Experiment Ketamin könnte Alkoholsucht austrocknen

17. Dezember 2019, 10:09 Uhr

Wer Rauscherlebnisse positiv im Gedächtnis abgespeichert hat, sucht diesen Zustand immer neu: das Grundprinzip von Sucht. Bei einem Test mit 90 extrem "trinkfreudigen Menschen" konnte Ketamin den Alkoholdurst über einen längeren Zeitraum löschen. Macht der Versuch nun Ketamin zum Heilmittel gegen Alkoholsucht?

Ein fataler Teufelskreislauf, wenn jeder Abend erst ab einem gewissen Alkoholpegel lustig und schön wird: Denn immer dann, wenn ein Rausch positiv erlebt wird, speichert das Gehirn dieses Gefühl ab. Sobald diese abgespeicherten Erinnerungen hervorgeholt werden, passiert im Gehirn ein Prozess, der sich Rekonsolidierung nennt: Die positive Erinnerung wird aktualisiert - im Falle des Alkoholikers also die positive Rausch-Erfahrung. So wächst also mit der Erinnerung der Wunsch, sich bei nächster Gelegenheit wieder in diesen Zustand zu versetzen.

Doch genau an diesem Moment ist das Gedächtnis für kurze Zeit instabil - ein Zustand, den jetzt Forscher in der Suchtforschung benutzt haben, um die Erinnerung an genau dieser Stelle auszutricksen und sie neu zu belegen: Und zwar mit Hilfe von Ketamin. Es blockiert einen wichtigen Rezeptor im Gehirn, der eine Rolle bei der Rekonsolidierung von Erinnerungen spielt.

Dr. Ravi Das vom University College in London und Erstautor einer aktuellen Studie, die im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht wurde, erklärt, warum:

Wenn diese Erinnerungen einmal etabliert sind im Gedächtnis, ist es unglaublich schwer, stattdessen gesündere Assoziationen zu erlernen.

Dr. Ravi Das

Was ist Ketamin?

In der Medizin wird Ketamin normalerweise als Beruhigungs- und Schmerzmittel eingesetzt. Das Mittel machte allerdings auch als Partydroge als "Special K", "Kate" oder "Vitamin K" Furore wegen seiner halluzinogenen Wirkung. Unerwünschte Nebenwirkung sind u.a. psychische oder körperliche Abhängigkeit, Horrortrips mit Angstzuständen, Übelkeit, Lähmungserscheinungen oder Koma.

Der Ketamin-Versuch im Detail

Aber es scheint möglich zu sein, wie eine Studie mit 90 Versuchspersonen aus Großbritannien zeigt, die im Durchschnitt 74 Alkoholeinheiten pro Woche tranken (eine Einheit sind dort acht Gramm Alkohol), was zum Beispiel etwa 30 Glas Bier (ein engl. Pint sind 0,57 Liter) entspricht. Am ersten Tag erhielten sie ein Glas Bier, nachdem sie Fotos von Bier anschauten und ihren eigenen Trinkdrang beurteilen und den erwarteten Genuss bewerten sollten. Am zweiten Tag wurde ihnen das Bier während dieser Aufgabe unverhofft weggenommen - also in dem Moment, in dem das Belohnungsgedächtnis instabil ist.

Männer stoßen mit Biergläsern an
Nach Ketaminspritze hatten Probanden monatelang weniger Lust auf Bier Bildrechte: picture alliance / dpa | Jan Woitas

Am dritten Tag wurde einem Teil der Gruppe das Bier erneut weggenommen; stattdessen bekamen sie eine Spritze mit Ketamin. Diese Teilnehmer schilderten in den folgenden zehn Tagen, dass ihr Drang zum Biertrinken stark gesunken sei. Dieser Effekt hielt in den neun Folgemonaten an. Selbst wenn sie nur ein kleines Bier tranken, blieben Trinkdrang und Genussgefühl niedriger als bei den Testpersonen ohne Ketamin-Spritze.

Alkoholsucht: Mehr Forschung tut not

Ketamin gilt schon länger als zweischneidiges Schwert: einerseits als Rauschmittel missbraucht, wird es auch als Mittel zu Behandlung von Depressionen untersucht. Einig ist man sich in der Forschung darüber, dass es neue Ansätze zur Bekämpfung der Alkoholsucht braucht.

Ein Mann sitzt an der Bar.
Alkoholsucht - die Forschung darüber ist noch nicht sehr weit. Bildrechte: picture alliance / dpa | Tobias Felber

Das Suchtgedächtnis mit Ketamin neu zu schreiben ist aus Sicht des Neurologen Dr. Ben Becker, der in China an der Chengdu-Univesität lehrt und forscht, ein regelrecht revolutionärer Ansatz - verglichen mit anderen pharmakologischen Behandlungsmethoden wie der täglichen Medikamenteneinnahme mit teils erheblichen Nebenwirkungen. Celia Morgan, Psychopharmakologin und Professorin an der Universtät Exeter, ist skeptischer. Noch wisse man zu wenig darüber, wie lange dieses Änderung im Suchtgedächtnis anhalte sagt sie. Psychologie-Proffesor Matt Field von der Uni Sheffiled wertet das Experiment aus London als einen viel versprechenden Ansatz, der umfangreich weiterverfolgt werden sollte.

Link zur Studie

Die Studie mit dem Titel "Ketamine can reduce harmful drinking by pharmacologically rewriting drinking memories" ist in Nature Communications erschienen.

Anmerkung der Redaktion

In einer ersten Fassung hatten wir falsche Zahlen zum Alkoholkonsum der Probanden. Sie waren mit 10 Liter Bier zu niedrig. Das haben wir korrigiert.

LWL

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 13. August 2019 | 20:00 Uhr

2 Kommentare

MDR-Team am 28.11.2019

Lieber bert adorf,
danke für den Hinweis, Sie haben natürlich recht. Wir haben den Fehler umgehend korrigiert.
Freundliche Grüße aus der MDR-Wissen-Redaktion

bert adorf am 27.11.2019

"Extrem trinkfreudige Menschen" (original "heavy drinkers") mit 7,5 - 10 Litern Bier die Woche? Das sind 2-3 Bier am Tag, die hat ein trinkfreudiger Mensch zwischen Aufstehen und Frühstück. Das kann nicht stimmen und stimmt auch nicht.
Im BBC Beitrag dazu steht "about 30 pints a week", das sind bei britischen pints 17 Liter. Bei nature.com steht "74,09 UK units a week", das sind 593 Gramm Alkohol, entspricht nach meiner Rechnung etwa 15 Litern Bier.