubüßen. Fragt man Daniela, was sie definiert, sind es auf jeden Fall auch ihre langen roten Haare, die sie seit mehr als zwei Jahrzehnten trägt.

MDR WISSEN Podcasterin Daniela Schmidt
MDR WISSEN Podcasterin Daniela Bildrechte: Karsten Möbius

Ähnlich wie Körperschmuck oder Kleidung können Haare identitätsstiftend sein. Weshalb Forschende auch untersucht haben, ob Symptome, die die Krankheit sichtbar machen, wie der Haarausfall, in Verbindung mit mentaler Gesundheit stehen. Das Ergebnis ihrer Untersuchung lautete: Von 638 Krebs-Erkrankten gaben über 80 Prozent an, dass Symptome, die ihr Erscheinungsbild veränderten, ihnen Sorgen oder Leid ("distress") verursachten. Frauen nahmen diese stärker wahr als Männer – so die Studie.

Aufklärung über Auswirkungen auf die Identität

Darauf, dass Frauen und Männern das Ausfallen der Haare durch eine Chemotherapie zu schaffen macht, weist eine weitere Studie aus England hin. Das Team untersuchte in explorativen Interviewsituationen, bei denen sich die Patientinnen und Patienten in lockeren Gesprächen unterhalten konnten, ihre Verarbeitung und Narrative in Bezug auf ihre Brustkrebs-Behandlung und verglichen diese im Anschluss. Erkenntnisse waren, dass es für Frauen einen Unterschied macht, ob sie ihren Krebs ohne Chemotherapie behandeln lassen können, oder eine Chemo durchstehen müssen. Und, dass sowohl Männer als auch Frauen die Veränderung ihres Aussehens negativ empfinden, da dadurch Attribute, die Einfluss auf ihre Identität haben, verändert oder ganz weggenommen werden.

Die Forschenden schlossen, dass es für Patientinnen und Patienten hilfreich ist, wenn sie von Ärztinnen, Ärzten und Krankenschwestern über mögliche Auswirkungen von Krebs-verursachtem Haarverlust auf die Wahrnehmung ihrer Identität aufgeklärt werden. Weiterhin fehlt es Männern an konkreten Angeboten, um mit dem ausfallenden Haar zurechtzukommen. Perücken können helfen. Die Finanzierung wird in der Regel allerdings von Krankenkassen nur für Frauen übernommen.

Der Ausfall des Kopfhaars – der medizinische Begriff lautet Alopezie – kann nicht nur physisch unangenehm sein, wenn die Kopfhaut empfindlich ist oder sich entzündet. Er kann auch Angst davor auslösen, als unattraktiv wahrgenommen oder angestarrt zu werden und infolgedessen das Selbstbild beeinträchtigen.

Wahrnehmung des Ichs und Selbstwert

Sich in der Situation wiederzufinden in erster Linie als Krebskranke identifiziert zu werden, kann schmerzvoll sein. Journalistin, Schwester, Freundin – all diese Facetten verschwinden hinter der Diagnose. Außerdem verändert sich das Aussehen und macht damit die Krankheit schmerzhaft bewusst. "Mir ist es mehrmals passiert, dass Menschen mich nicht erkannt haben. Kollegen zum Beispiel. Und das hat mir immer einen ganz extremen Stich versetzt. Das hat mich richtig traurig gemacht", sagt Daniela.

Neben den Auswirkungen der Krebs-Therapie wie Schmerzen, Übelkeit und einem geschwächten Immunsystem kommt für Erkrankte also noch eine weitere Baustelle hinzu: das veränderte Aussehen zu akzeptieren. Das neue Ich im Spiegel anzuschauen, macht Daniela nach wie vor unsicher. Das, was ihr dort aus dem Spiegel entgegenschaut, fühlt sich fremd an. Daniela: "Die Leute gucken oft, denn eine Frau mit Glatze ist nunmal ein Blickfang. Manchmal haben sich Leute auch wirklich nicht im Griff und glotzen und verstehen gar nicht, dass das sehr unangenehm sein kann."

Die Leute gucken oft, denn eine Frau mit Glatze ist nunmal ein Blickfang.

Daniela, Journalistin und Moderatorin

Ein Eindruck, den Daniela mit Patientinnen-Aktivistin Paulina Paulette bespricht. Sie hat ihre Krebs-Erkrankung in einem Blog verarbeitet. Sie lebt heute wieder krebsfrei. Auch Paulina Paulette hat den Haarausfall nicht ohne Weiteres weggesteckt. Als ihre Haare ausfielen, hatte sie Tränen in den Augen. "Es macht eben doch was mit dem Selbstwertgefühl und mit der Selbstbestimmung. Ich habe immer gedacht, ich hätte sie [die Haare] mir nicht abrasiert. Nie im Leben. Warum auch, also ohne Krebs? Warum?!"

Statt selbstbestimmt mit dem eigenen Körper umzugehen, nimmt der Krebs Personen oft jegliche Möglichkeit, eigenverantwortlich zu handeln, sagt Gregor Weißflog, Psychologe und Psychotherapeut am Universitätsklinikum in Leipzig. Ein Zustand, der, wenn die Haare ausfallen, besonders spürbar wird. Seine Haare selbst abzurasieren – wie Daniela – kann eine Möglichkeit sein, damit umzugehen.

"In dem Moment hat man eine Entscheidung getroffen. Ich glaube, das ist in dem Zusammenhang bei einer Krebserkrankung, wo die Ungewissheit die größte Rolle spielt und man so wenig Kontrolle darüber hat, was mit einem passiert, ein Punkt, wo man aktiv werden kann", sagt Psychologe Gregor Weißflog.

Ein Mann mit braunen Haaren steht draußen vor grünem Hintergrund und blickt in die Kamera.
Psychologe und Psychotherapeut Gregor Weißflog spricht mit Tumor-Patientinnen und Patienten, die in einer Krebs-Therapie Schwieriges durchstehen. Bildrechte: MDR / Gregor Weißflog

Es mag nach dem Haarausfall schwerfallen, sich an sein neues Aussehen zu gewöhnen und dieses zu akzeptieren. "Es ist ein ganz häufiger Vorgang, dass man in eine Vermeidung kommt und nicht mehr in den Spiegel schaut und das selber gar nicht sehen möchte. Aber tatsächlich ist es hilfreich, sich ganz bewusst mit dieser Veränderung auseinanderzusetzen." Die Konfrontation mit der Angst hilft sie zu überwinden.

Es ist ein ganz häufiger Vorgang, dass man nicht mehr in den Spiegel schaut.

Gregor Weißflog, Psychologe und Psychotherapeut am Universitätsklinikum in Leipzig

Hilfestellungen aus der Psychologie

Nur ist das oft leichter gesagt als getan. Deshalb bringt Gregor Weißflog in seiner Arbeit als Psychotherapeut Personen, die im Verlauf einer Krebstherapie ihre Haare verlieren oder sich äußerlich stark verändern, zunächst einmal dazu, sich folgende Fragen zu stellen: Was hindert mich eigentlich daran mich anzuschauen? Und: Was geht mir durch den Kopf? Sich bewusst vor den Spiegel zu stellen und sich anzuschauen, ist also ein erster Schritt, um sich mit einem neuen Aussehen anzufreunden.

Paulina Paulette im Portrait.
Patienten-Aktivistin und Bloggerin Paulina Paulette gibt Krebs-Erkrankten heute Perspektiven, damit sie nicht den Mut verlieren. Bildrechte: MDR/Paulina Paulette

Dass gerade der Moment, wenn die Haare ausfallen, so schwierig ist, hängt damit zusammen, dass Erkrankte gesellschaftliche Stigmatisierungen antizipieren und durchstehen müssen, so Paulina Paulette. "Ich werde verhältnismäßig oft nach diesem Moment gefragt. Und heute kann ich sagen: Es ist nicht meine Lieblingsfrage, weil es nachhaltig gesehen mit dem Verlauf meiner Erkrankung und der emotionalen Auseinandersetzung recht wenig zu tun hatte. Es war ein einschneidender Moment, aber der war dann auch so."

Personen, die sich heute fragen, ob sie jemals wieder in den Spiegel schauen und darin ihr altes Ich wiedersehen, möchte sie mit auf den Weg geben, dass es wichtig ist, Geduld zu haben. "Mir haben auf dem Weg dahin ganz viele Zwischenschritte geholfen. Wenn du die Haare wäschst, dann hör mal hin, wenn du Shampoo benutzt. Das knistert wieder. Das sind so die kleinen Momente, wo man denkt: Wah, ist das schön!"

Hinweis: Krebspatientinnen können sich von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin vor Beginn einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung eine Perücke verordnen und sich in einem Fachgeschäft beraten lassen. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten, so dass für die Patientinnen meist nur eine gesetzlich festgelegte Zuzahlung von 10 Euro entsteht.

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