Forschung Universität Leipzig Elitenforscher: "Die Unterrepräsentanz der Ostdeutschen gefährdet die Demokratie"
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13. Mai 2024, 17:12 Uhr
Während Ostdeutsche in der Politik gut repräsentiert sind, sieht es in Justiz und Wirtschaft mit mageren zwei bis vier Prozent recht bescheiden aus. Was eine Unterrepräsentanz von Ostdeutschen und Migranten für die Gesellschaft und die Demokratie bedeutet, erklärt Dr. Lars Vogel, Elitenforscher an der Universität Leipzig. Kürzlich sind die Ergebnisse der von ihm mit verfassten interuniversitären Studie im Sammelband "Ferne Eliten" erschienen.
Herr Vogel, seit Jahren wird darüber diskutiert. Brauchen wir eine Ost-Quote?
Wenn man das Ziel definiert, dass Ostdeutsche entsprechend ihres Bevölkerungsanteil in den Eliten ankommen sollen, könnte man über eine Ost-Quote sprechen. Ostdeutsche sind lediglich zu 11,2 Prozent in Elitenpositionen vertreten. Bei einem Bevölkerungsanteil von 19 Prozent ist das deutlich unterrepräsentiert. Allerdings wäre eine Ost-Quote das schärfste Instrument und birgt einige Schwierigkeiten. Wie definieren Sie zum Beispiel das Ostdeutsch-Sein? Ich bin generell nicht für Quoten, doch ich halte es für falsch, eine Ost-Quote von vornherein zu auszuschließen. Allein die Diskussion kann dazu führen, dass Aufmerksamkeit entsteht.
Bei Frauen ist die Quote auch erfolgreich!
Leider funktioniert sie gerade bei den freiwillige Selbstverpflichtungen recht leidlich – obwohl dies wahrscheinlich eher an der Freiwilligkeit liegt. Ich betone noch einmal: Es ist fast unmöglich, "den Ostdeutschen" zu definieren. Jetzt 34 Jahre nach der Wiedervereinigung hat sich die Zugehörigkeit verwachsen, es gibt unheimliche viele Mischformen. Die Quote kann Mittel zum Zweck sein, aber nicht die Lösung. Wichtig ist, die Aufmerksamkeit hochzuhalten, das Problem erledigt sich nämlich nicht von selbst. Mittlerweile wird die Unterrepräsentanz immerhin zur Kenntnis genommen.
Migranten sind mit 8,9 Prozent in den Eliten noch unterrepräsentierter als Ostdeutsche. Warum?
Während Ostdeutsche zumindest in der Politik gemäß ihres Bevölkerungsanteils vertreten sind, ist es bei Migranten überhaupt nicht so. Sie sind in der Kultur präsenter. Allerdings handelt es sich hier mit vielen Künstlern aus den USA und Westeuropa vor allem formal um Menschen mit Migrationshintergrund. Doch Gastarbeiter-Nachkommen oder Geflüchtete machen nur einen verschwindend geringen Anteil aus. Bei den Migranten ist die Situation also noch viel dramatischer.
Warum ist es überhaupt gesellschaftlich relevant, dass Ostdeutsche und Migranten bei den Eliten vertreten sind?
In der Demokratie gehört es zur normativen Vorstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit, dass alle Angehörige verschiedener Gruppen die gleichen Chancen haben, aufzusteigen. Abgesehen davon verschenkt man sich Lösungsansätze für drängende Probleme der Gesellschaft. Die meisten Eliten sind männlich und westdeutsch geprägt. Personen mit anderen Hintergründen und Lebensläufen bringen ganz andere Perspektiven. Drittens könnten Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund auch stärker Interessen von Ostdeutschen und Migranten vertreten. Obwohl man hier natürlich auch sagen muss, dass die politische Repräsentation vorrangig durch Parteien und nicht durch Gruppeninteressen geprägt ist.
Doch es gibt auch viele Stimmen, die meinen, viele Ostdeutsche hätten gar keine Lust auf Führungspositionen?
Es gibt wenige Hinweise, dass Ostdeutsche und Migranten weniger Motivation haben, aufzusteigen. Hier muss man entscheiden, was Ursache und Wirkung ist. Viele passen ihre Motivation an, wenn die Chance gering ist, aufzusteigen. Doch bleiben wir bei den Folgen der Unterrepräsentanz für die Gesellschaft.
Gerechtigkeit, neue Lösungsansätze, Interessenvertretungen, Sie haben die Folgen schon skizziert!
Ein ebenso entscheidendes Argument für mehr Eliten unter Ostdeutschen und Migranten ist das Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft. Wir haben festgestellt, dass diejenigen Ostdeutschen, die sich nicht repräsentiert sehen, sich als Bürger zweiter Klasse fühlen.
Seit Jahren wird darüber diskutiert. Worin sehen Sie das Problem?
Die Unterrepräsentanz der Ostdeutschen gefährdet die Demokratie. Fühlen sich Menschen nicht repräsentiert, führt das zur Abkehr vom etablierten demokratischen System. Dann hilft auch nicht, dass man ihnen erklärt, was sie theoretisch für Teilhabemöglichkeiten haben. Wenn sie das selbst für sich nicht so erleben, auch nicht in ihrem Umfeld, sinkt der Glaube an ein demokratisches System, in dem man mitgestalten kann.
Ein hartes Urteil…
Demokratische Teilhabe und Mitgestaltung ist ja nicht allein auf Wahlen beschränkt. Sie betrifft ja auch die Besetzung von Spitzenpositionen in Wirtschaft, Medien, Justiz, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen et cetera. Die nicht gefühlte Teilhabe führt zur Distanz zum System. Man glaubt einfach nicht mehr, dass man mitgestalten kann, wenn man sieht, die eigene Gruppe hat nicht die gleichen Chancen. Wer sich vom System abwendet, kann sich radikalisieren. Diese Radikalisierung in der Gesellschaft haben wir ja leider auch gerade bei dem Angriff auf den Europapolitiker Matthias Ecke erlebt.
Gilt das auch für Migranten? Eine Studie der TU Dresden hatte ja erst diese Woche festgestellt, dass auch ein Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund skeptisch auf das deutsche Grundgesetz blicken?
Bei Migranten beeinflusst die Unterrepräsentation das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, nicht. Das hat einfache Gründe. Migranten sind viel stärker damit beschäftigt, den Alltag zu meistern. Außerdem sind Menschen mit Migrationshintergrund viel heterogener als die Ostdeutschen. Sie würden sich auch nie als eine Gruppe begreifen. Bei den Ostdeutschen hingegen gibt es teilweise schon so etwas wie eine Identität. Für das Problem, nicht dazuzugehören, ist es ja wichtig, dass man sich selbst als Ostdeutscher versteht. Sie sind näher dran, Teilhabe ist für sie zum Greifen nah, doch in vielen Fällen eben doch weit weg.
Sie meinten Ostdeutsche sind in der Politik gut vertreten. Ist doch prima! Wo ist das Problem?
Die Politik ist der einzige von uns untersuchte Bereich, in dem es genügend ostdeutsche Eliten gibt. Ganz anders sieht es in der Justiz und in der Wirtschaft aus. Hier sind lediglich zwei und 4,5 Prozent der Ostdeutschen in Elitepositionen vertreten. Das ist enorm wenig. In den Medien und der Kultur ist es auch nicht viel mehr – lediglich acht Prozent. Bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen und in den Gewerkschaften sieht es mit 13 Prozent sowie schon etwas besser aus, auch in der Verwaltung mit 14 Prozent.
Keine Quote – was kann getan werden?
In dem Projekt "Elitenmonitor" erarbeiten wir gerade Handlungsempfehlungen. Das Problem löst sich nicht von allein, dessen müssen wir uns alle bewusst sein. Eine Sensibilisierung kann viel erreichen. Wenn Personaler beispielsweise sensibler gegenüber ostdeutschen Lebensläufen werden, lässt sich viel bewirken.
Warum?
Hier gibt es andere Universitäten, Phasen der Umbrüche und Neuorientierungen. Sie weichen einfach ab von den Standards vieler Lebensläufe. Gleichzeitig können Führungskräfte sensibilisiert werden, bestimmte Leute nicht zu bevorzugen und umgekehrt – ähnlich wie bei Frauen – Ostdeutsche gezielt anzusprechen, ob sie nicht die Führungsposition übernehmen wollen. Gleichzeitig können ostdeutsche in Mentoren-Programmen mitgedacht werden und für das Studium und Stipendien sensibilisiert werden. Die Studierneigung im Osten ist immer noch geringer und für eine Elitenposition braucht man meist ein Studium.
Zur Studie
Politikwissenschaftler und Elitenforscher Lars Vogel ist Mitherausgeber und -autor des kürzlich erschienenen Sammelbands "Ferne Eliten. Die Unterrepräsentation von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund." Das Buch bündelt die Ergebnisse einer interuniversitären Studie von 2018 bis 2021, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. Im Nachfolge-Projekt "Elitenmonitor“ erforscht Vogel mit Wissenschaftler:innen in Leipzig, Jena und Zittau/Görlitz die Befunde weiter und entwickelt Handlungsempfehlungen.
Links zur Originalstudie
- Ferne Eliten. Die Unterrepräsentation von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund“, herausgegeben von Raj Kollmorgen (Hochschule Zittau/Görlitz), Lars Vogel (Universität Leipzig) und Sabrina Zajak (DeZIM-Institut, Berlin),
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-42492-3
- Aktuelles Projekt: https://research.uni-leipzig.de/elitenmonitor
- Einen Überblick gibt es auch im Jahresbericht zru Deutschen Einheit
- Ähnliche Studie: "Gleiche Teilhabe oder dauerhafte Nachteile? Die Chancen von Ostdeutschen auf Führungspositionen", doi.org/10.1515/zfsoz-2024-2004
(tomi)
weils so nicht unwidersprochen bleiben darf vor 29 Wochen
Nicht nur in der Wirtschaft, auch in "der Politik" fühlt sich "der Osten" weiterhin
unterrepräsentiert. Was daran liegt, dass es zwar Ostdeutsche in politischen Führungspositionen gibt, dass diese aber weitgehend nach Kriterien "des Westens" für diese Führungspositionen ausgewählt werden. Es ist mittlerweile fast die Hälfte der Ost-Wähler, die Parteien wählen, deren Abgeordnete bei der Postenvergabe systematisch ausgegrenzt werden; die Ost-Quoten füllen sich dann mit den "Ost"-Abgeordneten der andenen 50% - was in den Augen der (anderen) Wähler zum Schaden noch den Spot fügt.
Was soll man aber auch machen, wenn sich "der Osten" beharrlich weigert, das zu wählen, was "der Westen" für richtig hält!?
Wilhelm vor 30 Wochen
Steile These, dass die "Unterrepräsentanz" von Ostdeutschen und Zugezogene die Demokratie gefährdet. Seit den 1950er Jahren gibt es die "Gastarbeiter/-innen" in D. Ihre Repräsentanz in den deutschen Vereinen, Organisationen, etc. ist noch immer eher marginal. War deshalb die Demokratie gefährdet? Eher ist zu vermuten, dass D. bewusst und/oder eher linkisch (z. B. Wahlwiederholung in Berlin) aktiv daran arbeiten, die Demokratie infrage zu stellen.