Polymere gegen Resistenzen Deutsche Forscher entwickeln Alternativen zu Antibiotika
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27. Januar 2021, 14:00 Uhr
Immer mehr Bakterien werden resistent gegen Antibiotika. Jetzt stellen Forscher aus Potsdam einen ganz neuen Wirkstoff gegen die Mikroorganismen vor: Mikroplastik. Wissenschaftler in Lüneburg arbeiten daran, die existierenden Antibiotika umweltfreundlicher zu machen, damit sie nicht mehr im Trinkwasser landen.
Es gab eine Zeit, da war der Einsatz von Antibiotika oft das erste Mittel der Wahl. Ein entzündeter Hals: Antibiotika. Erste Anzeichen einer Blasenentzündung: Antibiotika. Auch bei der Produktion von Nahrungsmitteln, speziell bei Fleisch, Wurst, Eiern und Milchprodukten spielen Antibiotika eine Rolle, selbst in der Pflanzenproduktion. Und das blieb nicht ohne Folgen. Ein Team von Chemikern um Yujie Ben von der Technischen Universität in Shenzen, China, hat gerade ein neues Testverfahren entwickelt, mit dem sich bis zu 77 verschiedene Antibiotika in Lebensmitteln gleichzeitig nachweisen lassen. Als sie Lammfleisch, Milch und Eier, aber auch Weizenmehl, Kohl und Bananen testeten, fanden sie dabei insgesamt zehn Antibiotika und eines – Roxithromycin –, das in allen sechs Lebensmitteln vorkam. Die Folge dieser Übernutzung: Es haben sich mehr und mehr Bakterien entwickelt, denen die Medikamente nichts mehr anhaben können.
Plastikpartikel, die die Hüllen von Bakterien zerstören
Nach aktuellen Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation werden 2050 jährlich 10 Millionen Menschen an solchen resistenten Erregern sterben. Der Chemiker Matthias Hartlieb, Nachwuchsgruppenleiter an der Uni Potsdam, will diese Entwicklung aufhalten. Mit Plastik. Besser gesagt: Mit Polymeren: "Polymere umgeben uns in unserem gesamten Alltag. Als Plastik wird es Otto-Normal-Verbraucher kennen. Was wir machen sind kleine Moleküle, kleine Polymere, die wasserlöslich sind."
Hartlieb gehört zur Emmy Noether-Gruppe der Universität Potsdam, die in enger Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung an antimikrobiellen Polymeren arbeitet. Die Idee dahinter ist relativ rabiat. "Die Polymere, die wir machen, entsprechen dem Ansatz 'Feuer und Schwert'. Sie machen einfach die Hülle der Bakterien kaputt, ein Mechanismus, gegen den es kaum Resistenzen gibt."
Die größte Herausforderung ist dabei im Moment, die Polymere so einzusetzen, dass sie nur die schädlichen Bakterien angreifen – und nicht den menschlichen Körper. Ein Lösungsansatz dafür ist Zucker. "Spezifische Zucker könnten dafür sorgen, dass die Polymere nur an spezifischen Bakterien enden und nur da wirksam sind", erklärt Hartlieb. Eine andere Idee sei, dass ein Polymer so konstruiert werde, das es erst von bakteriellen Enzymen aktiviert werde.
Uni Lüneburg: Antibiotika umweltfreundlicher machen
Bis antimikrobielle Polymere aber tatsächlich einsatzbereit sind, dürften noch einige Jahre vergehen. Viel weiter ist die Wissenschaft dagegen bei dem Thema umweltfreundliche Antibiotika. Denn mehr und mehr Medikamente gelangen in unser Grund- und Trinkwasser. Hier werden sie zwar zerstört. Es entstehen aber neue Stoffe, erklärt Klaus Kümmerer, Professor für nachhaltige Chemie an der Leuphana Universität in Lüneburg: "Das sind neue organische Moleküle, die wir häufig gar nicht kennen. Wo wir nicht wissen, wie giftig, die sind, wie die sich verhalten. Es gibt Fälle, wo man zeigen konnte, manche sind weniger giftig als die Ausgangsstoffe und andere Fälle, wo sie giftiger waren."
Das Ziel von Kümmerer und seinem Team war die Mineralisierung von Antibiotika zu erreichen, das heißt, den vollständigen Abbau zu Kohlendioxid und Wasser und organischem Salz. Dafür haben sie das Design eines Antibiotikum geändert. "Wir haben sozusagen den Kern des Moleküls beibehalten, von dem man weiß, der ist wichtig für die Wirkung. Und haben Dinge, die man ändern kann, geändert."
Klinische Studien fehlen noch
Obwohl die Wissenschaftler die Wirkstoffe umweltverträglich umgebaut haben, erreichen sie eine annähernd gute Wirksamkeit wie das herkömmliche Antibiotikum. Für das abbaubare Antibiotikum hoffen die Wissenschaftler nun auf Interessenten aus der Pharmaindustrie. Denn bis zur Marktreife braucht es noch klinische Studien und das Zulassungsverfahren für neue Medikamente. Kümmerer ist auf jeden Fall überzeugt, dass sich diese Methode auch auf andere Medikamente und Chemikalien anwenden lässt. Und das könnte in der Zukunft den Chemiecocktail in unserem Grund- und Trinkwasser reduzieren.
jb/ens