Schwarzer junger Mann sitzt bei Hausärztin. Laptop auf dem Tisch, Klemmbrett, im Hintergrund Pflanze. Beide tragen eine medizinische Maske.
In den USA gibt es große Unterschiede in der medizinischen Versorgung zwischen Weißen und Menschen anderer Bevölkerungsgruppen. (Symbolbild) Bildrechte: imago/Science Photo Library

Medizinische Versorgung Struktureller Rassismus: Schwarze haben in den USA bei Vorsorge und Lebenserwartung das Nachsehen

10. März 2023, 18:00 Uhr

Hausarztbesuche, Krebsvorsorge und Lebenserwartung: Mehrere Studien haben jetzt dargelegt, wie Menschen aus ethnischen Minderheiten in den Vereinigten Staaten vom Gesundheitssystem benachteiligt werden. Und dass das auch mit der Krankenversicherung zusammenhängt.

Für Europäerinnen oder Europäer, die zwischen Dublin und Nikosia unionsweit zumindest so etwas wie eine medizinische Grundversorgung genießen, ist das Krankenversicherungssystem der Vereinigten Staaten wenig bis gar nicht nachvollziehbar. Oder sagen wir: ein Kopfschüttelsystem. Der größte Teil erfolgt über eine freiwillige private Krankenversicherung – entweder selbst oder über den Arbeitgeber abgeschlossen. Die staatliche Fürsorge springt mit einer Basisversicherung bei einkommensschwachen Menschen ein – Medicaid, so der Name – oder bei Menschen mit Behinderung und jenen ab 65 als eine Pflichtversicherung, Medicare.

Die Sache hat verschiedene Haken: Manche können sich keine Privatversicherung leisten, verdienen aber zu gut für Medicaid. Manche bekommen keine private Versicherung aufgrund von Vorerkrankungen. Und manche wollen sich schlichtweg nicht versichern lassen, womöglich in der Annahme, potenziell anfallende Gesundheitskosten selbst stemmen zu können. Das führt zu vielen Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern ohne Versicherungsschutz.

Versicherungssystem benachteiligt Nicht-Weiße

Das System benachteiligt insbesondere Menschen, die nicht der weißen US-amerikanischen Bevölkerungsmehrheit zugerechnet werden. In einer neuen Studie im Fachjournal JAMA Network Open wurden dazu die Zusammenhänge zwischen Versicherungsstatus und Zeitpunkt der Diagnose von Gebärmutterhalskrebs bei fast 24 000 Frauen untersucht. Die Forschende haben erkannt, dass überdurchschnittlich viele weiße Frauen eine Diagnose im frühen Stadium erhielten. Bei schwarzen Frauen lag die Wahrscheinlichkeit jedoch höher, eine Diagnose in einem späteren Stadium zu erhalten. Zudem gab es Zusammenhänge im Versicherungsschutz: Wenn die Frauen eine private Krankenversicherung hatten oder Medicare wahrnehmen konnten, war eine Früherkennung wahrscheinlicher als bei Frauen mit Medicaid oder gar keiner Versicherung.

Die Forschenden konnten einen Zusammenhang zwischen Krankenversicherung und Zeitpunkt der Erkennung bei mehr als der Hälfte der Frauen erkennen. Frauen aus ethnischen Minderheiten hatten im Vergleich zu weißen Frauen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, zum Zeitpunkt der Diagnose nicht versichert zu sein. Auch mit einem Erstscreening sei es "sowohl bei nicht versicherten Personen als auch bei Personen mit Medicaid-Versicherung wahrscheinlicher, dass sich der Zugang zu den folgenden diagnostischen Verfahren verzögert, die für eine tatsächliche Krebsdiagnose erforderlich sind", schreiben die Forschenden.

Kürzere Behandlungszeiten, unangemessene Medikamente

Eine ebenfalls aktuelle Studie in JAMA Health Forum hat indes interessante Zusammenhänge beim Besuch der Hausärztin oder des Hausarztes festgestellt. Je kürzer die Untersuchung, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Patientinnen und Patienten ungeeignete Medikamente verschrieben bekamen, zum Beispiel unangemessene Antibiotika bei Atemwegsinfektionen. Der Studie wurden über acht Millionen Hausarztbesuche von über vier Millionen Patientinnen und Patienten zugrunde gelegt.

Kurze Besuche waren bei Menschen mit einer staatlichen Versicherung, Schwarzen und Hispanos wahrscheinlicher als bei Privatversicherten, obwohl die im Durchschnitt gesünder sind. "In ähnlicher Weise waren die Arztbesuche bei Patienten mit schwarzer Hautfarbe im Durchschnitt kürzer als bei weißen Patienten, die denselben Arzt aufsuchten", schreibt das Forschungsteam. "Diese Unterschiede auf der Ebene der Arztbesuche können sich im Laufe der Zeit akkumulieren [anhäufen] und möglicherweise zu den ethnischen Unterschieden bei der Zeit, die Patienten pro Jahr bei ihren Ärzten verbringen, beitragen."

Struktureller Rassismus zeigt sich in Lebenserwartung

Sie schreiben weiter: "Unsere Analysen können nicht erklären, warum diese Unterschiede bestehen, sollten aber Organisationen und politische Entscheidungsträger dazu motivieren, die zugrundeliegenden systemischen Ursachen, wie zum Beispiel strukturellen Rassismus, zu erkennen, zu hinterfragen und anzugehen."

Wie weitreichend die tatsächlichen Folgen der Untersuchungsergebnisse sein können, beschreibt eine aktuelle Studie, die ebenfalls in JAMA Network Open erschienen ist. Mit ihr lassen sich die anderen beiden Untersuchungen sozusagen überschreiben: In den USA gibt es große Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Schwarzen und Weißen, das ist soweit bekannt. Forschende beschreiben hier aber über 66 000 Sterbedaten auf einer detaillierten Ebene für drei große US-Metropolen, nämlich in den geografisch, demografisch und sozioökonomisch sehr unterschiedlichen Städten Los Angeles (Kalifornien), Houston (Texas) und Baltimore (Maryland). In Los Angeles lebten Weiße im Schnitt neuneinhalb Jahre länger, in Houston acht Jahre und in Baltimore siebeneinhalb.

Todesursachen, die am häufigsten zum Unterschied zwischen der Lebenserwartung von Schwarzen und Weißen beitrugen, waren Kreislauferkrankungen, Krebs, Verletzungen (insbesondere bei Männern), Diabetes und Hormonstörungen. Den größten Beitrag lieferten Kreislauferkrankungen in Los Angeles und Houston sowie Verletzungen in Baltimore.

Alle drei Forschungsgruppen eint, mit ihren Daten Bewegung in die Bekämpfung des strukturellen Rassismus im Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten bringen zu wollen. Neben nationalen Bestrebungen brauche es auch vor allem Analysen, die die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen, um mit Maßnahmen die Ungleichheit zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen zu verbessern.

flo

Links/Studien

Mediation of Racial and Ethnic Inequities in the Diagnosis of Advanced-Stage Cervical Cancer by Insurance Status
DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.2985

Association of Primary Care Visit Length With Potentially Inappropriate Prescribing
DOI: 10.1001/jamahealthforum.2023.0052

Life Expectancy Gaps Among Black and White Persons and Contributing Causes of Death in 3 Large US Cities, 2018-2019
DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.3146

6 Kommentare

MDR-Team am 12.03.2023

Hallo Skywalker,
zum einen ist es schwierig das Gesundheitssystem der USA und Deutschland direkt miteinander zu vergleichen, da die Unterschiede in vielen Bereichen groß sind. Zum anderen beschreiben sie rein Probleme mit einer privaten Versicherung. Die hier vorgestellten Studien gehen allerdings weit darüber hinaus. Ein Beispiel: "Arztbesuche bei Patienten mit schwarzer Hautfarbe waren im Durchschnitt kürzer als bei weißen Patienten, die denselben Arzt aufsuchten".

MDR-Team am 12.03.2023

Hallo ElBuffo,
es hat doch niemand behauptet, dass Rassismus die Ursache für diese Erkrankungen ist. Doch der strukturelle Rassismus im amerikanischem Gesundheitssystem führt eben dazu, dass Menschen die nicht zur weißen US-amerikanischen Bevölkerungsmehrheit gehören, medizinisch schlechter behandelt werden und deshalb an diesen Erkrankungen häufiger sterben.
Freundliche Grüße aus der MDR-WISSEN-Redaktion

ElBuffo am 11.03.2023

Diabetes und Kreislauferkrankungen haben doch jetzt weniger mit Rassismus, sondern individuellem Verhalten zu tun oder soll man annehmen, das der Diabetes ein Rassist ist und sich die Opfer nach Hautfarbe aussucht?