Illustration von Mäusen, die sich an ihr speziell entwickeltes Weltraumhabitat an Bord der Internationalen Raumstation anpassen
Illustration von Mäusen, die sich an ihr speziell entwickeltes Weltraumhabitat an Bord der Internationalen Raumstation anpassen. Bildrechte: Center for the Advancement of Science in Space

Schwerelosigkeit Neues Medikament könnte Knochenschwund bei Astronauten bremsen

19. September 2023, 17:02 Uhr

Wer sich längere Zeit in der Schwerelosigkeit aufhält, verliert Knochenmasse. Doch möglicherweise kann dieser Knochenschwund mit einem Wirkstoff aufgehalten werden, der jetzt erfolgreich an Mäusen getestet wurde.

Ein neuer Wirkstoff kann den durch die Schwerelosigkeit im Weltall verursachten Schwund der Knochen möglicherweise weitgehend bremsen. Darauf deuten Ergebnisse eines Experiments hin, das auf der Internationalen Raumstation ISS an Mäusen durchgeführt wurde.

Astronauten verlieren bis zu einem Prozent Knochenmasse pro Monat

Ein Aufenthalt über viele Monate in der Schwerelosigkeit zeigt immer wieder: Der menschliche Körper ist dafür nicht gemacht. Während sich Muskeln und Knochen auf der Erde im Rahmen der normalen Alterung über Jahre und Jahrzehnte zurückbilden, geschieht das im Weltraum wie im Zeitraffer. Manchmal tritt sogar ein Verlust der Sehkraft auf. Besatzungsmitglieder der Internationalen Raumstation müssen deshalb täglich rund zwei Stunden Sport treiben. Doch auch die Bewegung kann nur einen Teil der Probleme lindern.

Satellit Eucropis des DLR 4 min
Bildrechte: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

Astronautinnen und Astronauten in einer niedrigen Erdumlaufbahn verlieren bis zu einem Prozent ihrer Knochenmasse pro Monat. Das führt zum Risiko von Knochenbrüchen während eines Langzeit-Raumflugs und im späteren Leben. Der Knochenschwund im All geht etwa zwölfmal so schnell, wie auf der Erde, berichtet ein Forschungsteam um Chia Soo der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) und des Forsyth Institute in Cambridge (Massachusetts). 

Die Injektion eines Moleküls soll den Knochenschwung verringern

Mechanische Belastung durch Sport ist derzeit die beste Lösung für das Problem, aber bei weitem keine perfekte Maßnahme, denn der Knochenabbau kann dadurch nicht immer verhindert werden. Deshalb prüfen Soo und Kollegen, inwiefern Nell-1 (Nell-like molecule-1) helfen kann. Das Molekül ist für die Knochenentwicklung und die Aufrechterhaltung der Knochendichte entscheidend.

Das Forschungsteam hat nun neue Ergebnisse veröffentlicht, wonach das therapeutische Potenzial von Nell-1 verbessert wurde, indem der langsame Zerfall des Wirkstoffs von 5,5 Stunden auf 15,5 Stunden verlängert werden konnte. Entsprechend verringert sich auch die Anzahl der Injektionen. Das modifizierte BP-Nell-Peg-Molekül weist zudem keine erkennbaren unerwünschten Nebenwirkungen auf. 

Die Testphase auf der ISS mit Labormäusen

Die Verabreichung des Moleküls wurde auf der ISS unter realen Weltraumbedingungen an Labormäusen getestet. Die Hälfte der Mäuse wurden neun Wochen lang der Schwerelosigkeit ausgesetzt (Term-Flug). Die andere Hälfte der Mäuse wurde bereits nach 4,5 Wochen nach dem Start zurück zur Erde gebracht (Lar-Flug). 

Bei dem Lar-Flug handelte es sich um die erste US-amerikanische Mission, bei der lebendige Tiere zurück zur Erde geholt wurden. Sowohl die Term- als auch die Lar-Fluggruppe wurden entweder mit BP-NELL-PEG oder mit phosphatgepufferter Kochsalzlösung (PBS) behandelt. Die Kontrollgruppen (Ground) auf der Erde wurden unter ähnlichen Bedingungen behandelt – jedoch unter der vorhandenen Schwerkraft der Erde.

Egal ob auf der Erde oder in der Schwerelosigkeit: Die Labormäuse, die BP-Nell-Peg bekommen hatten, zeigten eine signifikante Zunahme der Knochenbildung. Nachteilige gesundheitliche Auswirkungen konnten die Autoren nicht feststellen. Allerdings stehen einige Datenanalysen noch aus. Sollten sie erfolgreich sein, könnten als nächste klinische Studien an Menschen anstehen. 

Was bringen uns die Ergebnisse aus dem Weltraum auf der Erde?

Falls die Injektionen auch hier sichtbare Verbesserungen zeigen, kann dies Weltraumreisen noch sicherer machen. Denn auch in der Schwerelosigkeit besteht ein Verletzungsrisiko, wenn Knochenschwund nicht aufgehalten wird. Eine sichere und wirksame Behandlung dieses Problems könnte auch sogenannten Parastronauten den Weg ins All öffnen: Astronauten oder Astronautinnen mit körperlichen Einschränkungen. 

Die Internationale Raumstation
Der Blick auf die Erde von der Internationalen Raumstation ISS. Bildrechte: NASA

Abseits vom Weltraum kann die Behandlung für Patientinnen und Patienten auf der Erde nützlich sein, etwa bei Osteoporose.

Links/Studien

Die Studie wurde am 18. September 2023 im Fachmagazin Nature npj microgravity veröffentlicht: Bisphosphonate conjugation enhances the bone-specificity of NELL-1-based systemic therapy for spaceflight-induced bone loss in mice (engl. Bisphosphonat-Konjugation verbessert die Knochenspezifität einer systemischen Therapie auf der Grundlage von NELL-1 gegen den durch den Weltraumflug verursachten Knochenverlust bei Mäusen). 

pk

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