Experiment mit Fleisch
Im EU-Referenzlabor für Rückstande von Tierarzneimitteln und Schadstoffen in Lebensmitteln tierischer Herkunft sind Forscher Lebensmittelfälschern und Fleischskandalen auf der Spur (Symbolbild). Bildrechte: imago images/Panthermedia

Lebensmittelsicherheit Auf der Spur der Fleischskandale – Besuch im deutschen Kontroll-Labor

22. Oktober 2021, 10:27 Uhr

Vor langer Zeit hat die EU entschieden, ein engmaschiges Kontrollsystem für etwa Tierarzneimittelrückstände, Lebens- und Futtermittel, Luftqualität, gentechnisch veränderte Organismen, Tiergesundheit, und andere Bereichen einzurichten. Für den Bereich Rückstandskontrollen von Tierarzneimitteln zum Beispiel gibt es nur drei Labore in der EU. Eines davon ist in Berlin. Doch was passiert in einem Referenzlabor? Was ist das Besondere an dieser Institution? MDR WISSEN-Reporter Peter Kaiser war dort.

Lebensmittelskandal um undeklariertes Pferdefleisch in den Niederlanden
50.000 Tonnen Fleisch wurden von den Behörden zurückgerufen
Fleischgroßhändler mischte Pferdefleisch ins Rindfleisch

Vielleicht sind Ihnen einige dieser Schlagzeilen aus den vergangenen Jahren noch in Erinnerung. Vor allem Funde eines Antirheumatikums für Sportpferde in Pizzas, Soßen oder Bolognese sorgten für große Empörung. Zu den vom Fleischskandal betroffenen Ländern gehörten zum Beispiel die Tschechische Republik, die Schweiz, Österreich oder Frankreich. Deutschland war ebenso betroffen. Dr. Joachim Polzer ist Leiter des deutschen EU-Referenzlabors für Rückstande von Tierarzneimitteln und Schadstoffen in Lebensmitteln tierischer Herkunft in Berlin-Marienfelde. Das Labor unterstützt auch die deutschen Kontrolleinrichtungen, denn die Hoheit liegt bei den Bundesländern. "EU-weit gibt es über 40 europäische Referenzlabore. Und in dem Bereich, in dem wir zuständig sind, gibt es noch zwei weitere, die sich auch um Tierarzneimittelrückstände kümmern, das eine ist in den Niederlanden und das andere ist in Frankreich."

Illegale Substanzen in der Tierzucht

Und dieses Labor in Berlin ist zuständig für vier Substanzgruppen. Etwa Stoffe, mit denen die Tiere mehr Muskelmasse als Fett herstellen. Damit lässt sich verbotenerweise bei der Tierzucht deutlich höherer Profit generieren. Dann kommen noch Aspirin und Ibuprofen, also Schmerzmittel dazu, ebenso Medikamente gegen Wurmerkrankungen.   

Prinzipielle Unterscheidungen sind zugelassene Tierarzneimittel und verbotene Tierarzneimittel.

Dr. Joachim Polzer, Leiter des EU-Referenzlabors

Um die geht es im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Berlin-Marienfelde zu dem das Referenzlabor für Rückstandskontrollen von Tierarzneimitteln gehört. Das Alleinstellungsmerkmal dieses EU-Labors ist, dass es chemische Untersuchungsmethoden für andere Nationale Referenzlabore und amtliche Kontrolllaboratorien entwickelt und deren sachgerechte Anwendung koordiniert, damit Tiere auf unerlaubt verabreichte Arzneimittel überprüft werden können. Das hört sich einfach an, ist jedoch recht komplex, sagt Joachim Polzer: "Zum Beispiel Muskelproben aufzuarbeiten und darin Rückstände zu finden, die sich in Konzentrationsbereichen bewegen von dem berühmten Zuckerwürfel im Bodensee, je nachdem, um welche Substanzen es sich hier handelt."

Probenfläschchen in einem Rondell unter einem Massensprektrometer-Analysegerät
Viele kleine Proben für den Chromatographen. Der kann in den Extrakten sogar kleinste Stoffmengen nachweisen. Bildrechte: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Wenn das Rindfleisch zur Hälfte Pferd ist

Pferde- statt Rindfleisch in Lasagne, sogenanntes Separatorenfleisch wie Mortadella, das aus Fleischresten mit geschredderten Knochen besteht, Gammelfleisch, das als Würstchen und Hamburger wieder in die Läden kommt… jährlich verdient die weltweit agierende Fleischmafia Millionen an gefälschtem Fleisch. Dem unerlaubten oder unsachgemäßen Einsatz von Tierarzneimitteln auf die Schliche zu kommen, sagt Chemikerin Dominique Lörchner vom EU-Referenzlabor, ist eine ständig neue Herausforderung. "Wir haben natürlich auch immer neue Substanzen, die ja hinzukommen in die Methoden. Dadurch ist es ein kontinuierlicher Prozess, die Methoden immer besser zu machen, und die Geräte werden immer empfindlicher."

Eine Methode, alle an der Überwachung beteiligten Labore auf einem einheitlichen Methodenniveau zu halten, ist eine sogenannte Eignungsprüfung, erklärt Chemikerin Dr. Ulrike Mülow-Stollin. "Also alle bekommen dieselbe Probe und analysieren diese dann mit ihren Methoden, die sie im Haus einsetzen. Und diese Proben werden bei uns hergestellt aus zum Beispiel Materialien aus Tierversuchen und auch aus Materialien aus dem Handel. Und die Laboratorien übermitteln uns, wenn sie das analysiert haben, ihre Ergebnisse, und wir werten diese dann statistisch aus."

"Die Kontrollen funktionieren"

Proben in Plastikbehältern
Die Vorbereitung der Proben heißt Festphasenextraktion. Mit dieser häufig eingesetzten Methode werden die Probenextrakte aufgereinigt, um die Analyse zu ermöglichen. Bildrechte: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Ganz selten seien Befunde, wo eine systematische missbräuchliche Anwendung aufgedeckt werde, so Mülow-Stollin. "Also zum Beispiel über die Beta-Agonisten haben wir über die Jahre ein paar positive Befunde, weniger als 0,05 Prozent. Dieses Jahr hatten wir überhaupt keinen positiven Beta-Agonisten-Befund. Also im Prinzip funktionieren die Kontrollen." Beta-Agonisten sind Mittel gegen Asthma und Durchblutungsstörungen, die sowohl bei Menschen als auch in der Veterinärmedizin angewandt werden. Sie haben Einfluss auf das Protein-Fett-Verhältnis und werden daher als Wachstumsförderer in der Tiermast angewandt, was in Europa verboten ist.

"Die Frage ist", sagt Joachim Polzer nachdenklich, "warum man versucht, illegale Tierarzneimittel zu verwenden?" Denn das sei mit einem hohen finanziellen und logistischen Aufwand verbunden. Eine Antwort kann sein, dass der konventionelle Bauer die Tiere immer schneller aufziehen muss, damit sie Geld einbringen. Beim Biobauern geht's langsamer, mit weit weniger Arzneimitteln. Darum ist das Fleisch auch teurer.