Mumie von oben auf einer Art Pritsche, Metallfläche drum herum. Linker Arm gerage über Brust hinweg nach rechts liegend, rechter Arm ausgestreckt nach schräg unten.
Von allen beglotzt: Ötzi. Bildrechte: Südtiroler Museum für Archäologie/Eurac/Marco Samadelli-Gregor Staschitz

Gen-Analyse Gletschermumie Ötzi: Isoliert, gesund und gar nicht so tirolerisch

17. August 2023, 07:05 Uhr

Eine neue Gen-Analyse wirft erstmals einen Blick auf die familiären Wurzeln der Gletschermumie Ötzi. Seine Vorfahren kamen nämlich nicht aus den Alpen. Und sein Äußeres entspricht nicht unserem bisherigen Bild. Relativ klar ist jetzt auch: Er muss einen gesunden Lebensstil gehabt haben. An den neuen Erkenntnissen sind auch Forschende aus Mitteldeutschland beteiligt.

Schon allein das Wort Gletschermumie ist nicht sonderlich schmeichelhaft. Aber wenn Ötzi damals vor über 5000 Jahren gewusst hätte, wofür sein eisgekühlter Nachlass alles herhalten muss – seiner jetzt als isoliert beschriebenen Herkunft zufolge hätte ihn das jahrzehntelange Tamtam wahrscheinlich eher beunruhigt. Seit dem Sensationsfund im September 1991 – immerhin als älteste menschliche Mumie der Welt – konnte uns der jungsteinzeitliche Bursche einiges über das Leben damals verraten.

Wir kennen seine Schuhe, sein Leibchen, sein Kupferbeil. Ein Asteroid wurde nach ihm benannt und ein DJ. In einem autobahnnahen Kreisverkehr in Bozen steht seine Silhouette als Denkmal in einen Mamorblock gestanzt – in jener alpin-mediterranen Stadt, in der sein Körper im Museum seit Ende der Neunziger von Schaulustigen begutachtet werden kann. Und die Frage, ob er nun Österreicher oder Italiener ist, kann nicht abschließend geklärt werden – sie verändert sich je nach Gletscherzustand.

Nix Jäger und Sammler

Zumindest was seine Familiengeschichte betrifft, ist Ötzi weder mit dem Mittelmeerstaat noch der Alpenrepublik verbandelt. So zumindest das Ergebnis einer aktuellen Gen-Analyse, die jetzt im Fachblatt Cell Genomics erschienen ist. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird Ötzis DNA untersucht, bereits 2011 wurde bekannt, dass er braune Augen hatte und laktose-intolerant war. Seitdem hat die Gen-Sequenzierung beachtliche Fortschritte gemacht.

Die neue Analyse verrät mehr über seine Herkunft, Ötzis Vorfahren waren sozusagen migrantischen Ursprungs. "Wir waren sehr überrascht, in der jüngsten Analyse des Genoms des Mannes aus dem Eis keine Spuren osteuropäischer Steppenhirten zu finden. Auch der Anteil der Gene von Jägern und Sammlern in Ötzis Genom ist sehr gering", sagt Johannes Krause. Er ist Direktor für Archäogenetik am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Co-Autor der Studie. "Genetisch scheinen seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen zu sein, ohne sich mit Jägern und Sammlern zu vermischen." Ötzis Familiengeschichte führt also in die heutige Türkei.

Werbedarstellung in Bozen zeigt Ötzi als älteren Steinzeit-Mann mit hellerer Hautfarbe und längerem Haar. Links vermutlich Bahnhofschild "Bolzano, Bozen", im Hintergrund Berge.
Helle Haut, langes Haar – wir müssen unser Ötzi-Bild überdenken und auch die Werbung wird sich anpassen müssen. Bildrechte: imago/Udo Gottschalk

Das trifft zumindest für 91 Prozent seines Erbguts zu. Frühackerbauern kamen ab vor etwa 9000 Jahren aus dem Nahen Osten und brachten die bis dahin unbekannte Landwirtschaft nach Europa. Und die übrigen knapp neun Prozent? Dieser Teil des Genoms stammt von europäischen Wildbeutern. Das Forschungsteam schließt daraus, dass Ötzi aus einer relativ isolierten Bevölkerung in den Alpen stammt, die nur wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen hatte.

Gesunder Lebensstil: Keine Fettleibigkeit trotz Veranlagung

Die neuen Erkenntnisse betreffen auch unser Bild von Ötzi, das in Illustrationen und Modellen festgehalten ist. Wir müssen es wohl beiseiteschieben, denn Ötzis Haut war der Analyse zufolge sehr dunkel. Deutlich dunkler als nach heute für Südeuropa geltenden Maßstäben. "Es ist der dunkelste Hautton, der bei zeitgenössischen europäischen Individuen festgestellt wurde", erklärt der Anthropologe Albert Zink, Mitautor der Studie und Leiter des Eurac-Forschungsinstituts für Mumienstudien in Bozen. "Bisher ging man davon aus, dass sich die Haut der Mumie während der Konservierung im Eis verdunkelt hatte, aber vermutlich handelt es sich bei dem, was wir jetzt sehen, weitgehend um die ursprüngliche Hautfarbe von Ötzi. Das zu wissen, ist natürlich auch für die ordnungsgemäße Konservierung der Mumie wichtig."

Und auch sein kahler Kopf ist nicht eisbedingt. Der ursprünglich schwarzhaarige Ötzi neigte als reifer Mann stark zu erblich bedingtem Haarausfall. Auch Gene, die ein erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes aufweisen, wurden in Ötzis Genom gefunden, allerdings dürften diese Faktoren dank seines gesunden Lebensstils nicht zum Tragen gekommen sein. Nach all den Bürden einer historischen Berühmtheit, die der alpin-anatolische Landwirt schon durchmachen musste, setzt der neue Fokus auf seine Äußerlichkeiten dem Rummel jetzt also noch die Krone auf. Und zeigt: Europa war schon in der Jungsteinzeit ein bunter Kontinent.

flo

Links/Studien

Die Studie High-coverage genome of the Tyrolean Iceman reveals unusually high Anatolian farmer ancestry erschien am 16. August 2023 in Cell Genomics.

DOI: 10.1016/j.xgen.2023.100377

1 Kommentar

Peter vor 37 Wochen

Jedem an dieser Thematik Interessierten sei das Buch "Die Reise der Gene" des im Beitrag erwähnten Wissenschaftlers Johannes Krause empfohlen. Spannend zu lesen, woher unsere Vorfahren kommen und mit wem wir verwandt sind.