Wissen-News Videobeweise führen nicht immer zu fairen Entscheidungen

25. Juli 2024, 12:34 Uhr

In einigen Fällen können Videobeweise in Sportveranstaltungen zu fairen Entscheidungen führen. Wenn es jedoch um Fouls geht, führen Zeitlupenaufnahmen zur Annahme, dass der Handelnde mehr Zeit zur Abwägung seiner Tat hatte.

Videobeweise im Sport führen immer wieder zu Diskussionen. Das zeigt auch der Auftakt des olympischen Fußballturnier der Männer in Frankreich am 24. Juli. Weltmeister Argentinien schoss gegen Marokko in der 16. Minute der Nachspielzeit den vermeintlichen Ausgleich zum 2:2. Daraufhin stürmten wütende marokkanische Fans das Spielfeld in Saint Etienne. Der Schiedsrichter schickte die Mannschaften in die Kabinen. Entgegen der Überzeugung der meisten Zuschauer und Medien war das Spiel aber noch nicht zu Ende. Nach zwei Stunden holte der Referee beide Teams zurück auf den Rasen des inzwischen geräumten Stadions. Dann annullierte er nach Videobeweis den argentinischen Treffer, so dass Marokko letztlich mit 2:1 gewann.

Studien zeigen: Entscheidungen "situationsabhängig"

Mithilfe modernster Videotechnik können in vielen Sportarten Situationen noch einmal angeschaut und Entscheidungen untermauert oder revidiert werden. Das soll zu gerechteren Ergebnissen führen – was jedoch situationsabhängig ist, geht aus zwei Studien hervor, an denen Forschende der Universitäten Jena, Gießen und der Fernuniversität Hagen beteiligt waren.

Zeitlupen können fraglos dabei helfen, korrekte Entscheidungen zu treffen, wenn es darum geht, ob ein Ball im Feld, im Aus oder im Tor war, ob ein technisches Element korrekt ausgeführt wurde oder wer zuerst die Ziellinie überquert hat.

Geht es allerdings um ein Foul oder ein unerlaubtes Handspiel, ist es fraglich, ob eine Zeitlupe immer zu einer faireren Entscheidung führt. Denn eine Zeitlupe beeinflusst die Wahrnehmung der Schiedsrichter. Diese unterstellen dem Handelnden dann häufig eine höhere Absicht und bestrafen die Person dadurch mitunter härter.

Das Experiment zur Zeitwahrnehmung

In Zeitlupenaufnahmen können Details entdeckt werden, die in realer Geschwindigkeit verborgen bleiben – die Dinge werden somit anders wahrgenommen als in der realen Geschwindigkeit.

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MDR aktuell 17:45 Uhr Di 11.06.2024 17:45Uhr 01:24 min

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Video

In einem Experiment sollten Probanden die zeitliche Komponente, also die Videogeschwindigkeit oder Dauer, oder die Absicht der Handelnden beurteilen. Unter den Videoausschnitten befanden sich auch viele Sportszenen. Die Probanden konnten nur schwer einschätzen, "wie sehr ein Video in seiner Geschwindigkeit verändert wurde", erklärt die Psychologin Laura Sperl (FernUniversität in Hagen) in einer Pressemitteilung.

War eine Szene beispielsweise in der Realität zwei Sekunden lang und in der Zeitlupe acht, haben die Teilnehmenden die Originalszene in der Regel länger als zwei Sekunden eingeschätzt. Den Handelnden wurde von den Probanden unbewusst jedoch eine höhere Absicht unterstellt, wenn die Szene in Zeitlupe betrachtet wurde. Der Betrachter bekommt den Eindruck, dass dem Handelnden mehr Zeit zur Verfügung stand und dieser dadurch seine Handlung planen konnte.

"In unserer Forschung können wir zwar feststellen, dass den Handelnden in Zeitlupe mehr Absicht unterstellt wird. Ob die ‚echte‘ Intentionalität jedoch besser in der Zeitlupe oder in der realen Geschwindigkeit zu erkennen war, können wir nicht sagen", erklärt die Psychologin. Dafür benötigt es weitere Forschung.

pk

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 24. Juli 2024 | 21:00 Uhr